# taz.de -- heute in hamburg: „Lehrkräfte sind Rollenvorbilder“ | |
Interview Lukas Door | |
taz: Herr Fereidooni, wie divers sind deutsche Schulen und Universitäten? | |
Karim Fereidooni: Es kommt auf die Schulen an. Je prestigeträchtiger die | |
Schulform ist, desto weniger divers ist sie. Ganz am Ende der Pyramide | |
stehen die Universitäten, die leider kein Spiegelbild der Gesellschaft | |
darstellen. Wenn wir uns beispielsweise anschauen, wer an Universitäten | |
lehrt, dann müssen wir feststellen, dass sowohl Frauen als auch Menschen of | |
Color und Schwarze Menschen bedeutend seltener Professuren innehaben. | |
Was gilt in dieser Gesellschaft als „normal“? | |
Als „normal“ wird eine Person wahrgenommen, die heterosexuell ist, aus dem | |
Bildungsbürgertum stammt und dessen Eltern bei den Hausaufgaben helfen | |
können. Das sind die Normalitätsvorstellungen. Das deutsche Schulsystem ist | |
nämlich darauf ausgerichtet, dass Eltern ihre Kinder auf der | |
weiterführenden Schule unterstützten. Wenn deine Eltern dazu nicht in der | |
Lage sind, sinkt die Wahrscheinlichkeit des eigenen Bildungserfolgs. Die | |
„Normalität“ sieht ebenfalls vor, dass Lehrkräfte aussieben müssen. Wenn | |
jemand zu schlecht ist für das Gymnasium, dann geht sie*er auf die | |
Realschule. Man kann jedoch nicht im Alter von zehn Jahren wissen, ob Karim | |
letztendlich Akademiker wird oder nicht. | |
Warum wollen Sie diese „Normalitäten“ gerade im Bildungswesen abschaffen? | |
Führungs- und Lehrkräfte sind Rollenvorbilder. Auch deswegen wünsche ich | |
mir, dass Lehrkräfte über Normalitätskonstruktionen nachdenken. Oft | |
orientieren wir uns als Lehrende an einer Normalität, die vergleichsweise | |
selten vorkommt. Es geht aber auch darum, dass individuelle Leistungen von | |
strukturellen Maßnahmen flankiert werden. Es soll nicht einfach ein | |
bestimmter Kurs von der Schulleitung durchgesetzt werden, sondern alle | |
schulrelevanten Personen – Eltern, sonstige Arbeitskräfte, Schüler*innen | |
– sollen sich einbringen. Es braucht einen partizipativen Prozess, der alle | |
Lebensrealitäten berücksichtigt. | |
Wie gehen Sie das konkret an? | |
Durch Aufklärungsarbeit und konkrete Umsetzungsbeispiele. Ich habe | |
beispielsweise mit Nina Simon ein Buch herausgegeben: „Rassismuskritische | |
Fachdidaktiken“. Darin haben wir gemeinsam mit weiteren Autor*innen | |
vierzehn verschiedene Fächer fokussiert – Physik, Mathe, Sport und so | |
weiter. Wir haben uns angeschaut, wie in diesen Fächern jeweils | |
rassismuskritisch gearbeitet werden kann. Rassismuskritik ist dabei nur ein | |
Bestandteil von Diversitätskompetenz. Ich würde mir wünschen, dass mithilfe | |
dieser Umsetzungsbeispiele Lehrkräfte angeregt sind, | |
Diversitätssensibilität im pädagogischen Alltag umzusetzen. | |
Haben Sie eine Forderung an die Politik? | |
Meine politische Forderung lautet, die frühzeitige Selektion nach Klasse | |
vier oder sechs abzuschaffen. Zudem brauchen wir weniger statt noch mehr | |
Schulformen. Die Klassen sollten ebenfalls kleiner sein, damit | |
binnendifferenziert gearbeitet werden kann. Ich muss wissen, wann ich | |
Kinder gleich behandeln sollte und wann zu differenzieren ist. Wir sollten | |
nicht länger die Blaupause der heterosexuellen, weiß-deutschen, | |
bildungsbürgerlichen Person vor Augen haben, wenn wir in diversen | |
Klassenräumen unterwegs sind. | |
30 Jun 2021 | |
## AUTOREN | |
Lukas Door | |
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