# taz.de -- Berlin, Teuro und der Euronetset | |
> Verwaiste Geräte im Morgenlicht: Peter Bünnagels Fotobuch „Berlin Cash“ | |
> über Berliner Bargeldautomaten zeigt diese als städtebauliche Komponente | |
> und lässt die Bilder für sich sprechen | |
Von Martin Conrads | |
Die so authentisch wirkende wie memefähig inszenierte Wut von Katharina | |
Hoffmann, Mieterin des Hauses in der Friedrichshainer Müggelstraße 22, kann | |
schon jetzt als eine der großen Gesten der Berliner 2020er gelten: „Wenn | |
ich rausgehe, reingehe, krieg ich die Krätze, wenn ich die Scheiße da | |
sehe!“, sagte die Schauspielerin in einem vielgeteilten | |
RBB-„Abendschau“-Beitrag vom August letzten Jahres und deutete auf den | |
Geldautomaten, der im Eingangsbereich des Hauses aufgestellt wurde, sodass | |
nicht einmal mehr der sichere Rettungsweg aus dem Haus garantiert ist. Wie | |
Hoffmann dann gegen den Automaten schattenboxt und -tritt, ist einfach | |
großes Theater. | |
Frau Hoffmanns Gefühlsausbruch dürfte nicht wenigen Berliner*innen aus | |
der Seele sprechen, denn dass Hauseigentümer die meist gelb-blau-grauen | |
Quader, die neben diversen Logos mindestens mit dem Wort „CASH“ für | |
schnelles Geld werben, so platzieren, dass sich etwa Haustüren nur noch | |
halb öffnen lassen, ist kein Einzelfall. | |
Unter anderem diesen Um- und Zustand dokumentiert das Buch „Berlin Cash“. | |
Der Berliner Grafikdesigner Peter Bünnagel hat über Monate Bargeldautomaten | |
frühmorgendlich in so gut wie leeren Berliner Straßen fotografiert, zumal | |
dann, als maßnahmenbedingt Clubs und Bars für den Euronetset – den neuen | |
Easyjetset – geschlossen hatten, sodass die Geräte umso mehr verwaist | |
wirken. | |
Auf 72 Farbfotografien sieht man hier, wie diese Objekte als derzeit | |
ultimatives A-Zonen-Indiz nicht nur das Berliner Straßenbild optisch | |
verändert haben, sondern auch, dass es sich bei den Apparaten mittlerweile | |
um eine architektonische und städtebauliche Komponente handelt, ähnlich wie | |
die Lücke, die Bausünde, der Poller oder der Phantomclub. | |
Bünnagel lässt die Fotos für sich sprechen, das Buch kommt ohne Text aus, | |
lediglich die Orte der Fotografien sind im Umschlag aufgelistet. Ganz | |
sachlich bleibt er bei seinen Momentaufnahmen nicht: Die Winkel und | |
Ausschnitte sind oft so gewählt, dass auf das Abstruse, Komische oder | |
einfach Alltägliche der Platzierung oder des Gebrauchs der Automaten | |
fokussiert wird. | |
Gleich das zweite Foto im Buch lässt an Rolf Dieter Brinkmanns auf das | |
damalige Kölner IBM-Hochhaus gemünzten Ausspruch „Oben ist immer IBM … und | |
unten läuft die Pisse raus“ denken, nur dass hier „IBM“ durch „ATM“ … | |
werden müsste. Typisch etwa auch das Bild mit dem durch eine Metallplatte | |
versiegelten Bildschirm, während auf der Tastatur eine angeknabberte | |
Laugenbrezel liegt, wie als Lenkrad einer DIY-Spielekonsole, oder das Bild, | |
auf dem der ATM-Automat kurzerhand zur Ablage für einen E-Scooter | |
umfunktioniert wurde. | |
Meist erzwingen die Geräte ihren Platz, manchmal schmiegen sie sich in | |
bestehende Lücken, einmal scheint ein Automat in einer Hecke zu | |
verschwinden wie Homer Simpson im entsprechenden Meme. Überhaupt fällt | |
erst beim Betrachten der Bilder auf, dass die Geldquader eine gewisse | |
Ähnlichkeit mit dem „Totem“-Charakter aus dem Tablet-Spiel „Monument | |
Valley“ haben, an dessen Güte sie aber nicht heranreichen. Vielmehr wirken | |
die oft – etwas irreführend – „Bargeld für alle!“ fordernden Automate… | |
den Bildern wie der Wächter bei Kafka oder der Räuber im Comic. | |
Gelegentlich hat der Fotograf nicht die Automaten selbst in den Blick | |
genommen, sondern nur die Schilder oder Werbemittel, die auf sie hinweisen: | |
Im Nikolaiviertel sieht man etwa ein plötzlich geschmäcklerisch wirkendes | |
ATM-Schild an einem schmiedeeisern verzierten Stab, an anderer Stelle einen | |
wie in der Luft schwebenden Leuchtwürfel, als spielten die Betreiber Tetris | |
mit der Stadt. | |
Peter Bünnagel: „Berlin Cash“. Edition Scrollan, Berlin 2021, 80 Seiten, | |
18,50 Euro | |
30 Sep 2021 | |
## AUTOREN | |
Martin Conrads | |
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