# taz.de -- Reichlich Spaß mit Vögeln in der Heide | |
> Nirgends ist Europa dichter mit Edutainment Parks besiedelt als in der | |
> Lüneburger Heide. Auch wer die Ambivalenz dieses Trends kennt und ein | |
> komisches Gefühl hat, wenn ausgerechnet Geschöpfen der Luft die Freiheit | |
> beschnitten wird, kann im Vogelpark Walsrode schöne Erfahrungen machen | |
Von Helmut Höge Illustrationen Imke Staats | |
Im Peenemünde-Roman „Die Enden der Parabel“ des US-Schriftstellers Thomas | |
Pynchon kommen die Überlebenden eines Herero-Schwarzkommandos nach 1945 in | |
der Lüneburger Heide zur Einschätzung, dass die militärpolitische | |
Konfrontation im Zweiten Weltkrieg nur ein Scheingefecht war, ein Manöver, | |
um einer neuen (intelligenten!) Technologie zum Durchbruch zu verhelfen. | |
Diese wurde ein Jahr später auf den Macy-Konferenzen in Amerika mit | |
„Computer“ und „Gentechnik“ benannt. | |
In der Lüneburger Heide, dort wo Hermann Löns vor dem Ersten Weltkrieg mit | |
seinem Roman „Der Wehrwolf“ beweisen wollte, dass die Grausamkeit nicht der | |
Selbstverteidigung dient, sondern zu den wahren und echten Werten gehört, | |
befindet sich heute die Alfred-Toepfer-Akademie für Naturschutz. Der 1993 | |
gestorbene Toepfer war der größte Getreidehändler Europas und sammelte | |
schöne Bauernhöfe wie andere Leute Briefmarken. Daneben gründete er eine | |
gemeinnützige Stiftung nach der anderen, eine in der Lüneburger Heide. | |
Die meisten dienten zur Subventionierung völkischer Aktivitäten, dafür | |
stellte der ehemalige Freikorpskämpfer gegen die Kommunisten alte SS- und | |
SD-Kameraden ein, mit Vorliebe Kriegsverbrecher. Ähnlich wie der Gründer | |
des Bundesnachrichtendienstes, Reinhard Gehlen, dessen Geheimdienstkollege | |
Alfred Toepfer im Krieg war. | |
Der Tierfilmer Horst Stern erzählt in seinem Buch „Tiere und Landschaften“ | |
(1973), was die Lüneburger Heide ausmacht: Der Wald, der dort nach der | |
Eiszeit wieder aufwuchs, wurde von den Bauern und ihrem Vieh langsam | |
zerstört, woraufhin sich auf den größer werdenden Lichtungen Heidekraut, | |
das keinen Schatten verträgt, ansiedelte. Die Besenheide, wie sie heißt, | |
wurde von einer besonders genügsamen Schafrasse, den Heidschnucken, | |
abgeweidet. | |
Die Wacholderbüsche rühren sie nicht an, das machen die Schäfer, damit die | |
Büsche nicht am Ende überhand nehmen. Wenn die Schafe die Heidepflanze | |
nicht kurz hielten, würde sie nach 25 Jahren verholzen und schließlich | |
absterben: „Die Heide würgt nämlich ihre eigene Art ab, denn das Polster, | |
das sie bildet, wird so dick, dass die Heidesamen keinen nährenden Boden | |
finden können.“ | |
Die Bauern helfen ebenfalls der Heide, indem sie die Wurzelpolster mit | |
einer Hacke abschlagen. Diese „Plaggen“ werden im Stall als Einstreu | |
verwendet, der nach einem Jahr als wertvoller Mist auf die Felder kommt. | |
„Die geplaggten Stellen werden sofort wieder von der Heide erobert.“ Ein | |
Quadratmeter blühende Heide bringt 3 Millionen Samen hervor. Dazu braucht | |
es jedoch Blütenbestäuber, allen voran die Honigbiene, der wiederum die | |
Heidschnucken helfen, indem sie beim Fressen der Heide alle Spinnennetze | |
darin zerstören. „Mit dem Kunstdünger wurde dieses Zusammenspiel beendet,“ | |
woraufhin die Lüneburger Heide immer mehr zusammenschmolz. Den letzten Rest | |
– rund 200 Quadratkilometer – stellte man als Naturpark unter Schutz. | |
Auch der Bauernstand ringsum schmolz zusammen: Immer weniger Bauern | |
bewirtschafteten immer größere Höfe – und wurden darüber zu Frontschweinen | |
der Chemie- und Agrarindustrie. Davon kein Wort auf der Internetseite | |
„landwirtschaft-in-niedersachsen“, wo es heißt: „Sie ist sehr erfolgreic… | |
Bei vielen Produkten ist sie unbestritten ‚Marktführer in Deutschland’.“ | |
Die durchs Bauerndezimieren frei gewordenen Höfe, vor allem im | |
Ausflugsgebiet Lüneburger Heide, erwerben über einen „Vermittler“, wie der | |
Deutschlandfunk ihn nennt: „Ehemalige Anwälte? Ehemalige Juristen | |
überhaupt? Zahnärzte, die sich umorientieren wollen, von der Stadt aufs | |
Land? Berufsaussteiger? Manager? Berufseinsteiger?“ Auf „immowelt.de“ | |
bieten Makler dutzende „leerstehende Bauernhäuser in der Lüneburger Heide“ | |
an. | |
Je weniger Bauern, desto mehr Edutainment: Die Lüneburger Heide ist die | |
