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# taz.de -- Der Hakawati
> Durch die Zeit springen und damit den Tod überlisten: der furiose
> Debütroman „Die Wäscheleinen-Schaukel“ des aus Syrien nach Kanada
> geflohenen Autors Ahmad Danny Ramadan
Bild: Erzählen, um seinen Kopf und seine Liebe zu retten: Ahmad Danny Ramadan
Von Stefan Hochgesand
Scheherazade aus der Rahmenhandlung der Erzählsammlung „1001 Nacht“ hat vor
anderthalb Jahrtausenden die Technik des Cliffhangers salon-, nein
palastfähig gemacht: Sie rettet ihren Kopf dadurch, dass sie jede Nachts
aufs Neue, wenn ihr Todesurteil vollstreckt werden soll, ihre Erzählung auf
einen so spannenden Punkt hin zulaufen lässt, dass der König die
Hinrichtung immer wieder aussetzt, um am nächsten Tag von Scheherazade die
Fortsetzung der Story zu hören. Gewissermaßen hat Scheherazade das
Geschäftsmodell von Netflix erfunden.
Auch der namenlose Ich-Erzähler aus Ahmad Danny Ramadans lesenswertem
Debüt-Roman „Die Wäscheleinen-Schaukel“, der Scheherazade explizit mehrma…
erwähnt, erzählt, um einen Kopf zu retten – aber nicht den seinen (oder
wenn, dann nur auf Umwegen), sondern den seines Mannes, der im Sterbebett
liegt. Wir befinden uns in Vancouver, Kanada, circa im Jahr 2050.
Sie nennen den Erzähler in „Die Wäscheleinen-Schaukel“ einen hakawati:
Arabisch für Geschichtenerzähler. Schon das erste Date der beiden Männer,
wir sind in Damaskus, vier Jahrzehnte vor dem Sterbebett, beginnt statt mit
einem „Hi, wie geht’s dir“ mit einer sehr persönlichen Story von der
Großmutter, die der hakawati unvermittelt seinem Date zum Besten gibt. Was
in diesen Dekaden zwischen erstem und letztem Kuss geschieht, das erfahren
wir nun alles andere als linear, sondern assoziativ verbunden, durch die
Erinnerungen, die der hakawati am Sterbebett seines Mannes in loser
Reihenfolge, wie im Fiebertraum, heraufbeschwört: die gemeinsam geliebte
Vergangenheit.
Aus dem Ich-Erzähler wird ein Du-Erzähler, wird ein Wir-Erzähler. Was an
dem Roman, literarisch fruchtbar, am meisten irritiert, das sind diese
Zeitsprünge – als wäre Vancouver 2050 sozusagen zeitlich da wie die Flucht
der beiden aus dem syrischen Bürgerkrieg 2012 über Kairo und Beirut. Und im
Kopf ist es ja auch so.
Bei diesen Sprüngen in der Zeit liegt der Vergleich nahe mit einem anderen
Kriegstrauma-Roman: „Schlachthof 5“ (1969) von Kurt Vonnegut. Dort bewegt
sich der Protagonist Billy Pilgrim quasi spastisch in der Zeit vor und
zurück, nachdem er die Bombardierung von Dresden überlebt hat. Dadurch
werden Konzepte wie Tod, Ursache, Wirkung und, vor allem, Schuld hinfällig.
Und auch der hakawati in „Die Wäscheleinen-Schaukel“, der erzählend durch
die Zeit springt, will den Tod überlisten, der bald schon sogar als
tragikomische Figur im Roman auftritt – und im Bett zwischen den beiden
Liebenden liegt.
Die titelgebende Schaukel hat der Vater des Erzählers in einer gerade noch
idyllischen und nunmehr utopischen Vergangenheit der Mutter gebaut: Es ist
nicht viel mehr als ein Kissen auf einem Balkon, und trotzdem hängt für den
Erzähler sehr viel mehr daran: „Um zu überleben, hast du zugelassen, dass
deine Geschichten Selbstmord begehen“, sagt der hakawati seinem Mann. „Sie
erhängten sich an der Wäscheleine. Um zu überleben, habe ich mich von
meinen Geschichten verzehren lassen: Ich werde wild weiterschaukeln, auch
wenn mir davon schlecht wird.“
Ahmad Danny Ramadan, Jahrgang 1984, der 2012 selbst von Syrien nach Kanada
floh, engagiert sich mittlerweile selbst für queere Geflüchtete. Auch hat
er das Buch des saudischen Menschenrechtlers Raif Badawi ins Englische
übersetzt. „Die Wäscheleinen-Schaukel“ wurde völlig zu Recht stark mit L…
bedacht von Bernhard Schlink, dem Bestsellerautor von „Der Vorleser“.
Obgleich wir im Roman die Langhalslaute Ud hören und die
Sesam-Honig-Süßspeise halawa schmecken, verklärt der hakawati die
Vergangenheit nicht durchweg: Er wird von seinem Vater, wird von
mutmaßlichen Freunden als luti und chawal beschimpft, als Schwuchtel also,
und verprügelt. Und auch die Bomben im syrischen Bürgerkrieg, die erst weit
weg scheinen, sind nunmehr beim Frühstückskaffee zu hören. Freunde
verschwinden in Folterkellern.
„Die Wäscheleinen-Schaukel“ ist auch deshalb besonders ergreifend, weil
Ahmad Danny Ramadan von einem alten schwulen Paar erzählt – und wie deren
Liebe letztlich die Dekaden übersteht. Allein das, so selbstverständlich es
sein könnte, ist schwulen Figuren kaum je vergönnt. Man denke nur an die
(filmisch prominent adaptierte) Erzählung „Brokeback Mountain“ von Annie
Proulx, wo einer der Liebenden seines Schwulseins wegen ermordet wird.
Der Roman „Die Wäscheleinen-Schaukel“ hingegen erzählt zwar von Homophobie
und den Schrecken des Krieges, aber nicht minder von einer Liebe, die all
dem trotzt und deshalb, immer und immer wieder, neu erinnert werden will
und muss.
8 May 2021
## AUTOREN
Stefan Hochgesand
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