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# taz.de -- taz🐾thema: Draußen ist das neue Drinnen
> Angesichts der Umstände bespielen Kunstschaffende und Galerien
> Schaufenster, Parks oder Plätze statt Innenräume. Das ist ein Trend, der
> sich in den kommenden Sommermonaten noch einmal verstärken dürfte
Bild: Mit Blick in den Sternenhimmel im Metzlerpark Frankfurt am Main: Auch in …
Von Jana Janika Bach
Hand aufs Herz: Wer hätte vor zwei Jahren mit seinen Freunden einen mit
Bronze-Krokodil und -Jungfrauen gespickten Springbrunnen aus rotem Granit
und in Form einer Erdkugel umrundet – im Berliner Volksmund liebevoll
„Wasserklops“ genannt –, und dabei entzückt „Ah“ und „Oh, da sieh!…
ausgerufen?
Angesichts der Pandemie rückte in den vergangenen Monaten die dauerhaft im
öffentlichen Raum platzierte Kunst in den Fokus der Öffentlichkeit. Mehr
noch: Kunstschaffende und Galerien bespielen seither zunehmend
Schaufenster, Parks oder Plätze statt Innenräume. Ein Trend, der sich in
der Sommersaison noch einmal verstärken dürfte. Das Gute daran: Zwar wurde
das meiste aus der Not heraus geboren, doch mittlerweile geht das Angebot
beileibe über Behelfskunst hinaus.
Aus dem Schaufenster der Heinrich-Böll-Bibliothek in Berlin-Pankow blicken
einem etwa seltsame kleine Gesichter entgegen. Mit seiner Installation
„Gespenster“ im Kunstraum Korn, die ganz im Sinne von
die-Geister-die-ich-rief funktioniert, referiert Roland Boden auf das
Ernst-Thälmann-Denkmal; unweit der Bibliothek wurde es zu Ehren des
KPD-Politikers noch zu DDR-Zeiten gesetzt. So erinnern die auf eine
Perlenschnur aufgezogenen Ton-Köpfe an die in den 30er Jahren im
sowjetischen Exil ermordeten deutschen Kommunisten und Linksliberalen.
In Berlin-Moabit gibt es dagegen gleich mehrere Orte, an denen sich Kunst
an der frischen Luft begutachten lässt: Über der Galerie Nord leuchten zum
Beispiel ein ganzes Jahr lang Buchstaben in Ozeanblau und in wechselnden
Wortfolgen: Täglich, ab Einbruch der Dämmerung, kann in der Turmstraße
beobachtet werden, wie Penelope Wehrlis schöpferisches Sprach- und
Dada-Spiel „15 Buchstaben – 101 Wörter“ den Schriftzug „Brüder-Grimm-…
neu zusammensetzt.
Um die Ecke im Schaufenster des Kurt-Kurt an der Lübecker Straße, im
Geburtshaus von Kurt Tucholsky, wo Simone Zaugg und Pfelder einen Kunstraum
betreiben, wird indes für die „Pause“ demonstriert. Pfelders gleichnamige
Foto- und Performance-Serie entstand an 22 verschiedenen Orten und fasst
das süße Nichtstun als essentiellen Akt.
Als habe man Cumuluswolken hinter Glas gezwungen, so wirkt von außen
wiederum, was sich in der benachbarten Galerie Baeckerei wölbt. „Amygdala“
hat die polnische Künstlerin Lila Karbowska ihre Installation nach einem
Teil des limbischen Systems im Gehirn benannt. Zusammen mit dem Hippocampus
reguliert es Emotionen, vor allem Furcht und ihre Konditionierung.
Auch im Berliner Prenzlauer Berg muss kein Gebäude betreten werden, um die
Ausstellungsreihe „Focus on Abstraction“ im Pavillon am Milchhof zu
besichtigen. Konzipiert wurde das Programm, das Abstraktion in ihrer
Vielschichtigkeit abbilden will, von George Barber, Alexander Klenz und
Carlos Silva.
