# taz.de -- Wartestellung im Riss | |
> Eigentlich hätte Klara Schoells erste Soloausstellung „Vom Warten“ nun | |
> eröffnen sollen. Wegen Corona muss sie noch warten. Carlotta von Haebler | |
> hat noch bis Juni Zeit. Ein Besuch im Atelier der beiden Künstlerinnen im | |
> Hamburger Oberhafen | |
Bild: Alles Pandemiekunst? Carlotta von Haebler (l.) und Klara Schöll sind ges… | |
Von Johanna Sethe | |
Der kleine Raum im Hamburger Oberhafen ist hell und ziemlich voll: alte | |
Stühle, Tische und Arbeitsflächen, Leinwände, ein großer | |
Getränkekühlschrank. Die Kaffeemaschine röhrt, von draußen tönt Baulärm, … | |
und zu bellt ein Hund oder jemand klopft an, um nach irgendwem zu fragen. | |
Und doch: Das Atelier hat dabei etwas Ruhiges und Idyllisches. Wie | |
selbstverständlich steigt Klara Schoell mit ihren kurzen, blauen Haare und | |
der Latzhose, die irgendwo unter den Farbflecken darauf wohl weiß ist, über | |
Leinwände und Pinsel hinweg. | |
Sie ist 22 und studiert seit 2018 in Hamburg Malerei an der Hochschule für | |
Angewandte Wissenschaften bei Professor Christian Hahn. Im April hatte ihre | |
erste Solo-Ausstellung „Vom Warten“ beginnen sollen, in der sie in | |
Kooperation mit der Galerie Pfund & Dollar Malereien, Zeichnungen und eine | |
Installation zeigen wird. Eigentlich, denn aufgrund der steigenden | |
Corona-Infektionszahlen wurde sie nun vorerst auf Anfang Juli verschoben. | |
Schoell bleibt dabei zuversichtlich: „Das ist natürlich schade, aber so | |
habe ich nun drei Monate Zeit, mich noch mal richtig reinzuknien, noch mehr | |
zu malen und an meiner Installation zu arbeiten.“ | |
Auf einem ihrer Bilder ist ein Hund mit gefletschten Zähnen und angelegten | |
Ohren zu sehen. Er hat dunkles Fell, ein bisschen rot ist er auch – | |
aggressiv irgendwie. Der Hintergrund setzt sich aus zumeist helleren | |
Flächen und Farben zusammen. Es scheint, als springe das Tier, als wolle es | |
angreifen. | |
In Schoells Malereien geht es um die kleinen Momenten der Unsicherheit, um | |
die kurzen Räume ohne Geschehen, in denen man nicht weiß, was als Nächstes | |
passiert. Sie zeigen Eindrücke von Demonstrationen, die Fahrt durch einen | |
Tunnel oder Porträts von Mitmenschen. Das Phänomen des Wartens habe viele | |
Ebenen, sagt Schoell. Seit drei Wochen arbeitet sie jetzt an der | |
Ausstellung. | |
Ihre Bilder entstehen in erster Linie intuitiv und ohne konkreten Plan. Sie | |
beginnt Leinwände oft sehr gestisch und verarbeitet momentane Emotionen und | |
Stimmungen in Farbkompositionen. Erst danach überlegt sie sich bewusster, | |
was sie abbilden möchte. Dabei habe sie eigentlich keine so große | |
Anspruchshaltung an das Endergebnis, sagt Schoell. Der Prozess dahinter | |
gebe ihr mehr. | |
Wenn man von der Seite auf ihre Leinwände guckt, sieht man die dicken | |
Farbschichten, die immer wieder übermalt worden sind. Kann dieser Prozess | |
in einer Ausstellung von Endergebnissen sichtbar sein? Auch Schoell stellt | |
das in Frage und möchte deshalb den Prozess der Erschaffung ihrer Bilder in | |
der Ausstellung zugänglich machen. In Zusammenarbeit mit dem Lichtkollektiv | |
Netzhautrauschen hat sie sich beim Malen gefilmt. Diese Videos sollen dann | |
in einer Installation auf die Oberfläche einer Skulptur projiziert werden. | |
## Rauschende Netzhäute | |
Die Entstehung der eigenen Kunst auch den Betrachtenden in einer | |
Ausstellung zeigen zu wollen, das kennt auch Carlotta von Haebler. Sie ist | |
gerade 30 geworden, studiert Freie Kunst an der Hochschule für Künste in | |
