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# taz.de -- Missglückte Heimat
> Beatrix Langner erzählt von der Einsamkeit eines Kindes in
> Westdeutschland. Als Flüchtlinge stigmatisiert, konnten die Eltern im
> Rheinland nicht Fuß fassen
Von Thomas Schaefer
Möglichen Fragen, inwieweit ihr später Debütroman autobiografisch ist
beziehungsweise wie er möglicherweise im immer noch aktuellen
Diskussionsrahmen um Autofiktion, Memoir, Personal Essay zu verorten sein
könnte, nimmt Beatrix Langner den Wind aus den Segeln, indem sie via
Untertitel ankündigt, sie werde „eine (beinahe) wahre Geschichte“ erzähle…
Mit Geschichten, die der Wahrheit verpflichtet sind, hat die 1950 geborene
Berliner Literaturkritikerin und -wissenschaftlerin bereits Erfahrungen
gesammelt: als Biografin von Jean Paul, Chamisso sowie „Hölderlin und
Diotima“. Auch hat sie ein gepriesenes Buch über Kröten geschrieben.
Wahr am Stoff ihres Romans ist dessen Rahmen. Wie ihre Ich-Erzählerin kam
Langner in Berlin zur Welt, verbrachte die Kindheit ab 1953 im Rheinland,
bevor die Eltern 1964 in die DDR zurückkehrten. Was die zweimaligen
radikalen Wechsel von einem politischen System ins andere für ein Kind
bedeuten, die eigentliche unerhörte Begebenheit, stellt Langner
erstaunlicherweise nicht in den Mittelpunkt des Romans: Die Auswirkungen
der Rückkehr in die DDR werden fast zur Gänze ausgespart, die Einsamkeit
des Kindes im Westen wird erklärt.
Das Mädchen durfte nicht in den Kindergarten, die Eltern wurden als
Flüchtlinge stigmatisiert und hatten wohl auch wenig Neigung, sich ins
katholisch-dörfliche Milieu einzufügen. Mühsam versuchen die zu allem
Überfluss auch noch unverheirateten Eltern, zumindest geschäftlich Fuß zu
fassen, der Vater zunächst als Vertreter, die Mutter mit einem
Kurzwarenladen, beide gemeinsam dann mit einem nicht sehr florierenden
„Kleinen Kaufhaus“. Es sind Motive, die an Hans-Ulrich Treichels Berichte
über eine Flüchtlingsfamilie im westfälischen Versmold erinnern.
Beatrix Langner aber will mehr und legt den Roman überaus komplex an. Den
Rahmen gibt eine Konstellation der unmittelbaren Vergangenheit vor: Die
Tochter hat ihre nach einem Schlaganfall zum Pflegefall gewordene Mutter
bei sich aufgenommen und erzählt ihr nicht nur die Familien-, sondern auch
deutsche Zeitgeschichte, was manchmal etwas boulevardesk ausfällt: „Die
Angst geht um, die alte Angst vor dem Gespenst des Kommunismus, vor der
roten Faust, die nach Europa greift“, heißt es beispielsweise über das Jahr
1945. Die Erinnerungen orientieren sich an zwei Reisen, welche die
Erzählerin in die „missglückte Heimat“ gemacht hat: eine am Dreikönigstag
1989, die andere einige Jahre nach der Wende.
Da sie durch die damit verbundenen Rückblicke springt, ist es mühsam, sich
in der privaten Chronologie zu orientieren – und diese dann auch noch
zeitgeschichtlich einzuordnen. Als wäre das nicht genug, stellt Langner
Analogien zu einem wesentlich größeren Kontext her: Der westdeutsche
Romanschauplatz ist der Braunkohletagebau im Raum Nordeifel/Köln, dessen
brutale Eingriffe in die Landschaft dem Roman nicht nur einen
topografischen, sondern auch metaphorischen Hintergrund geben, den jedem
Kapitel vorgeschaltete, sehr pathetische Passagen aufgreifen.
Darin geht es um nichts Geringeres als die Erdgeschichte, in die sich ein
„vergessenes Kind, verschollen im Holozän“ mehr einfühlt als einordnet:
„Wie tief muss man steigen, um sich selbst auf den Grund zu kommen“, fragt
es programmatisch. Hier geht es um tiefere Bedeutung, um Erinnern,
Vergessen, die Zeit schlechthin, das Erzählen: „Schreiben heißt zuerst sich
selber lesen.“
Nun ja. Schließlich wird noch ein Bogen vom Holocaust im Rheinischen zu den
Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst geschlagen. Ziemlich viel für
einen Roman, in dessen ambitioniertem Setting die Figur der Erzählerin
konturlos bleibt.
19 Jun 2021
## AUTOREN
Thomas Schaefer
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