In anderen Städten setzt sich fort, dass weder ein Termin noch Test oder
Ticket benötigt werden, um sich Kunst zu nähern – etwa Skulpturen der
Künstlerin Alicja Kwade in München. Ihre Plastik „Bavaria“ wurde an der
Isar aufgestellt. Diese ist eben keine reine Kopie der monumentalen
Bronzestatue Ludwig Schwanthalers auf der Theresienwiese. Sie ist vielmehr
auf ein menschlichem Maß zurechtgestutzt, und ihr fehlen die
Machtinsignien. In ihrer Arbeit für das am Münchner Lenbachplatz
aufgestellte Billboard befragt die im Kosovo geborene Künstlerin Flaka
Haliti dagegen gesellschaftliche Werte, die zur Maxime erhoben werden.
Denkbar ist, dass mit dem sich anbahnenden Wegfall von Timeslot-Buchungen
und anderer Vorsichtsmaßnahmen im Sommer ein Weg zurück zur Normalität
gefunden wird. Es kann aber auch Gegenteiliges eintreten. Dass Planungen
für Kulturevents weiter schwierig sind, zeigt sich am Beispiel von „Ruhr
Ding: Klima“. Im Mai 2020 wurde das Ausstellungsprojekt, dessen
Künstler*innen-Liste es in sich hat und das in seiner zweiten Ausgabe
wieder vier Städte des Ruhrgebiets umspannt, notgedrungen um ein Jahr
verschoben.
Nun beschloss Britta Peters, die Künstlerische Leiterin von Urbane Künste
Ruhr, kurz vor der Eröffnung abermals einen Aufschub. Ein neuer Termin
wurde noch nicht verkündet, doch wird gemunkelt, dass das Publikum zeitnah
die futuristischen Dimensionen einer global erwärmten Welt in Herne,
Recklinghausen, Haltern am See und Marl ausloten können soll. Dann erwartet
sie etwa ein schwimmender Pavillon, Performances, eine botanisch künstliche
Landschaft, eine Holz-Insel im Silbersee, Videoinstallationen in einem
Penthouse oder in einer still gelegten Zeche.
Falls wider Erwarten alle Stricke reißen und die Ferien ins Wasser zu
fallen drohen, bietet es sich an, im utopischen oder dystopischen Wohntraum
von „tinyBE“ Urlaub zu machen. Nicht bloß tagsüber lädt der in Darmstadt,
Wiesbaden und Frankfurt aufgebaute Skulpturenpark der gemeinnützigen
Gesellschaft in den Sommermonaten zum Verweilen und Nachdenken über
bezahlbaren Wohnraum, ökologisches Bauen oder das zur Neige gehen
natürlicher Ressourcen ein.
In den neun Livable Sculptures einer Crème de la Crème internationaler
Künstler darf überdies übernachtet werden, kein Witz. Wer sein Haupt etwa
im sandfarbenen „House of Dust“ von Alison Knowles bettet, das an Luke
Skywalkers Heim auf Tatooine erinnert, oder im visualisierten
„Bodybuilding“ von Mies van der Rohe, eine Art Iglu-Klotz, muss nicht auf
Komfort verzichten.
Denn alle Kunstwerke werden vom Projekt-Partnerhotel Steigenberger für eine
unvergessliche Nacht ausgestattet.Danach lässt sich noch ein Stopp bei den
Frankfurter Wallanlagen einlegen. Umringt von Denkmälern und gegenüber der
Adresse Taunusanlage 12 hat Cyprien Gaillard temporär in einem
Lüftungsschacht eine Skulptur installiert. Wem die im Berliner KW
hochgestapelte Bierpyramide des französischen Künstlers im Gedächtnis
geblieben ist, dürfte gespannt sein auf diese Arbeit, die zwischen Bank-
und Bahnhofsviertel inmitten der Öffentlichkeit eine Insel der Intimität
schaffen soll.
Apropos Eiland, im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal ehrt eine unter
anderem von Tony Cragg kuratierte Schau Heinz Mack zum 90. Geburtstag. Hier
lässt es sich (ab 4. Juli) lustwandeln, in gefühlter Stille ins
bildhauerische Werk des ZERO-Künstlers vertiefen – fast so wie in
postpandemischen Zeiten.
22 May 2021
## AUTOREN
Jana Janika Bach
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