# taz.de -- Sardellen-Salat schmeckt uns früh und spat | |
> Die „schlechtesten Gedichte“ des großen Goethe sind nicht ganz von dieser | |
> Welt – und dennoch nun noch einmal in einer Sammlung als Buch erschienen, | |
> illustriert vom Duo Hauck & Bauer | |
Von Thomas Schaefer | |
Poesie und Arithmetik – das will nicht recht zusammengehen. „20 % des | |
Oeuvre, höchstens, sind gut“, hat Arno Schmidt über Goethens Werk befunden. | |
Bezieht man diese Quote auf die Lyrik des Weimaraners, kämen bei dessen | |
rund 3.000 überlieferten Gedichten immerhin 600 hochwertige zusammen! | |
Was vice versa aber auch 2.400 von minderer oder gar keiner Qualität | |
bedeuten müsste. Marcel Reich-Ranicki, im Gegensatz zu Schmidt ein | |
Bewunderer Goethes, hat bei diesem die interessante Spanne „56 oder 76 gute | |
Gedichte“ ermittelt – deutlich mehr als jene ominösen fünf, sechs | |
gelungenen Gedichte, die Gottfried Benn bekanntlich einem lyrischen Werk | |
allenfalls zugestanden hat. Und bei dem ganzen vertrackten Hexeneinmaleins | |
wurde ja noch gar nicht gefragt, was denn eigentlich ein gutes Gedicht | |
ausmacht. | |
## Wüst und kühn gereimt | |
Sogar der eigentlich urteilsfeste Robert Gernhardt geriet in Konfusionen, | |
als er 1999 ein kleines Bändchen rezensierte, das nun – ohne als solche | |
kenntlich gemacht zu sein – in einer Neuausgabe erschienen ist: „Goethes | |
schlechteste Gedichte“. Was hier von einem Herausgeber namens Gottlieb | |
Amsel, hinter dem sich der Verleger Jochen Jung verbirgt, zusammengestellt | |
wurde, machte Gernhardt grübeln: „Ist das nun schlecht? Oder schlicht?“ | |
Oder „schlechterdings nicht ganz von dieser Welt und schlichtweg genial?“ | |
Auch wir lassen das offen. | |
Unzweifelhaft ist aber, dass Goethe in seinen gemäß Amsels Auswahl knapp 50 | |
schlechtesten Gedichten wüst und kühn gereimt hat. Da fügt sich „keiner“… | |
„alleiner“, „Glück“ eher konventionell zu „zurück“ und die überr… | |
These „Die Welt ist wie ein Sardellen-Salat“ spezifiziert Goethe kryptisch | |
mit: „Er schmeckt uns früh, er schmeckt uns spat“. | |
Zu konkreteren Anschauungszwecken sei hier das Gedicht „Die Bekehrte“ in | |
voller Länge wiedergegeben: „Bei dem Glanze der Abendröte / Ging ich still | |
den Wald entlang, / Damon saß und blies die Flöte, / Daß es von den Felsen | |
klang. / So la la! // Und er zog mich, ach, an sich nieder, / Küßte mich so | |
hold, so süß. / Und ich sagte: Blase wieder! / Und der gute Junge blies, / | |
So la la! // Meine Ruhe ist nun verloren, / Meine Freude floh davon, / Und | |
ich höre vor meinen Ohren / Immer nur den alten Ton, / So la la, le ralla!“ | |
Nur so la la oder schon balla? | |
In erster Linie handelt es sich bei Goethes schlechter um (unfreiwillig) | |
komische Lyrik, deren harmloser Scherzgehalt durch die Cartoons des Duos | |
Hauck & Bauer, welche Walter Schmögners Illustrationen der Erstausgabe | |
ersetzen, betont wird. Diese Gedichte relativieren Goethes Status als | |
Qualitätslyriker natürlich in keinster Weise, unter den Massen seiner | |
Gedichte sind naturgemäß viele Gelegenheitsgedichte, Stammbuchverse, | |
schnell Hingetupftes. So etwas gehört nicht unbedingt zwischen Buchdeckel – | |
es sei denn, es handelt sich eben um Goethe, an dessen Denkmalssockel sich | |
so ein wenig rütteln lässt. | |
Denn eines steht fest: Man muss schon richtig gute Sachen geschrieben | |
haben, um in den zweifelhaften Genuss zu kommen, seine schlechten in Form | |
eines eigenen Buches herausgestellt zu sehen. | |
23 Oct 2021 | |
## AUTOREN | |
Thomas Schaefer | |
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