# taz.de -- Israel und die Olympischen Spiele: Gold am Schabbat | |
> Israel war in Tokio so erfolgreich wie noch nie in seiner Geschichte. | |
> Auch deswegen wird über die Macht der Religiösen im Land diskutiert. | |
Bild: Olympiasiegerin Linoy Ashram in Tokio nach der Siegerehrung | |
Dass sich ein Politiker entschuldigen muss, weil er als Erster einer | |
Olympiasiegerin gratuliert hat, passiert nicht so oft. Benjamin Netanjahu | |
musste das tun. Der israelische Ex-Regierungschef hatte gewohnt | |
staatstragend als Erster bei Linoy Ashram angerufen. Die 22-jährige | |
rhythmische Sportgymnastin hatte bei den Olympischen Spiele in Tokio Gold | |
im Einzel gewonnen. Und Netanjahu hatte tatsächlich noch vor dem Minister- | |
und dem Staatspräsidenten gratuliert – und freute sich über den Coup, dass | |
er sich immer noch als derjenige präsentieren kann, ohne den in Israel | |
nichts läuft, schon gar kein olympischer Erfolg. | |
Aber dann gab es den Shitstorm: Netanjahu hatte nämlich noch während des | |
Schabbats telefoniert, des wöchentlichen Ruhetags, der zwar säkularen | |
Israelis recht egal ist, der aber von einem wie Netanjahu, dessen | |
Karriere auf Bündnissen mit Orthodoxen aufgebaut ist, schon eingehalten | |
werden sollte. Einer von Netanjahus politischen Verbündeten, [1][Belazel | |
Smotrich] von der rechtsextremen Partei Religiöser Zionismus, beschimpfte | |
Netanjahu prompt, dieser habe mit seinem Anruf den Schabbat „entweiht“. | |
Die Olympischen Spiele in Tokio waren für Israel die erfolgreichsten seiner | |
Geschichte: Vier Medaillen, davon zwei goldene, hat es in seiner Geschichte | |
noch nie gegeben. Platz 39 in der Nationenwertung, punktgleich mit Irland | |
und noch vor Rumänien, Österreich, Argentinien oder Südafrika. Linoy Ashram | |
ist zudem die erste Frau, die für Israel Gold gewonnen hat. | |
Auch der andere Olympiasieger von Tokio, der Turner Artem Dolgopyat, der | |
die Bodenübung gewann, hat für eine politische Debatte gesorgt. Dolgopyat | |
stammt aus der Ukraine, 2012 wanderte seine Familie nach Israel ein. Seine | |
Mutter ist keine Jüdin, aber die Großmutter väterlicherseits. Als eine der | |
Ersten, die sich nach dem Olympiasieg meldeten, kritisierte die Mutter des | |
Turners, Angela Bilan, die Macht der Religiösen im Land. „Damit ich | |
Enkelkinder bekomme, muss er doch verheiratet sein“, sagte sie in einem | |
Radiointerview, „das Land lässt ihn aber nicht heiraten.“ Eine Zivilehe | |
gibt es in Israel nicht, zuständig ist das orthodoxe Oberrabbinat, und das | |
erkennt Dolgopyat nicht als Juden an. Was viele säkulare Israelis machen, | |
im Ausland heiraten, funktioniert in Coronazeiten nicht so gut. | |
Tourismusminister Yoel Razvozov schaltete sich ein: Es gehe nicht an, dass | |
„Israels Stolz auf dem Medaillentreppchen zweitklassig unter der Chuppa“, | |
dem Baldachin, unter den sich bei einer jüdischen Hochzeit die Brautleute | |
stellen, behandelt werde. Dolgopyat selbst ist die Debatte, die seine | |
Mutter angestoßen hat, unangenehm. Es sei seine Privatsache, erklärte er. | |
„Ich glaube, es ist nicht passend, dies vor dem gesamten Land zu erörtern.“ | |
## Auch die Fußballer kicken am Schabbat | |
Doch es bleibt der Eindruck, dass es der nach langem Daraufhinarbeiten sich | |
endlich einstellende Erfolg Israels im Weltsport ist, der eine Abwendung | |
von der Macht der Religiösen bewirken könnte – oder zumindest dabei | |
mithilft. Dass ein Festhalten etwa an den Schabbatvorschriften nicht zum | |
Weltsport passt, hatte das Internationale Olympische Komitee noch kurz vor | |
den Spielen der israelischen Marathonläuferin [2][Beatie Deutsch] | |
klargemacht. Die orthodoxe Jüdin hatte eine Verschiebung des Wettbewerbs | |
von Samstag auf Freitag gefordert. Und wenn Ende August die israelische | |
Profifußballliga startet, wird sie das wieder einmal am Samstag tun. Das | |
ist immer wieder umstritten, aber derzeit lautet die Planung so. | |
Diese innergesellschaftlichen Streitereien, die den israelischen Sport | |
ereilen, sind aber nicht die einzigen politischen Probleme. Gerade der | |
Olympiasieg von Linoy Ashram sorgte für einen bemerkenswerten [3][Konflikt | |
mit Russland]. Die russische Weltmeisterin in der rhythmischen | |
Sportgymnastik, Dina Averina, wurde nämlich nur Zweite und schimpfte: „Die | |
israelische Gymnastin hatte einen Fehler gemacht und dennoch die höchste | |
Wertung erhalten, das ist nicht fair.“ Dieser Ansicht schlossen sich das | |
Russische Olympische Komitee und sogar das Außenministerium an. „Die ganze | |
Welt hat die Ungerechtigkeit gesehen“, twitterte das Olympiakomitee. Und | |
die Sprecherin des Moskauer Außenamtes schimpfte über einen „russophoben | |
Krieg gegen den Sport“, der sich in dieser Wertung zeige. | |
Dass die Attacken von außen helfen, die innenpolitischen Debatten über die | |
religiösen Vorschriften zu befrieden, gilt als wenig wahrscheinlich. | |
Schließlich hat Linoy Ashram ihren großen Erfolg ja tatsächlich am Schabbat | |
errungen. Kritik, wie sie der rechtsextreme Politiker Smotrich vorträgt, | |
wirkt da eher wie ein Rückzugsgefecht: „Es ist traurig, dass es hier | |
diejenigen gibt, die Medaillen nutzen, um über den Schabbat und diejenigen, | |
die ihn halten, zu lachen.“ | |
12 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.timesofisrael.com/liveblog_entry/far-right-leader-slams-netanya… | |
[2] /Juedische-Laeuferin-bei-Olympia/!5787612 | |
[3] https://www.timesofisrael.com/russia-seeks-probe-into-rhythmic-gymnastics-j… | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2021 | |
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