# taz.de -- Zungen, Haare, Fahnen | |
> Alles wird zu Zeichen, wenn die eigene Sprache verboten ist: In der nGbK | |
> erzählen kurdische Künstler:innen von der Unterdrückung der eigenen | |
> Identität, Trauma und Exil | |
Bild: Ein Zeichen setzen: Şener Özmen, „Flag“ 2010 | |
Von Sabine Weier | |
Auf einer lebensgroß aufgezogenen Fotografie stehen vier Männer in Anzügen. | |
Halskrausen geben ihren Köpfen Halt. Sie schauen nach oben auf eine Flagge, | |
die einer von ihnen gerade hisst, die aber außerhalb des Bildrandes liegt. | |
Kurdische Flaggen sind in der Türkei verboten. Die türkische zu hissen ist | |
hingegen ein alltägliches Ritual. Auch in Schulen, wo kurdische | |
Intellektuelle, die Şener Özmen hier zeigt, als Lehrer:innen arbeiten. | |
Im Eingangsbereich der Ausstellung [1][„bê welat – the unexpected | |
storytellers“], die jetzt in der nGbK kurdische Kunst versammelt, beginnt | |
mit Özmens Arbeit eine Erzählung über die Traumata in einem kolonisierten | |
Alltag. Die kurdischen Gebiete erstrecken sich über die Türkei, den Irak, | |
den Iran und Syrien. Der größte Teil befindet sich in der Türkei, wo | |
Kurd:innen unterschiedlichen Repressionen ausgesetzt sind. | |
Kurdisch sein heißt ein Leben im ständigen Widerstand gegen die | |
Unterdrückung der eigenen Identität, der eigenen Geschichte, der Sprache | |
der Eltern und Großeltern. Unter solchen Bedingungen geschaffene Kunst ist | |
immer auch politisch. | |
Das könne auch ermüdend sein, sagt Duygu Örs, eine der Kurator:innen | |
der Ausstellung, die als Kurdin in Deutschland geboren und aufgewachsen | |
ist. So wie es ermüdend sei, die ständigen kleinen Kämpfe im Alltag zu | |
kämpfen, etwa wenn es darum ginge, die eigene Sprache zu beleben, die nicht | |
gesprochen werden dürfe. | |
Sprache ist ein wiederkehrendes Thema in der Ausstellung. Miro Kaygalak | |
rief Kurd:innen im Internet dazu auf, für die Online-Kampagne „qwx: show | |
your lingua“ Selfies mit herausgestreckter Zunge zu veröffentlichen. Die | |
Buchstaben Q, W und X kommen in den kurdischen Sprachen häufig vor. Ihre | |
Verwendung, etwa auf Postern, wird in der Türkei als separatistische | |
Propaganda verfolgt. | |
Die in Deutschland lebende Havin Al-Sindy zeigt eine Videoperformance, in | |
der sie und ihr Partner, die beide kurdisch sind, aber nicht beide die | |
kurdische Sprache sprechen, sich getrennt von zwei Lehmmasken schwer atmend | |
küssen und dabei die Masken immer wieder verformen. Es ist eine | |
Schlüsselarbeit in der Ausstellung, die zeigt, wie sich die traumatische | |
Erfahrung einer unterdrückten Identität auch im Exil fortsetzt. | |
Haare als Träger von Erbe und Erinnerung stehen im Fokus einer | |
Videoperformance von Fatoş Irwen. Als politische Gefangene war sie im | |
berüchtigten Gefängnis von Diyarbakır in der Türkei interniert, wo das | |
Herausreißen von Haaren eine Foltermethode ist. Irwen nimmt ihre langen | |
schwarzen Haare immer wieder in den Mund und zieht sie wieder heraus, | |
findet so ein Bild für ihr Trauma. | |
Aus Nashville, wo die größte kurdische Diaspora in den USA zu Hause ist, | |
kommt Nuveen Barwari. Sie zeigt verpixelte Nachrichtenbilder: das Porträt | |
der von türkischen Milizen ermordeten kurdischen Politikerin Hevrin Khalaf, | |
umrandet von einem Rahmen aus kulturell aufgeladenen Materialien, wie | |
farbigen Stoffen, glitzerndem Tüll und Plastikblumen. Dazu eine Szene aus | |
dem syrischen Kobanê nach dem Rückzug der US-amerikanischen Truppen: in | |
flauschige, von bunten Blumenprints übersäten Decken eingewickelte tote | |
Körper. Auf dem Boden neben dem Bild liegt eine dieser Decken, die sich in | |
jedem kurdischen Haushalt findet – so gefaltet, wie es mit der US-Flagge | |
bei der Beerdigung von Soldaten üblich ist. | |
Die ebenfalls in Nashville lebende Beizar Aradini nutzt ein traditionelles | |
kurdisches Handwerk als künstlerische Ausdrucksform: Filigran in Tüll | |
gestickte Porträts und Familienszenen hängen von der Decke herab und wiegen | |
sich sanft im Raum. Zelal Özkan zeigt Gemälde kurdischer Wohnungen. | |
Gegenüber gibt ein Video von Savaş Boyraz Einblicke in den abendlichen Tanz | |
kurdischer Widerstandskämpfer:innen am Lagerfeuer. „Die Arbeit zeigt | |
ein Warten außerhalb der Kampfszenen, eine intime Situation, die für die | |
Kämpfer:innen eine andere Art von Zuhause ist“, sagt Örs. | |
Immer wieder tauchen die ikonischen Gebirgsreliefs kurdischer Landschaften | |
auf. Zum Beispiel als Hintergrund von Savaş Boyraz’ fotografischen Porträts | |
der Kämpfer:innen, die von mehreren Dia-Karussellen auf die Wand projiziert | |
werden, oder auf Elif Küçüks großformatiger Fotografie, die auf einer | |
gemeinsam mit ihrem Vater unternommenen Reise in die Herkunftsregion | |
stammt. Hêlîn Şahins digitale Skulpturen greifen typische Elemente dieser | |
Landschaften auf, dazu kulturelle Zitate, wie den rot-weiß gemusterten | |
Schal. | |
Mit einem Landschaftsgemälde zitiert Mahmut Celayir die Malerei der | |
deutschen Romantik, nur als Antithese: Diese Landschaft ist schwarz wie | |
verbrannt, der einzelne Mensch in deren Mitte hält etwas, das man als | |
Wanderstock, aber auch als Gewehr deuten könnte. | |
Trotz der Schwere der Themen ist die Stimmung der „bê welat“-Ausstellung | |
erstaunlich leicht. | |
„Wir wollten die Entschlossenheit und gleichzeitig auch das Intime und | |
Zärtliche in den Arbeiten hervorheben“, sagt Örs. So steht die Schau auch | |
für eine Resilienz, die ein Überleben in immerzu widrigen Umständen erst | |
möglich macht. | |
„bê welat“: nGbK, Oranienstraße 25, bis 15. August | |
10 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ngbk.de/de/show/500/be-welat-the-unexpected-storytellers | |
## AUTOREN | |
Sabine Weier | |
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