Region Europas mit den meisten Freizeit-Parks. Kürzlich besuchte ich den | |
„Weltvogelpark“ in der „Hermann-Löns-Stadt Walsrode“. Er war nach dem … | |
aus der Fasanerie eines Kaufmanns am Ort hervorgegangen und beherbergt | |
heute die weltgrößte Sammlung lebender Vögel, 650 Arten sind es laut dem | |
NDR. | |
Die Anlage gehörte lange Zeit dem belgischen Gartencenter-Konzern | |
„Floralux“. 2019 verkaufte der sie an den spanischen Betreiber von Wasser-, | |
Tier- und Freizeitparks: „Parques Reunidos. Dieser Konzern wurde 2003 von | |
der amerikanischen „Private-Equity“-Gruppe „Advent international“ | |
übernommen und expandierte seitdem ins Ausland. 2007 wurde das ganze | |
Geschäft an die britische „Private-Equity“-Gruppe „Candover“ verkauft.… | |
betreibt mit einigen Anteilseignern weltweit jede Menge Freizeitparks, | |
Wasserparks und Aquarien/Zoos – zu dieser Geschäftssparte gehört der | |
Vogelpark Walsrode, der seinerseits mit dem Naturschutzbund kooperiert | |
(„Zwei Wege – ein Ziel“ laut Nabu) und zu einem ganzen Netzwerk von | |
Vogelschutz-Organisationen und Vogelforschern gehört. Es geht dabei um | |
Artenschutz, Nachzucht, Auswilderung. | |
Alle von Besuchereinnahmen lebenden Edutainment-Parks haben unter der | |
Pandemie gelitten und haben immer noch finanzielle Einbußen. Deswegen | |
musste auch im Vogelpark Walsrode gespart werden. Zugleich beauftragte man | |
die Hamburger Kommunikationsagentur „Dederichs Reinecke & Partner“, weil | |
sie verspricht, Ideen zu entwickeln, wenn „Kommunikationskrisen durch | |
Unfälle oder die aktuelle Coronapandemie gemeistert werden müssen“. So war | |
ihr eine Journalistenreise in das „Krisengebiet“ Walsrode eingefallen. So | |
kam ich an einem sonnigen Wochenende in den Vogelpark. | |
Die Vögel zeichnen sich dadurch aus, dass das wichtigste Element der | |
meisten Arten die Luft ist. Gerade die nimmt man ihnen in der | |
Gefangenschaft – mag die Voliere noch so groß sein. Im Freigehege | |
beschneidet man ihnen die Flugfedern. Beides ist nicht schön und bei vielen | |
Vögeln hatte ich den Eindruck, dass sie das auch so sehen. | |
Aber dann führten vier Pfleger auf der riesigen Wiese in der Mitte des | |
Vogelparks ihre „Flugshow“ vor – und das machte sofort gute Laune, denn a… | |
dem üppigen Gebüsch ringsum flogen nacheinander unterschiedlichste Vögel | |
oder sie kamen vom gegenüberliegenden Rand der Wiese auf uns Zuschauer zu, | |
wo die Trainerin vor uns ihnen die behandschuhte Faust hinhielt und mit der | |
anderen Futter zur Belohnung. Sie wurden alle mit Vornamen angesprochen. Es | |
kamen Pelikane zum Einsatz, eine blinde Schleiereule, Boots – ein | |
Sekretärvogel, der eine Stoffschlange zertrat, ein Marabuweibchen, ein | |
Kondor, zwei Adler, drei Sperbergeier, ein Sakerfalke, der eine Attrappe | |
jagte, ein Wüstenbussard, ein Gaukler, ein Gerfalke, zwei Gänsegeier, vier | |
Kormorane und drei afrikanische Greifvögel, die als einzige immer im Trupp | |
jagen, deren Artnamen ich aber vergessen habe. | |
Alle flogen mehrmals über die etwa 150 Zuschauer hinweg, manche berührten | |
mit ihren Flügelspitzen unsere Köpfe, einige gönnten sich mehr Überflüge | |
als gewollt. Die Kakadus neigten dazu, bis nach der Flugshow in einem der | |
umstehenden hohen Bäume zu hocken und zu krakeelen. Einer der Trainer | |
musste sie lange bitten, runter zu kommen. Die Aras schrien im Flug, es | |
klang nicht unglücklich. | |
Fünfmal sah ich mir das an. Es endete jedes Mal mit einem „Feuerwerk“, wie | |
einer der Vogeltrainer das nannte. Dabei flogen aus allen Gebüschen bunte | |
Papageien, weiße Kakadus, Rote Sichler, Kraniche, Ährenträgerpfauen und | |
kreisten über der Wiese. Applaus. Und über ihnen fünf auf dem Gelände | |
brütende Störche, die den Vogelpark im Herbst Richtung Afrika verlassen. | |
Die Vögel der Flugshow hatten mindestens zweimal am Tag einen Freiflug | |
übers Publikum, hoch oder niedrig, und daneben noch Training im Freien. Ich | |
fand erstaunlich, dass sie nicht einfach wegflogen – und rührend, dass sie | |
über kurz oder lang alle zurück in ihre Volieren kamen – quasi freiwillig. | |
19 Apr 2022 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
Imke Staats | |
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