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# taz.de -- „Ein Baustein für mehr psychische Gesundheit“
> Irina Theisen, Psychologin von der Beratungsstelle des Studierendenwerks,
> über die Auswirkungen des fehlenden Präsenzunterrichts und die
> zunehmenden Belastungen im Onlinestudium
Interview Oscar Fuchs
taz: Frau Theisen, nach einem Jahr Corona läuft seit Montag schon das
dritte Onlinesemester. Welche psychischen Auswirkungen beobachten Sie unter
den Studierenden?
Irina Theisen: Die Auswirkungen sind sehr deutlich, wir haben im Vergleich
zu den Vorjahren eine große Veränderung wahrgenommen. Im ersten Lockdown
waren wir überrascht, dass sich die Zahl der Ratsuchenden in Grenzen hielt.
Im Verlauf des vergangenen Jahres haben sich dann immer mehr Studierende
Hilfe gesucht. Vor allem im zweiten Lockdown wurden die negativen Effekte
der Coronakrise deutlich häufiger angesprochen als noch im ersten.
Wie laufen die Beratungen trotz Kontaktbeschränkungen ab?
Die meisten Studierenden beraten wir teils telefonisch und teils in Person.
Außerdem sprechen wir in Videotelefonaten mit den Studierenden. Wir sorgen
dafür, dass sie ungestört sind und in einem sicheren Umfeld telefonieren
können. Bisher haben wir damit sehr gute Erfahrungen gemacht.
Von welchen Problemen hören Sie besonders oft?
Depressive Verstimmungen waren wie in den Vorjahren der häufigste Grund für
Beratungstermine. 2020 stieg das aber nochmals an. Ängste, Erschöpfung,
Stress und psychosomatische Beschwerden wurden ebenfalls häufiger
angegeben. Ein weiteres großes Problem ist die Einsamkeit unter den
Studierenden.
Trifft die Einsamkeit bestimmte Gruppen mehr als andere?
Für Studierende, die neu in der Stadt sind, ist es besonders schwierig,
egal ob aus dem In- oder Ausland. Ihnen fehlt die Möglichkeit, soziale
Kontakte zu schließen. Viele wissen nicht einmal, mit wem sie zusammen
studieren, weil in den Videokonferenzen so viele Kameras ausgeschaltet
bleiben. Das Gefühl, dass sich das ganze Leben in einem einzigen Raum
abspielt, wird durchaus auch thematisiert.
Wie wichtig ist das soziale Umfeld gerade jetzt?
Wie gut Studierende mit der Situation zurechtkommen, hängt sehr davon ab,
auf welche Ressourcen sie zurückgreifen können. Es kommt einerseits darauf
an, wie ihre finanzielle Lage aussieht, ob sie Nebenjobs verloren haben
oder weiterhin abgesichert sind. Andererseits spielen auch die
Wohnverhältnisse eine wichtige Rolle.
Inwiefern?
Für Studierende, die in einer sicheren und eingespielten WG leben, ist die
Lage einfacher als für diejenigen, die wieder zu ihren Eltern zurückgezogen
sind. Viele haben die Stadt letztes Jahr verlassen. Besonders isoliert
fühlen sich Studierende in Einzelappartements.
Welche Veränderungen beobachten Sie bei Studierenden, die schon vor Corona
in die Beratung kamen?
Essstörungen, die schon vor der Pandemie verbreitet waren, haben sich noch
mal verschärft. Zwangsstörungen geben den Betroffenen oftmals ein Gefühl
von Kontrolle zurück. Gerade jetzt hat sich diese Problematik
verschlechtert.
Wie nehmen Sie die Stimmung mit Blick auf die Onlinelehre wahr?
Insgesamt wirkt die Stimmung sehr schlecht. Wie in weiten Teilen der
Gesellschaft sorgt die Pandemie für Zermürbung und Müdigkeit. Das Bedürfnis
nach sozialen Kontakten ist groß. Viele Studierende beklagen sich über eine
fehlende Perspektive und möchten wissen, wann sie wieder in die Hochschulen
können. In den großen Hörsälen wäre das mit Testkonzepten ja möglich. Vie…
sind frustriert, dass es zu diesem Zeitpunkt noch immer so wenige Schritte
für eine Öffnung gibt.
Wie sehen Sie das?
Ich fände es super, wenn es ganz langsam wieder Veranstaltungen in Person
gäbe. Gesundheit ist etwas Ganzheitliches. Der Infektionsschutz muss eine
hohe Priorität haben, doch es geht auch um die geistige Gesundheit. Ich
glaube, dass zumindest ein paar Präsenzveranstaltungen ein Baustein für
mehr psychische Gesundheit wären. Dann würde sich die Stimmung auch in der
Onlinelehre verbessern.
17 Apr 2021
## AUTOREN
Oscar Fuchs
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