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# taz.de -- Imagination als Werkzeug
> Der Badische Kunstverein zeigt neue Filminstallationen von Gitte
> Villesen, die sich von Science-Fiction-Autorinnen zu fiktiven Gegenwelten
> inspirieren ließ
Bild: Gitte Villesens Montagen aus Sound, Text und Film entwickeln etwas Magisc…
Von Carmela Thiele
Science-Fiction ist nicht jedermanns Sache. Andere lieben es, wenn Natur
und Gesellschaft dem Klammergriff der schnöden Realität entzogen sind. Das
Fantastische wird zum Tor für Gedankenexperimente und Sehnsüchte, die
woanders keinen Raum haben. Das gilt vor allem für feministische
Science-Fiction-Autorinnen, die den Kampf gegen das Patriarchat mit den
Mitteln der Fantasie ausfochten.
Gitte Villesen outet sich mit ihren drei neuesten Filminstallationen als
Sci-Fi-Fan. Ihre Kunst ist nicht nur inspiriert von Werken [1][Octavia E.
Butlers], Suzette Haden Elgins und [2][Ursula Kroeber Le Guins,] vielmehr
stellt sie seit 2016 diesen Einfluss bewusst aus. Zitate aus den Werken der
Autorinnen tauchen in den Titeln oder als Überblendungen der Filmbilder
auf. Doch sind ihre mehr als zwanzigminütigen, assoziativ zusammengesetzten
Bildsequenzen mehr als Nacherzählungen der literarischen Vorbilder. In
ihrer bisher größten Einzelausstellung im Badischen Kunstverein entfaltet
die 1965 in Dänemark geborene Künstlerin eine fiktive Gegenwelt, erzählt in
hyperrealen Filmbildern.
Zu dem Fantasy-Outing hätten Freunde sie motiviert, erzählt Gitte Villesen.
Lange verfolgte sie in ihrem Werk einen dokumentarischen Ansatz, den sie
nach ihrem Studium an der Königlichen Akademie der bildenden Künste in
Kopenhagen entwickelt hatte. [3][Sie führte Interviews mit Menschen, die
ihre Geschichte erzählten, die dann zur Geschichte einer ihrer Filme
wurde]. „Es gibt viele Bilder und Aufnahmen, die letztendlich nicht
veröffentlicht wurden“, sagt sie. „Aber es ist immer so gewesen, dass ich
in dem Moment, in dem ich ein Interesse an einem Menschen hatte, einen Weg
fand, eine eigene Story zu kreieren.“
Für diese Form des authentischen Erzählens und Wiedererzählens ließ die
Künstlerin die Interviewten etwas vor der Kamera sagen, tun oder zeigen.
Eine große Auftragsarbeit für den Campus Roskilde führte sie nach Gambia,
wo sie mit dem Musiker Amadou Sarr das Dorf besuchte, in dem er geboren
wurde. Dort filmte Gitte Villesen unter anderem eine Performance der
Theatergruppe Dental. Jahre später entstand in Zusammenarbeit mit dem
Theatermacher Saidou Ndiaye aus dem Material eine der in Karlsruhe
ausgestellten Arbeiten. „In der Filminstallation ‚The Play, the Actor, the
Improvisation‘ nutzen Frauen das Theater, um ihre eigene Gesellschaft zu
diskutieren und ihr eigenes Aktionsfeld zu erweitern“, erläutert die
Künstlerin. Geschichten könnten etwas bewirken.
## Die Natur belauschen
An die Stelle der Menschen sind in ihren neusten Arbeiten Landschaften
getreten, ein im Licht flirrendes Moor, ein Wolkenbruch über einem
italienischen Städtchen oder eine karge Bergformation. Die Natur spricht
ihre eigene Sprache, die Filmemacherin bildet sie nicht ab, sondern
belauscht sie geduldig mit Kamera und Mikrofon. Für die Filminstallation
„Ihere is an Affinity“ nutzte sie Aufnahmen, die sie im Botanischen Garten
in Berlin machte. Kombiniert sind sie mit Zeichnungen des Mikrobiologen
Raoul H. Francé. Eingeblendete Zitate aus Octavia E. Butlers Roman „Dawn“
imaginieren eine Begegnung aller Lebewesen auf sensitiver Ebene –
einschließlich des Menschen.
In dem für die Schau im Badischen Kunstverein produzierten Film „It changed
radically: grew fur again, lost ist, developed scales, lost“ arrangiert in
einer der Sequenzen eine Frau Pflanzen auf einem weißen Blatt Papier. Sie
bedeckt das Ganze mit einem zweiten Blatt, bevor sie alles vorsichtig durch
eine Kupferstichpresse dreht. Der Abdruck erzeugt überraschende Farben und
Strukturen. Entstanden ist eine Monotypie. Es ist, als habe sich die
Pflanze selbst gezeichnet.
Da die Filmarbeiten im Loop gezeigt werden, die Betrachter in den Fluss der
Bilder ein- und aussteigen, ist es unmöglich, eine Handlung oder eine
folgerichtige Argumentation zwischen den angerissenen Themen zu erkennen.
Es geht um Legasthenie, um entsprechende Therapien, und um die Frage, ob in
solchen Schwächen nicht auch Stärken liegen. Die mitunter übercodierten
Assoziationsfetzen und Bilder werden meist geerdet durch dokumentarische
Einsprengsel wie die Szene mit der Druckerpresse, die sich bei Gitte
Villesen immer als die eigentlich wahren Geschichten erweisen.
In „Deeply immersed in the content if a learning stone“ mischen sich
Le-Guin-Zitate mit Aufnahmen präparierter Tiere im Naturkundemuseum und
Abbildungen von Werken sogenannter „Geisteskranker“ aus der
Prinzhorn-Sammlung. Der literarische Wink mit dem Zaunpfahl trägt nicht
immer dazu bei, den divergenten Bildern zu folgen. Diese sollen laut
Infotext „verschiedene Geschlechterkonstruktionen und Machtdynamiken“
verdeutlichen. Kann sein, dass solche analytischen Begriffe bei diesem
Assoziationslabyrinth ihre Berechtigung haben. Klar aber ist: Gitte
Villesen ist eine Geschichtenerzählerin und keine Theoretikerin. „Wenn ich
Fiktion schreiben könnte, wäre ich Schriftstellerin geworden“, bekennt sie.
Es ginge um Imagination als Werkzeug, um mit unserer Umgebung umgehen zu
können.
Traum und Wirklichkeit, Fiktion und Realität, zwischen diesen Polen
navigiert das menschliche Bewusstsein. In Gitte Villesens Filmarbeiten
nähern sich diese Gegensätze auf vielen, sich durchdringenden Ebenen an.
Ihre Montagen aus Sound, Text, Film und Archivmaterial entwickeln etwas
Magisches. Sie sind eine Hommage an die Vielgestaltigkeit des Lebendigen
und die Kraft der Transformation.
Bis 5. Dezember, Badischer Kunstverein, Karlsruhe
19 Oct 2021
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## AUTOREN
Carmela Thiele
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