Bremen und teilt sich das Atelier im Oberhafen mit Schoell. Auch sie plant | |
derzeit eine Ausstellung. Im Juni möchte sie etwa 100 ihrer Collagen aus | |
historischen Fotos und Aquarellen hier zeigen – in diesem kleinen | |
Atelierraum. Dass die Wände nicht weiß und leer sind, alles ein bisschen | |
unaufgeräumt ist, ist für sie dabei auch ein Ausdruck des Prozesses. | |
Einen Titel hat ihre Ausstellung noch nicht. Was sie beim Collagieren aber | |
beschäftigt, ist das Nichts und dessen Äquivalenzen – Leere, Fleck, Riss. | |
Sie schneidet Dinge auseinander und führt sie wieder zusammen, erzeugt so | |
auf dem Papier die Spannung unheimlicher Momente und der Fragilität unserer | |
Lebensentwürfe. | |
Seit ein paar Wochen sind die beiden jungen Künstler:innen unter der | |
Woche fast jeden Tag im Atelier der Galerie und bereiten ihre Ausstellungen | |
vor. Manchmal still und jede für sich, manchmal mit Musik oder im regen | |
Austausch miteinander. | |
Im Oberhafen, dem kreativwirtschaftlichen Stadtentwicklungsprojekt in der | |
Hafencity, fühlen sie sich wohl. Dort sind sie von anderen jungen Menschen | |
und Künsten umgeben. Auch Musik und Performances finden hier normalerweise | |
statt, Materialien sind in einer Tischlerei und einer Metallwerkstatt nicht | |
weit. „Für mich ist die Galerie ein totaler Glücksgriff“, sagt Klara | |
Schoell. „Ich habe das Gefühl, so gut betreut zu werden. Ich könnte das | |
sonst alles gar nicht machen.“ Eine andere Künstlerin dort hilft ihr bei | |
der Werbung für ihre Ausstellung und wenn ihr noch Stellwände fehlen, dann | |
geht sie zu Nico und er baut ihr welche. | |
Nico Krüger ist der Galerist von Pfund & Dollar. Carlotta hatte ihn auf dem | |
Flohmarkt kennengelernt, über seine selbstgebauten Lampen waren sie durch | |
Zufall ins Gespräch gekommen. Er hatte ihr schließlich angeboten, im | |
Oberhafen zu arbeiten. Zahlen müssen Schoell und von Haebler dafür nicht. | |
Sie hoffen aber, ein paar Kunstwerke bei ihren Ausstellungen verkaufen zu | |
können. Um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, arbeiten die beiden in | |
verschiedenen Nebenjobs. Carlotta etwa ist Lichtassistentin im Film und | |
Stipendiatin. | |
„Das Schöne hier für uns ist auch, dass es denen eben nicht um Profite | |
geht“, sagt Schoell über die selbstorganisierte Galerie. „Die wollen | |
einfach, dass Leute hier herkommen und das machen, was sie begeistert.“ | |
Ihre Ausstellung soll in einer großen Halle hinter der Galerie stattfinden, | |
die der Kreativgesellschaft gehört. Um die eigentlich recht hohe Miete für | |
den Raum zu finanzieren, bewirbt sie sich derzeit auf Förderungen. Sollte | |
das nichts werden, wird sie aber auch so dort ausstellen dürfen. Man finde | |
es schließlich gut, den Ort wieder lebendig zu sehen. Man habe | |
coronabedingt zwar keinen engen Kontakt, sehe sich aber gegenseitig | |
arbeiten. Da ihr Studium seit der Pandemie vorwiegend online stattfand, war | |
neben den Räumlichkeiten, in denen man sich hatte ausprobieren können, eben | |
auch das weggefallen: Austausch. | |
## Collagen aus dem Nichts | |
Zwar sei es mit Härtefallanträgen oder unter anderen Hürden möglich, | |
alleine in die Ateliers der Universitäten zu kommen, worum es aber primär | |
gehe, sei die Begegnung mit Lehrenden und anderen Studierenden. Alleine im | |
Atelier zu arbeiten, sei „nur 50 Prozent dessen, was deine Arbeit | |
schlussendlich ausmacht“, sagt von Haebler. „Es geht ja viel darum, | |
rauszugehen, seine Sachen zu zeigen und ins Gespräch zu kommen.“ Für sie | |
