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# taz.de -- Überfall auf die Sowjetunion 1941: 2.500 Euro Gnadenbrot
> Die Bundesregierung hat Entschädigungszahlungen für einstige sowjetische
> Kriegsgefangene beschlossen. Nikolai Orlow wartet noch immer darauf.
Bild: Nikolai Orlow, 95, geriet als Minderjähriger in deutsche Kriegsgefangens…
„2016 haben wir erneut einen Antrag gestellt“, erzählt Nikolai Orlow mit
kräftiger Stimme. Kurz zuvor hatte die Bundesrepublik noch einmal
Entschädigungsleistungen für sowjetische Kriegsgefangene beschlossen:
einmalige Zahlungen in Höhe von 2.500 Euro. Orlows Enkel kümmerte sich um
den Antrag, auch er hat bereits das Rentenalter erreicht. „Wir warten immer
noch auf eine Antwort“, sagt sein Großvater mit 95 Jahren gelassen. „Wenn
sie sich nicht melden, habe ich wohl keinen Anspruch.“
Orlow saß in einem Lager in der Nähe von Smolensk, bis die Deutschen ihn
gegen Kriegsende zum Arbeitseinsatz nach Italien schickten. Weil er da noch
minderjährig war, hätte er wohl keinen Anspruch auf Entschädigung, vermutet
er. In den 1990er Jahren hat er einmal eine Entschädigungszahlung erhalten.
Allerdings ist Orlow kein hilfloser Rentner, jahrelang arbeitete er im
Moskauer Veteranenkomitee. Ehrenamtlich. Seine Odyssee begann im
Snamenski-Rajon im Gebiet Smolensk. In jenem Lager saßen russische
Kriegsgefangene, Orlow wurde als Pferdeknecht eingesetzt. Von hier aus
marschierten sie im Konvoi bis Belarus, wo sie in einen Pferdewaggon
verfrachtet wurden, erzählt Orlow. Die Fahrt endete in Rocchetta bei
Ravenna in Italien. Dort arbeiteten die Häftlinge in einer Ziegelfabrik.
„Damals waren die Amerikaner schon im Süden Italiens. Wir sollten verlegt
werden“, erzählt er. Er nutzte amerikanische Luftangriffe zur Flucht. Zwei
Wochen streifte Orlow durch die Berge, bis er auf Partisanen der
Garibaldi-Brigade traf, der er sich anschloss. Noch in den 1990er Jahren
trafen sich die ehemaligen Brigadisten in Italien oder Russland.
## Glaube an die Sowjetunion
Die Amerikaner entwaffneten die Partisanen, Nikolai Orlow wurde in ein
Lager für deutsche Kriegsgefangene bei Livorno gesteckt. „Wir traten in den
Hungerstreik. Und siehe da, nach kurzer Zeit wurden wir nach Rom verlegt!“,
wundert sich Orlow noch heute. Danach seien sie auf eine kleine Weltreise
geschickt worden: von Rom nach Neapel bis nach Taranto. Von dort ging es
per Schiff ins ägyptische Alexandria. Weiter über Suez, Teheran und Baku.
„Am 1. Januar 1945 war ich wieder in Russland. Das war mein Leben als
Soldat“, sagt der Veteran.
Danach wurde es beschaulicher. Nikolai Orlow kümmerte sich um die
sowjetische Landwirtschaft. Einige Erfolge hätte er auch vorzuweisen, sagt
er bescheiden. Insgesamt verschlechterte sich die Lage aber immer weiter,
räumt er ein. Am Ende sei die Sowjetunion zusammengebrochen. Orlow bedauert
das, aufrichtig.
Die Kriegserfahrungen vieler Veteranen nahmen der Generation den Glauben an
gewaltsame Lösungen. Wenn doch nur Frieden herrschte, lautete die Hoffnung.
Neonazis und Unruhestifter seien heute jedoch wieder am Werk, sagt Nikolai
Orlow aufgebracht. Angeblich verbreiteten sie sich in Windeseile und würden
in der Ukraine schon den Staat beherrschen, fürchtet er.
Der Veteran gibt wieder, was das russische staatliche Fernsehen den
Zuschauern regelmäßig einbläut. Wie erholsam sei früher das Fernsehen
gewesen, sagt der Veteran. Heute werde über alles berichtet, was vom Himmel
falle, beklagt sich Orlow.
21 Jun 2021
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Sowjetunion
Kriegsgefangenschaft
Alstom
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