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# taz.de -- Wohnräume, die sich anpassen
> Leichtfüßig wirkende, lichtdurchflutete Räume um wild begrünte
> Gartenareale. Mit Fotografien und Videos wird der indische Architekt
> Balkrishna Doshi im „Studio im Hochhaus“ in Hohenschönhausen vorgestellt
Bild: Ein spätes Werk des indischen Architekten Doshi: LIC Housing, Ahmedabad …
Von Michael Freerix
Am Ende der Zingster Straße in Neu-Hohenschönhausen, im Untergeschoss eines
mächtigen Hochbaus, befindet sich die kommunale Galerie „Studio im
Hochhaus“. Sie und ihre Umgebung sind gewissermaßen der ideale Ort, um eine
Ausstellung über den indischen Architekten und Stadtplaner Balkrishna
Doshi anzuschauen, betrachtet aus den Blickwinkeln der beteiligten
Künstler Annette Kisling, Jens Franke und Leonard Wertgen.
Balkrishna Doshi ist einer der wenigen Architekten vom indischen
Subkontinent, der international anerkannt ist, obwohl seine Gebäude fast
ausschließlich in Indien stehen. Seine Ausbildung erfuhr der 1927 Geborene
allerdings nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa. Seit Beginn der fünfziger
Jahre arbeitete er im Büro von Le Corbusier. Tatsächlich hat er viel von
dessen bauästhetischer Philosophie übernommen, sich aber von Le Corbusiers
puristischem Hang zum Autokratischen scharf abgesetzt.
Beton ist Le Corbusiers bevorzugtes Baumaterial, roh und unbearbeitet, und
genau so verwendet ihn Doshi: „Le Corbusier sprach kaum Englisch“,
erinnert sich der Architekt, „aber er nahm sich viel Zeit für mich.“
Der damals bereits weltbekannte schweizerisch-französische Baukünstler Le
Corbusier übernahm in den 1950er Jahren vermehrt Aufträge in Indien, und
dort wurde Doshi als dessen Bauleiter tätig.
Später ermöglichte es diese Auftragstätigkeit Doshi, sich in Indien, vor
allem an seinem Wohnort Ahmedabad, schnell als freischaffender Architekt
etablieren zu können. Seine frühen Gebäude wie die „Premabhai Hall“
(1956–1972), die „Central Bank“ (1967) oder das „Center for Environment…
Planning and Technology“ (1968), die allesamt in der indischen Metropole
Ahmedabad stehen, zeichnen sich noch durch den massigen, konfrontativen
Einsatz von Beton aus.
Später entwickelte Doshi jedoch eine Formsprache, in der er die massive
Wirkmacht des Sichtbetons abschwächte und leichtfüßig wirkende,
lichtdurchflutete Räume um wild begrünte Gartenareale entwarf, in denen er
vor allem graues Natursteinmauerwerk verwendete.
Auch gedachte Balkrishna Doshi, der nach eigenen Worten unter armen
Menschen groß geworden ist, später seiner sozialen Herkunft und baute in
den 1980er Jahren Wohnungen für einkommensschwache ehemalige Slumbewohner.
Diese Bauten, so sagt der Architekt, sollen keine von außen bestimmten,
unverrückbaren architektonischen Fakten schaffen. Stattdessen sollen sich
die Wohnräume an die Bedürfnisse der Bewohner anpassen. Je nach Wunsch der
Bewohner können die Wohnungen aus- oder umgebaut werden. Dies muss mit den
jeweiligen Nachbarn ausgehandelt werden, bis für alle akzeptable
Kompromisslösungen gefunden sind. Auf diesem Weg soll eine familiäre
Hausgemeinschaft entstehen. Das jedenfalls ist der Wunsch des Architekten.
Annette Kisling, Jens Franke und Leonard Wertgen stellen sich mit ihren
Fotografien und Videos ganz in den Dienst der Architektur Doshis. Kislings
serielle, detailreiche Fotografie, die sich mit den Formen von Organisation
und Ordnung beschäftigt, erforscht Bauten von Doshi in variationsreichen
Detailaufnahmen, die sie mit den erhaben wirkenden Gärten, umringt von
grauen Wänden und lichtdurchfluteten Wandelgängen, kontrastiert. Franke und
Wertgen hingegen setzen auf sachliche Schilderung der äußeren Gegebenheiten
der Bauten von Doshi, wie sie sich, umströmt von Hitze und Straßenlärm, in
den Alltag der fünf Millionen Einwohner zählenden Stadt einfügen. Auch ein
längeres Interview mit ihm ist in einer Videobox anzuschauen.
Die Gegenüberstellung von serieller Fotografie und dokumentarischen Filmen
ermöglicht einen facettenreichen Blick auf die aktuelle Situation der
Architektur von Balkrishna Doshi in Ahmedabad.
Der Leiter des Studios im Hochhaus, Uwe Jonas, möchte mit dieser
Ausstellung einen außereuropäischen Blick auf das Thema Architektur
ermöglichen. Doshi, dem 2018 als erstem indischem Architekten der
international renommierte Pritzker-Preis verliehen wurde, sieht sich selber
als Gestalter, der das „Chaotische mit dem Effektiven zu verbinden sucht“,
und vor allem nicht als Schöpfer, der ewige Werte erschaffen möchte: „Wir
leben in einer zyklischen Welt, Architektur sollte sich dem Zyklischen
unterordnen.“
Geradezu symbolisch existieren in seinen Bauten Widersprüche nebeneinander.
Stabil und trotzdem erstaunlich licht wirken seine schattenreichen Bauten.
Dies wird vor allem durch bleistiftdünn wirkende Betonsäulen erreicht, die
in erstaunliche Höhen ragen. Umwunden werden diese von wild wuchernden
Schlingpflanzen, die den Bauten einen Hauch von verborgenen Inka-Städten
verleihen. Auch mit 94 Jahren geht Balkrishna Doshi beinahe jeden Tag in
sein Planungsbüro und widmet sich mit nicht nachlassender Kreativität einer
Architektur der zyklischen Welt.
Bis 24. März, Studio im Hochhaus, Zingster Straße 25, 13051 Berlin. Öffnung
und Termine erfragen unter (030) 9 29 38 21
15 Mar 2021
## AUTOREN
Michael Freerix
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