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# taz.de -- Wo alle herumbasteln, wie sie wollen
> Mit historischen Luftaufnahmen und Karten erzählen Benedikt Goebel und
> Lutz Mauersberger eine interessante Geschichte über Berlins Mitte
Von Jörg Sundermeier
Berlin hat viele Altstädte. Man denke nur an Spandau oder Köpenick. Doch
eine Altstadt, die sich im Zentrum fände, gibt es nicht mehr, nur wenige
letzte Bauten sind noch zu sehen. Und viel Fake. Etwa das Stadtschloss.
Dieser nicht vorhandenen Altstadt widmen sich Benedikt Goebel und Lutz
Mauersberger in ihrem großformatigen Buch „Mitte von oben“, das lange nicht
mehr lieferbar war und nun im Lukas Verlag in überarbeiteter Form
erschienen ist. Goebel und Mauersberger präsentieren darin Luftbilder der
Stadt und nicht nur solche – das Buch beginnt mit einem Ausschnitt des
Plans aus den Lindholz’schen Papieren, der 1658 erschien und erstmals
präzise die Doppelstadt Berlin und Kölln kartografierte, auch dies ja ein
Draufblick auf die Stadt.
Die damalige Stadtfestung, deren nordöstlicher Festungsgraben halbwegs
durch die innerstädtische Bahnlinie mit den Bahnhöfen Hackescher Markt und
Alexanderplatz erkennbar ist und deren südwestliche Begrenzungen von
Spittelmarkt und Hausvogteiplatz markiert werden, stellt die ungefähre
Eingrenzung der Altstadt dar, die die beiden Autoren vornehmen. Und diese
gehen sie nun Viertel für Viertel durch und vergleichen Karten und
Luftbilder.
Dabei fördern sie viel Erhellendes zutage, etwa die Erkenntnis, [1][dass
die Friedrichswerdersche Kirche,] die aktuell von hässlichen Neubauten
umstellt ist, bereits im Jahr 1925 eng umbaut war. Zudem verwundert es,
dass das Marx-Engels-Forum oder die Fischerinsel einst sehr kleinteilig und
eng bebaut waren. Für Stadtplanerinnen und Architekten des frühen 20.
Jahrhunderts war eine derartige Enge ein einziger Graus.
Heutzutage hingegen ist die enge Gasse, deren Bewohner im ersten Stock nie
das direkte Tageslicht sehen, wieder sehr beliebt – allerdings werden
solche idyllischen Altstadtgassen in der Regel kaum noch bewohnt, dienen
allein Geschäften, Infopoints und Touristenwohnungen.
Goebel und Mauersberger beschäftigen sich intensiv mit ihrem Topos und
zeigen, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg noch viele, oft nicht mal sehr
stark beschädigte Häuser in der Mitte Berlins gab, doch „von den 1933
vorhandenen etwa 1200 Häusern der Altstadt existieren heute noch 85
Gebäude“. Viele Häuser fielen dem stadtplanerischen Furor der 60er und 70er
Jahre zum Opfer (der in der DDR ähnlich ausgeprägt war wie in der BRD). So
etwa dem Ausbau der Rathausstraße oder der Grunerstraße, für deren
Verbreiterung ein Viertel des Gerichtsgebäudes (dessen ältester Teil)
gesprengt wurde, welches eigentlich die Bombardierungen recht gut
überstanden hatte.
Es stellt sich allerdings die Frage, welche Altstadt man schützen will,
[2][wenn man Karl Schefflers schon 1910 ausgesprochenes Verdikt beachtet,]
Berlin sei „dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein“.
Für das 1903 bis 1911 errichtete Alte Stadthaus, in dem nun der
Innensenator residiert, wurden sehr viele kleine Häuser, die teils noch den
Großen Kurfürsten gesehen hatten, abgebrochen. Inzwischen ist sogar das
Ahornblatt von der Fischerinsel verschwunden, [3][denn die Moderne der DDR
steht ebenso unter Beschuss und soll zum größten Teil durch grässlichere
Bauten ersetzt werden.] Die dem Roten Rathaus zugewandte Seite des auf alt
getrimmten neuen Stadtschlosses lässt da vieles befürchten.
Geht es den beiden Autoren also darum, in reaktionärer Weise ein
Vorkriegsberlin gegen die Moderne zu verteidigen? Nein, Goebel und
Mauersberger betrauern lediglich, dass es seit über hundert Jahren kein
Baukonzept mehr für Berlins Mitte gibt und folglich alle herumbasteln, wie
sie wollen. Ihr Buch jedenfalls ist eine große Hilfe, diese Trauer zu
verstehen – und ein stadtarchäologischer Spaß ohnegleichen.
Benedikt Goebel, Lutz Mauersberger: „Mitte von oben. Luftbilder des
Berliner Stadtkerns gestern und heute“. Lukas Verlag, Berlin 2021, 112
Seiten, 24,90 Euro
10 Jun 2021
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## AUTOREN
Jörg Sundermeier
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