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# taz.de -- Zwischen Krawall und Depression
> Die junge Generation badet die verkorkste Coronapolitik aus und wird
> konsequent übersehen. Die Älteren sollten sich dankbar dafür zeigen, dass
> die Jugend für sie zu Hause blieb
Von Finn Walter
Laut einer repräsentativen Studie der Donau-Uni Krems zeigten im Dezember
und Januar etwa die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen in Österreich Symptome
einer Depression. Etwa ein Drittel von ihnen zeigte Symptome von
Angststörungen. In der Gruppe der über 65 Jährigen konnten die
Wissenschaftler:innen nur bei 12 Prozent Anzeichen einer Depression
erkennen. Die Zahlen dürften in Deutschland ähnlich aussehen, denn Kultur
und Gesellschaftsstrukturen unterscheiden sich in den beiden Ländern nicht
grundlegend.
Die hohen Zahlen bei jungen Menschen sind keineswegs Zufall. Viel mehr sind
sie Folge einer Politik, die seit Beginn der Pandemie die Interessen junger
Menschen konsequent hinter denen älterer Menschen zurückstellt, deren
Vorherrschaft sich auch in der Wählerstruktur und der Repräsentanz unter
Entscheidungsträger:innen ausdrückt.
Ich habe mein Abitur im Jahr 2020 geschrieben – das erste Corona-Abi also.
Gefeiert wurde das nie so richtig. Es war der Sommer 2020, in dem überall
in Deutschland Menschen gegen die Coronamaßnahmen demonstrierten. Während
Zehntausende in Berlin Polizist:innen anhusteten und sich mit Anne
Frank, Sophie Scholl oder Eva Herrman verglichen, wurden wir oft von einer
ganzen Hundertschaft der Polizei abgeschirmt.
Überall in Deutschland hagelte es Alkoholverbote, oft auch noch, als die
örtlichen Inzidenzen verschwindend gering waren. Die Folge war eine Serie
an Krawallnächten. In Stuttgart, Frankfurt, München, Hamburg, Berlin und an
vielen anderen Orten solidarisierten sich Jugendliche und griffen die
Polizei an, wenn die ihnen den Spaß vermiesen wollte.
Die Öffentlichkeit war empört. Schnell wurden die Aktionen auch noch
rassistisch geframed – nun waren es nicht mehr junge Männer mit einer
Überdosis Testosteron und Alkohol, die Scheiben einwarfen, es waren Ali und
Mohammed, die sich einfach nicht benehmen können. Nach der Stuttgarter
Krawallnacht stellte sich Horst Seehofer (CSU) demonstrativ vor ein
kaputtes Polizeiauto und versprach Konsequenzen.
Unsere Abifahrt organisierten wir dann selbst und fuhren mit dem
Freundeskreis in eine Hütte in den Bergen. Dabei lieferten wir uns Rennen
mit den Autos unserer Eltern und rauchten, bis die Lunge schwarz war. Das
war alles an Freiheit, was uns blieb. Schon im Herbst wurde für junge
Menschen wieder alles gestrichen, Kneipen und Schulen schlossen. Die Unis
hatten sowieso nie geöffnet. Ausgangssperren und Kontaktverbote vertrieben
uns von den Parks und Badeseen, hinein in WG-Küchen und Partykeller. Wieder
musste eine ganze Generation auf alles verzichten, während Großraumbüros
und Fabriken oft normal weitermachten. Eine Homeoffice-Pflicht für
Unternehmen gab es erst Ende Januar 2021 – fast ein Jahr nach den ersten
Schulschließungen. Und sie wurde durchgesetzt gegen den Widerstand von CDU
und Wirtschaftsverbänden.
Die Krawalle, der Aufschrei der Jugend, waren vorbei. Stattdessen nahmen
Depressionen und Einsamkeit zu. Die abendlichen Talkrunden bei Lanz & Co
wurden besetzt mit Politikerinnen und Wissenschaftlern jenseits der 50.
Wir waren unsichtbar. Sowohl im Straßenbild als auch in der Politik.
Als Deutschland dann im Frühjahr schon wieder munter über Stadionöffnungen
diskutierte und Bayerntrainer Hansi Flick sich selbst zum Chefvirologen der
Deutschen Fußball-Liga machte, wollte die Politik die Krawalle des
vergangenen Jahres unbedingt vermeiden. Doch anstatt auf meine Generation
zuzugehen, Psychotherapieplätze zu schaffen oder finanziell in Not geratene
Student:innen zu unterstützen, setzte sie auf Alkoholverbote und
Polizeihundertschaften in den Parks dieses Landes.
Feierlich öffnete die berühmte Außengastro Pforten und Sektflaschen,
Jugendliche mit Kioskbier galten weiterhin als Nestbeschmutzer. Das immer
noch keine Hörsäle geöffnet waren, während die Deltavariante auf großer
Europatournee durch die Fußballstadien des Kontinents zog, wunderte
mittlerweile niemanden mehr.
Großzügig bot man uns irgendwann den Astra-Zeneca-Impfstoff an, für den es
überhaupt keine Stiko-Empfehlung für unter 60 -Jährige gab. Die Alten
wollten eben alle Biontech. Für uns Junge mit gutem Immunsystem hieß das
eine Nacht Fieber und Schüttelfrost, aber immerhin waren wir überhaupt
geimpft, denn für die Geimpften, die durchschnittlich noch ziemlich alt
waren, gab es ja schon die ersten Lockerungen.
Seit eineinhalb Jahren stecken wir zurück, leiden und werden nicht
beachtet, obwohl das Virus für uns vergleichsweise ungefährlich ist. Aber
wir bleiben gern zu Hause! Für unsere Großeltern, Eltern und alle anderen
verzichten wir.
Doch dafür gibt es keinen Dank. Noch nicht einmal Applaus vom Balkon
bekommen wir. Stattdessen macht die Politik weiter wie bisher und steht auf
der Bremse beim Klimaschutz. Warum nicht mal ein bisschen Entgegenkommen?
Dafür, dass wir eure verkorkste Coronapolitik ausbaden, könntet ihr uns
gern eine bewohnbare Erde hinterlassen!
Wie sollen wir noch vertrauen haben in einen Staat, der uns so behandelt?
In einen Staat, der auf unser Bedürfnis, zu feiern, mit Schlagstock und
Pfefferspray reagiert? In die Unionsparteien, die sich selbst dafür feiern,
wenn München bei der großen PS-Schau zugestellt wird mit Autowerbung und
der Protest dagegen mit Gewalt niedergeschlagen wird?
Immer mehr meiner Freunde, die im Vertrauen auf Polizei und Rechtsstaat
aufgewachsen sind, wechseln nun die Straßenseite, wenn Uniformierte auf sie
zukommen. Eigentlich waren wir eine Generation, die Vertrauen hatte in die
deutschen Systeme. Viele wurden politisiert durch Fridays for Future und
demonstrierten friedlich für mehr Klimaschutz. Es war eine Rebellion, die
kaum hinausging übers Schuleschwänzen.
Für Polizeibeamt:innen waren die Freitagsdemos eine willkommene
Abwechslung zum Angepöbeltwerden bei Fußballspielen. Dieser Frieden scheint
vorbei zu sein. Um ihn wieder herzustellen, muss die Politik auf uns
zugehen – ohne Schlagstock.
18 Sep 2021
## AUTOREN
Finn Walter
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