# taz.de -- Kalter Krieg auf Arabisch | |
> Fehras Publishing Practices arbeiten Versuche der Sowjetunion und der USA | |
> auf, die arabischsprachige Welt mit Literatur zu vereinnahmen. Dabei | |
> hilft ein Stipendium des Berliner Förderprogramms Künstlerische Forschung | |
Bild: Fehras Publishing Practices „Borrowed Faces: Future Recall (3)“, 2021 | |
Von Sabine Weier | |
Im Beirut der 1960er Jahre treffen Hala Haddad, Huda Al-Wadi und Afaf Samra | |
aufeinander. Die drei Frauen arbeiten für Verlage oder im eigenen | |
Buchladen. In dem Fotoroman, in dem sie auftreten, werden sie in einen | |
kulturellen Wettstreit verstrickt, der auf Buchseiten und Magazincovern | |
ausgetragen wird: Im Kalten Krieg kämpfen die Sowjetunion und die USA um | |
die ideologische Vorherrschaft in Nordafrika und dem Östlichen Mittelmeer. | |
Erdacht haben Sami Rustom, Omar Nicolas und Kenan Darwich vom | |
künstlerischen Kollektiv Fehras Publishing Practices die Frauen, und sie | |
schlüpfen auch gleich selbst in deren Rollen. Bärtig in bunt gemusterte | |
Vintagekleider gehüllt geben sie vor detailverliebt gestalteten Kulissen | |
Einblicke in den Kampf der Ideologien. Der sowjetische Verlag Progress | |
importiert Lenin, Marx und Engels auf Arabisch, das Franklin Book Program | |
entgegnet dem mit Übersetzungen von US-Literatur. | |
Natürlich ist die Sache komplizierter, denn die Supermächte treffen auf | |
bestehende ideologische Bewegungen im arabischsprachigen Raum, die | |
ihrerseits verlegerische Strukturen und literarische Strömungen | |
hervorbringen. Diese wiederum werden von Progress und Franklin mit Geld | |
unterstützt und deren Netzwerke infiltriert. Eine komplexe Gemengelage, die | |
der Fotoroman erstaunlich anschaulich macht. | |
Mit ihrem Langzeitforschungsprojekt „Borrowed Faces“ nehmen Rustom, Nicolas | |
und Darwich derzeit am Berliner Förderprogramm Künstlerische Forschung | |
teil. Es wurde 2020 von der Gesellschaft für künstlerische Forschung in | |
Deutschland (gkfd) ins Leben gerufen. Sie führen die Ergebnisse aus | |
mehreren Jahren Forschung in Archiven, hauptsächlich in Beirut, der 1950er | |
und 1960er Jahre zusammen. Dafür stöberten sie in Bibliotheken, Memoiren | |
und Verlagsnachlässen, führten Interviews und trugen Dokumente zusammen, | |
scannten unzählige Seiten. In dem entstandenen Archiv decken sie | |
Beziehungen und verschüttete Geschichten auf. | |
Die Gruppe gehört zum ersten Jahrgang der Stipendiat:innen. Mit einer | |
Präsentation in den temporären Räumen des Programms im [1][Haus der | |
Statistik am Alexanderplatz] und parallel in der Londoner Galerie Mosaic | |
Rooms geben sie derzeit Einblicke in ihre Arbeit. Gerade entsteht ein neues | |
Kapitel. Es dreht sich um zwei weitere Organisationen, die zeitgleich in | |
den beschriebenen Wettstreit drangen. | |
Eine davon ist die 1958 gegründete Afro-Asiatische | |
Schriftstellerorganisation. Sie stand der Bewegung Blockfreier Staaten nahe | |
und gab das Magazin Lotus mit Übersetzungen afrikanischer und literarischer | |
Literatur ins Arabische, Englische und Französische heraus. Unterstützt von | |
arabischen Intellektuellen stärkte die Organisation das Verlagswesen im | |
Globalen Süden und stellte sich der im Fahrwasser der kolonialen Befreiung | |
erneut drohenden Aufteilung der Welt entgegen. Später wurde Lotus selbst | |
von der Sowjetunion vereinnahmt. | |
Der US-amerikanische Congress for Cultural Freedom (CCF) wiederum richtete | |
Konferenzen aus und gab Kulturzeitschriften heraus, um Intellektuelle gegen | |
den Kommunismus in Stellung zu bringen. Das 1962 vom CCF in Beirut | |
gelaunchte Magazin Hiwar wurde schon 1966 wieder eingestellt, nachdem | |
bekannt wurde, dass sich der CCF aus Mitteln der CIA finanzierte. | |
Hala, Huda und Afaf treffen sich bald wieder, bei einem Kongress mit | |
führenden arabischen Schriftsteller:innen, den der CCF Anfang der 1960er | |
Jahre bedrängt durch die Popularität von Lotus in Rom ausrichtete. In einer | |
Videoarbeit thematisiert die Gruppe zunächst die Hürden der | |
Forschungsarbeit: Der Zugang zum Archiv des CCF, das sich heute im Besitz | |
der University of Chicago Library befindet, ist streng geregelt. So stehen | |
die Archivboxen, mit denen Rustom, Nicolas und Darwich auf inszenierten | |
Fotografien posieren, zunächst für die Ein- und Ausschlussmechanismen, die | |
Archive produzieren und damit auch koloniale Hegemonien reproduzieren. | |
Einen Gegenentwurf hat die Gruppe auch in Petto: Ihr eigenes Archiv hat sie | |
digitalisiert und macht es per Verschlagwortungssystem zugänglich, zu dem | |
Interessierte auch selbst Begriffe hinzufügen können – derzeit noch in den | |
Räumen in Berlin und London, künftig aber auch im Word Wide Web. | |
Es ist eines der wichtigsten Anliegen der künstlerischen Forschung, | |
tradierte Methoden der Wissensproduktion infrage zu stellen. Mit dem | |
Berliner Förderprogramm Künstlerische Forschung hat das Feld eine | |
Institution bekommen, die mit Mitteln des Senats nun längerfristig planen | |
kann. 30.000 Euro stehen jährlich für zwei Jahre Förderzeitraum zur | |
Verfügung. Bewerben können sich Einzelpersonen oder Gruppen aller | |
Disziplinen. Gerade läuft der Aufruf für die nächste Runde. | |
Die künstlerische Forschung in Archiven ist mittlerweile eine etablierte | |
Praxis. Sie ermöglicht Künstler:innen den Eintritt in Prozesse der | |
Historisierung und wird auch als eine Form des Widerstands gegen | |
hegemoniale Ordnungen genutzt – bei Fehras Publishing Practices schon | |
allein durch das Einführen queerer und weiblicher Charaktere, deren Stimmen | |
in Archiven und historischen Erzählungen meist abwesend sind. | |
Fehras Publishing Practices: Borrowed Faces, bis 29. August, Haus der | |
Statistik [2][kuenstlerischeforschung.berlin] | |
10 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /!5748596&SuchRahmen=Print | |
[2] http://kuenstlerischeforschung.berlin | |
## AUTOREN | |
Sabine Weier | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |