| # taz.de -- Vowürfe gegen Polizei-Gewerkschafter: Grenzen des Strafrechts | |
| > Der Ex-Chef der Thüringer Polizeigewerkschaft soll seine ehemalige | |
| > Mitarbeiterin sexuell genötigt haben. Doch die Ermittlungen werden | |
| > eingestellt. | |
| Bild: Will erneut kandidieren: Ex-GdP-Chef in Thüringen, Kai Christ | |
| Leipzig taz | Die Bilder sind eindeutig. Kai Christ, wie er einen | |
| Gute-Nacht-Gruß in die Kamera säuselt und einen Kussmund formt. Wie er | |
| onaniert, die Kamera dabei auf sein erigiertes Genital gerichtet. Es sind | |
| Aufnahmen, die der ehemalige Landeschef der [1][Gewerkschaft der Polizei | |
| (GdP)] in Thüringen 2019 an eine damalige Mitarbeiterin verschickt hat. Die | |
| taz konnte die Nachrichten sichten. | |
| Im April dieses Jahres [2][wird der Fall öffentlich bekann]t, als der | |
| Spiegel darüber berichtet. Ebenso wird bekannt, dass die Staatsanwaltschaft | |
| gegen Christ ermittelt – zu diesem Zeitpunkt seit über einem Jahr. Der | |
| Vorwurf laut Akte: „Sexueller Übergriff (Ausnutzung des körperlichen oder | |
| psychischen Zustands).“ Der damalige GdP-Chef soll seine ehemalige | |
| Mitarbeiterin sexuell genötigt haben, ihr auf der Dienststelle seine | |
| Genitalien gezeigt, an die Brüste und in den Schritt gefasst haben, einmal | |
| soll er sie sogar zum Oralsex gedrängt haben. | |
| Erst nach Bekanntwerden der Vorwürfe im April, also über ein Jahr nach | |
| Beginn der Ermittlungen, tritt Christ von seinem Amt als Landeschef der GdP | |
| zurück. Im Juni 2021 stellt die Staatsanwaltschaft Erfurt [3][das | |
| Ermittlungsverfahren gegen ihn ein]. Ein hinreichender Tatverdacht sei | |
| nicht festgestellt worden. | |
| Aber es bleiben Fragen. Wenn Christ unschuldig ist, was hat es dann mit den | |
| Dickpics und Masturbationsvideos auf sich? Wieso spricht die Betroffene von | |
| Übergriffen? Warum ist Christ erst ein Jahr nach Beginn der Ermittlungen | |
| zurückgetreten? Und warum dauerten diese eigentlich so lange? | |
| ## „So sagt man Danke bei der GdP.“ | |
| Die taz hat mit einem Zeugen, dem Anwalt der Betroffenen, der | |
| Staatsanwaltschaft und dem Thüringer Innenminister gesprochen. Sie hat | |
| Anzeigen und Chatprotokolle sowie Videos gesichtet. Was bleibt, ist ein | |
| verworrenes Bild aus internen Machtkämpfen, langem Schweigen und der | |
| Frage, welche Grenzen das deutsche Strafrecht hat, wenn es um | |
| sexualisierten Machtmissbrauch geht. | |
| Es gibt ein Foto der Betroffenen, die die taz zum Schutz ihrer | |
| Persönlichkeit Martina Hecht nennt. Eine lächelnde Frau mit grünblauen | |
| Augen, die Hand an der dunkelblauen Basecap auf ihrem Kopf. In weißen | |
| Lettern ist darauf das Logo und der Schriftzug „Gewerkschaft der Polizei“ | |
| gestickt. Sie trägt diese Kappe mit Stolz. Entstanden ist das Foto im Juni | |
| 2019. | |
| Zu dieser Zeit arbeitet Hecht bei der Gewerkschaft der Polizei in der | |
| Öffentlichkeitsarbeit – ein Job, den zuvor vor allem Kai Christ übernommen | |
| hatte. | |
| Mit Christ hat Hecht damals ein sexuelles Verhältnis. Im Kontext dessen | |
| entstehen die Fotos und Videos, auf denen Christ seine Genitalien | |
| präsentiert, ebenso wie einige anzügliche Chatnachrichten, die die taz | |
| ebenfalls sichten konnte. Moralisch verwerflich oder gar strafrechtlich | |
| relevant ist zu diesem Zeitpunkt nichts. | |
| Nach weniger als einem Jahr kündigt Hecht ihr Anstellungsverhältnis. Und | |
| das, obwohl sie nach eigener Aussage in einer prekären finanziellen Lage | |
| war. Warum? | |
| Der taz liegt ein Dokument vor, das die Betroffene an eine interne | |
| Ermittlerin geschickt hat. Darin schildert sie Situationen, die sie mit | |
| Herrn Christ erlebt haben will. Sie habe gefragt, ob sie eine der | |
| Gummibärchen-Tütchen haben könne, die in seinem Büro lagen. Er habe dann | |
| die Tür von seinem Büro zugeschmissen, den Reißverschluss heruntergezogen, | |
| seinen erigierten Penis herausgezogen und gesagt: „So sagt man Danke bei | |
| der GdP.“ | |
| Ein anderes Mal habe er von ihr verlangt, dass sie ihren Dildo, während er | |
| Mittagessen holte, so lange in sich drin lasse, bis er zurück aus dem | |
| Geschäft komme. Sie schreibt, sie habe getan, was er sagte. „Ich wollte ihn | |
| nicht böse machen.“ Und sie sagt auch, es habe nie ein eindeutiges „Nein“ | |
| von ihr zu den sexuellen Handlungen gegeben. | |
| Für die Staatsanwaltschaft sind die Aussagen von Hecht ausreichend. | |
| Staatsanwalt Hannes Grünseisen, der die Ermittlungen leitete, erklärt | |
| gegenüber der taz: „Was die Zeugin geschildert hat, mag moralisch | |
| verwerflich sein – nicht jedoch strafrechtlich relevant.“ | |
| In der Juni-Ausgabe der Bundeszeitschrift der Gewerkschaft schreibt der | |
| Landesseniorenvorsitzende der GdP, das persönliche Verhältnis zwischen | |
| Christ und Hecht habe zu ihrer Anstellung geführt. Und: „Über dieses | |
| Verhältnis hat er die anderen am Einstellungsvorgang beteiligten | |
| Landesvorstandsmitglieder im Unklaren gelassen.“ | |
| Auch, wenn es also keine sexuelle Nötigung gegeben hat: Christ hat seine | |
| Machtposition ausgenutzt, um seiner Sexualpartnerin einen Job zu | |
| verschaffen, und sie während der Arbeitszeit zu sexuellen Handlungen | |
| aufgefordert. Er selbst bestritt die Vorwürfe jedoch stets. Aber auch das | |
| steht in der GdP-Zeitschrift: „Er hat leider aber auch nichts getan, um | |
| die Vorwürfe zu entkräften oder aufzuklären.“ Dabei habe er „Zeit und | |
| Gelegenheit“ gehabt, den Landesvorstand darüber zu unterrichten und darauf | |
| zu reagieren. | |
| Außerdem gibt es Zweifel daran, ob die Ermittlungen umfänglich waren. Ein | |
| Polizist und GdP-Mitglied, der die Betroffene bei der Anzeige unterstützt | |
| und auch als Zeuge im Ermittlungsverfahren ausgesagt hat, sagt: Die | |
| Staatsanwaltschaft habe für das Strafverfahren relevante Zeug:innen gar | |
| nicht erst geladen, mögliche Beweismittel nicht beschlagnahmt und | |
| mutmaßliche Tatorte nicht gesichert. | |
| ## Ermittlungen gegen den Staatsanwalt | |
| Er hat deshalb Anzeige wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt und | |
| des Verdachts der Rechtsbeugung gestellt. Der taz liegt diese Anzeige vor. | |
| Darin ist auch von einer „Verschleppung“ des Ermittlungsverfahrens die | |
| Rede. Kritiker des Zeugen, die anonym bleiben wollen, werfen ihm hingegen | |
| „interne Machtkämpfe“ vor. | |
| Es gibt auch ein internes Schreiben der GdP, das der taz vorliegt. Darin | |
| forderten sechs Kreisvorsitzende der Gewerkschaft den Landeschef noch vor | |
| dessen Rücktritt genau dazu auf. Auch sie schreiben darin: „Die | |
| unverständlich lange Dauer des staatsanwaltschaftlichen | |
| Ermittlungsverfahrens und das ebenfalls nicht zu verstehende ignorante | |
| Verhalten, des mit so schweren Vorwürfen belasteten Landesvorsitzenden, | |
| lassen nur den Schluss zu, dass jetzt gehandelt werden muss.“ Es steht also | |
| auch die Frage im Raum, warum das Ermittlungsverfahren über ein Jahr lang | |
| gedauert hat. | |
| Staatsanwalt Grünseisen, gegen den nun auch ermittelt wird, weist die | |
| Vorwürfe zurück. Die Ermittlungen seien umfangreich geführt worden, die | |
| Geschädigte sei viele Stunden gehört worden. Aus den Aussagen habe sich | |
| klar ergeben, dass nur sie und Kai Christ selbst an den fraglichen | |
| Situationen beteiligt waren. Es habe keine Hinweise auf Zeug:innen | |
| gegeben, die etwas zum unmittelbaren Tatgeschehen hätten sagen können – | |
| demnach seien auch die genannten potenziellen Zeug:innen nicht gehört | |
| worden. | |