ist die Uni eben genau das: ein Ort, an dem man anderen Künstler:innen | |
begegnet, sich aneinander reibt und sich immer wieder damit konfrontiert, | |
was andere in der eigenen Kunst sehen. Weil das Online-Studium ihr das | |
derzeit nicht bieten kann, möchte von Haebler im kommenden Semester ein | |
Urlaubssemester nehmen und pausieren, bis Präsenzlehre wieder möglich ist. | |
Klara Schoell sagt, ihr fehle, dass der Professor in den Prozess der | |
Erschaffung ihrer Bilder eingreifen kann. Zwar könne man auch jetzt noch | |
Termine vereinbaren, um die eigenen Arbeiten zu besprechen, aber diese | |
situative, manchmal zufällige Rückmeldung gebe es nicht mehr. „Wenn mein | |
Professor mir im Vorbeilaufen sagt, dass etwas nicht funktioniert, so wie | |
ich es gerade mache oder auch, dass mein Bild jetzt fertig ist und ich | |
aufhören soll, dann nehme ich das sehr ernst, dann hilft mir das oft.“ In | |
ihrer Kunst sind die beiden Künstler:innen also durch die Pandemie mehr | |
auf sich gestellt, mehr alleine. | |
Mit den Themen ihrer Kunst wohl nicht: Warten, Protest, Unheimlichkeiten, | |
dem Nichts und nicht zuletzt der Fragilität unserer Lebensentwürfe. Es sind | |
Themen, die nach einem Jahr Lockdown und zum Teil ungewissen Perspektiven | |
die meisten beschäftigen. Verändert sich die künstlerische | |
Auseinandersetzung mit diesen Themen, wenn eine globale Pandemie die | |
Mehrheit der Gesellschaft dazu zwingt? | |
„Ich würde mich jetzt immer dagegen wehren, zu sagen, dass man die Pandemie | |
in meinen Bildern sieht“, sagt von Haebler. „Aber mein eigenes Erleben | |
spielt in meiner Kunst definitiv eine große Rolle und das, was um mich | |
herum passiert, wird wohl immer irgendwie verarbeitet.“ | |
Auch Klara Schoells Intention war es nicht, „Vom Warten“ auf die Länge des | |
Pandemiejahres zu beziehen oder ein konkretes Pandemiegefühl darzustellen. | |
Trotzdem wirke diese Zeit natürlich immer irgendwie mit, ob in der | |
Interpretation der Betrachtenden oder in ihr im Erschaffungsprozess, sagt | |
sie. | |
Auf einigen der Bilder, die sie malt, sieht man die abstrakte Gestalt | |
vermummter Demonstrant:innen. Mist, habe sie gedacht, das wird ja nun | |
völlig anders interpretiert werden. Man werde Menschen mit Maske in einer | |
Pandemie in einem Bild sehen, in dem es nie darum ging. | |
„Eigentlich ist es aber auch egal“, sagt Schoell. Was sie beschäftige, sei | |
vor allem die Stimmung, erzählt sie. „Mir scheint, als sei alles irgendwie | |
viel geladener. In Hamburg waren bei Demonstrationen jetzt immer Pferde und | |
Polizei, wirklich ein wahnsinniges Aufgebot, und alle mit Abstand, kesseln | |
geht nicht mehr – es kann eigentlich gar nichts passieren und trotzdem ist | |
diese Spannung da.“ Genau das, worum es in „Vom Warten“ geht, ist gerade | |
wohl besonders stark wahrnehmbar. Und auch dann, wenn sie ihrer Ausstellung | |
einen anderen Titel gegeben hätte oder bestimmte Bilder nicht zeigen würde, | |
seien Interpretation und Erschaffungsprozess nun mal gerade auch von der | |
Coronasituation beeinflusst. | |
Carlotta von Haebler und Klara Schoell sind gespannt darauf, wie man das | |
irgendwann rückblickend beurteilen werde. Alles Pandemiekunst? Wer weiß. | |
Pfund & Dollar – Galerie und Werkstatt im Oberhafen, Hamburg; Infos: | |
www.pfundunddollar.de; klara-schoell.de; | |
mentoring.hfk-bremen.de/carlotta-von-haebler | |
6 Apr 2021 | |
## AUTOREN | |
Johanna Sethe | |
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