# taz.de -- Versuch über die Selbstverfraulichung | |
> Sie zitiert Beuys und malt die Mächtigen. Jiny Lans Kunst irritiert | |
> gewaltig. Zu sehen ist sie zur Art Week in der Galerie Tammen | |
Bild: „Die korrekte Beinhaltung“ beherrscht die Künstlerin Jiny Lan. Ihr G… | |
Von Max Florian Kühlem | |
Die frohe Kunde über die Künstlerin Jiny Lan wird jetzt auch nach Berlin | |
getragen. Ihr Galerist Tammen zeigt zur Berlin Art Week eine | |
Premierenausstellung neuer Werke unter dem Titel „Found In Translation“. | |
Die erste Begegnung mit Jiny Lans Kunst, mit der Künstlerin selbst und mit | |
eigentlich allem, was mit ihr zu tun hat, löst erst mal gewaltige | |
Irritationen aus. | |
Beginnen wir mit der Kunst: Was ist das? Chinesische, traditionelle | |
Malerei? Fotorealismus? Science-Fiction-Fantasy-Kitsch? Schaut mich hier | |
Angela Merkel an? Und da Gerhard Schröder? Und dort Joseph Beuys und die | |
Mona Lisa? | |
Alle Assoziationen und verwirrenden Fragen, die beim Betrachten ihrer meist | |
großformatigen Gemälde aufkommen, sind berechtigt. Denn die 1970 in Xiuyan | |
in der nordchinesischen Küstenprovinz Liaoning geborene und 1995 nach | |
Deutschland übergesiedelte Künstlerin mischt in ihren Bildern alles | |
zusammen: westliche und fernöstliche Maltraditionen, biografische | |
Einflüsse, gegenwärtige Diskurse, Porträts zeitgenössischer Machtmenschen, | |
politische Anliegen. | |
Jiny Lan sieht ihre Kunst feministisch motiviert. Auch das ist ein | |
irritierender Fakt, denn zu ihren Freunden zählen Herren wie Dieter Nuhr, | |
Till Brönner und Christian Lindner, die vielleicht nicht unbedingt | |
zuvorderst als Vorkämpfer für den Feminismus bekannt sind. Lindner erschien | |
auch zur Eröffnung ihrer Berliner Ausstellung und erklärte seine | |
Faszination für Lans Angela-Merkel-Porträt, das die ewige Bundeskanzlerin | |
im Stil eines chinesischen Kaiserinnenporträts mit einer Krone aus Menschen | |
zeigt. Es hing sogar eine Zeit lang in seinem Büro. | |
Doch tatsächlich gründete Jiny Lan in China 2012 mit Xiao Lu und Li Xinmo | |
die erste feministische Künstlerinnen-Gruppe des Landes: Bald Girls – in | |
Anlehnung an die postfeministischen „Bad Girls“ der 1990er Jahre, die gegen | |
das Patriarchat ebenso rebellierten wie gegen rigide, lustfeindliche | |
weibliche Selbstbilder. Dass sie die Nähe mächtiger Männer einerseits | |
(offenbar ganz vorurteilslos) sucht und sie andererseits bekämpft, gehört | |
zur interessanten Gesamtperformance ihrer Künstlerpersönlichkeit, mit der | |
man sich ein wenig auseinandersetzen sollte, weil ihre Bilder dann | |
gewinnen. | |
Eine gute Gelegenheit dazu gibt es am Vorabend der Berlin Art Week, am | |
heutigen 14. September um 18 Uhr: Dann wird die Künstlerin eine kleine | |
Showeinlage an Joseph Beuys’ berühmte Performance „Wie man dem toten Hasen | |
die Bilder erklärt“ anlehnen. Sie heißt „Versuch über die | |
Selbstverfraulichung oder wie man dem toten Beuys die Bilder erklärt“. | |
Opernsänger werden sie dabei im Stil der großen Oratorien preisen, also | |
ihre frohe Kunde nach Berlin bringen. Dazu gehört, dass sie die großen | |
Malerfürsten vom Thron stoßen möchte. Ein Ziel, das sie vielleicht nie | |
erreichen wird, das als performativer Akt aber Grund genug für seine | |
Ausrufung ist: Sie will mit einem Gemälde einen höheren Preis erzielen als | |
Georg Baselitz mit seinen – und ein Baselitz wechselt gerne mal für ein | |
paar Millionen Euro den Besitzer. | |
Jiny Lan macht damit den Wahnsinn des Kunstmarkts deutlich und wie er immer | |
noch in großen Teilen um seine alten Patriarchen organisiert ist, die | |
sagen: „Frauen können nicht so gut malen wie Männer.“ Um dies zu begründ… | |
führte Baselitz die im Schnitt höheren Preise an, die Männer auf dem | |
Kunstmarkt erzielen. Für die chinesisch-deutsche Künstlerin liegt dies | |
natürlich in der besonderen historischen Formation einer Gesellschaft | |
begründet, [1][die Frauen lange (und bis heute oft noch) nicht die Rolle | |
der freien, selbstständigen Künstlerin zuwies]. | |
In der Galerie Tammen hängt auch eine Art Selbstporträt: Im „Versuch über | |
die Selbstverfraulichung“ von 2021 schießt Jiny Lan mit kurz geschorenen | |
Haaren und extravaganter Brille nackt gen Himmel, als Negativ ist eine Mona | |
Lisa auf dem Weg nach unten. Und zugeschnürt in einer Art Kokon liegt auf | |
dem Boden [2][Joseph Beuys, den die Künstlerin eigentlich für einige | |
Aspekte verehrt oder zumindest interessant findet]: Für seine schamanische | |
Mittlerposition zwischen den Welten, seine Selbstmythologisierung, sein | |
Konzept der Sozialen Plastik. Doch heute wird er zugeschnürt durch ein | |
(zumeist männliches) Expertentum aus Schülern, die die Deutungshoheit über | |
seine Kunst beanspruchen. | |
So wie dieses abenteuerliche Bild haben die Werke Jiny Lans meist mehrere | |
Ebenen – bestehen buchstäblich aus mehreren Schichten von Übermalungen, | |
entstehen im ständigen Prozess. Und werden sie nicht schnell gekauft, | |
können sie in ein paar Wochen schon wieder anders aussehen. Dann verwandelt | |
sich Gerhard Schröders Antlitz vielleicht plötzlich zu Wladimir Putin. Oder | |
Merkel zu Scholz, zu Baerbock, zu Laschet – wer weiß. | |
Jiny Lan – Found In Translation: bis 9. Oktober Performance der Künstlerin | |
am 14. September, 18 Uhr, Galerie Tammen, Hedemannstraße 14. | |
www.galerie-tammen.de | |
14 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Max Florian Kühlem | |
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