| Doch selbst wenn Christ sich nicht der sexuellen Nötigung strafbar gemacht | |
| hat, bleibt die Frage: Wieso kann ein Polizeibeamter und Gewerkschaftschef | |
| ein geheimes sexuelles Verhältnis zu einer Angestellten haben, seine Macht | |
| für weitere sexuelle Gefälligkeiten nutzen und trotzdem noch ein Jahr nach | |
| Bekanntwerden dessen weiterhin unbehelligt in seinem Amt bleiben? | |
| Jürg Kasper ist der Anwalt von Martina Hecht. Er sagt: „Wenn man jemandem | |
| in einer finanziellen Notlage ein Jobversprechen macht und diese Lage dann | |
| so ausnutzt, indem man in den Arbeitsräumen sexuelle Gefälligkeiten | |
| erwartet, dann spielt es keine Rolle, ob das einvernehmlich war oder unter | |
| Zwang geschah.“ Für den Juristen ist klar, dass unabhängig der | |
| strafrechtlichen Bewertung eine Verletzung des Arbeitsrechts besteht. „Es | |
| hätte genug Gründe gegeben, ihn fristlos zu kündigen“, sagt Kasper. „Herr | |
| Christ hat das Über- und Unterordnungsverhältnis am Arbeitsplatz | |
| ausgenutzt.“ In dem Beschluss der Staatsanwaltschaft spiele dieser Aspekt | |
| jedoch keine Rolle. | |
| Es geht dabei um mehr als um den Einzelfall. Es geht auch um die Frage, ob | |
| das deutsche Strafrecht in der Lage ist, die Komplexität von sexualisiertem | |
| Machtmissbrauch zu erfassen. Denn nur die wenigsten angezeigten Fälle | |
| führen tatsächlich auch zu einer Verurteilung. [4][Eine Recherche von rbb | |
| und Kontraste] im Jahr 2020 hat ergeben, dass zwei Drittel aller Verfahren | |
| im Bereich Sexualdelikte von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurden. | |
| Opferhilfeorganisationen kritisieren eine mangelnde Sensibilität bei | |
| ermittelnden Beamten. | |
| ## Er will erneut kandidieren | |
| Der Thüringer Innenminister Georg Maier ist für die Polizei zuständig. | |
| Immer dann, wenn in der Behörde etwas schiefläuft, muss der SPD-Politiker | |
| Rede und Antwort stehen. So auch in diesem Fall. Maier stand in der Kritik, | |
| weil die Vorwürfe gegen Christ schon über ein Jahr bekannt waren, jedoch | |
| keine Konsequenzen gezogen wurden. Fragt man ihn, warum er nicht | |
| eingegriffen hat, sagt er, dass er der Staatsanwaltschaft in ihren | |
| Ermittlungen vertraue – und keinen Anlass dazu gehabt habe, zu glauben, | |
| dass es zu Verzögerungen komme. | |
| Außerdem, so beteuert der Minister gegenüber der taz am Telefon, habe er | |
| nicht den gesamten Umfang der Vorwürfe gekannt. Lediglich von einem Dickpic | |
| habe er gewusst. „Es gilt die Unschuldsvermutung“, sagt Maier. Und er | |
| erklärt, dass er nicht gezögert hätte, harte disziplinarrechtliche | |
| Konsequenzen für Christ zu ziehen, wenn es strafrechtliche Ergebnisse | |
| gegeben hätte. Offen bleibt jedoch, warum Maier nicht vollumfänglich über | |
| die Vorwürfe informiert wurde. Maier selbst sagt, er sehe kein | |
| Fehlverhalten bei sich, habe jedoch gelernt, dass es neben der | |
| strafrechtlichen eben immer auch noch eine andere Seite gebe. | |
| Martina Hecht wird gegen die Einstellung der Ermittlungen keine Beschwerde | |
| einlegen, aus Angst vor weiteren Konsequenzen und dem Schutz ihrer | |
| Persönlichkeit, wie ihr Anwalt sagt. Eine Schadensersatzklage werde er sich | |
| jedoch vorbehalten. Kai Christ war für die taz bis Redaktionsschluss nicht | |
| zu erreichen. Im Juni hat er angekündigt, dass er zur Vorstandswahl der GdP | |
| im März 2022 erneut als Landeschef kandidieren will. | |
| 9 Jul 2021 | |
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| [3] https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/mitte-thueringen/erfurt/verfahren… | |
| [4] https://www.tagesschau.de/investigativ/kontraste/sexualstraftaten-101.html | |
| ## AUTOREN | |
| Sarah Ulrich | |
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