| # taz.de -- Karriereende eines Quarterbacks: Biederer Heilsbringer | |
| > Drew Brees, der Quarterback der New Orleans Saints, verabschiedet sich | |
| > vom Ei. Vergessen wird man ihn in der geschundenen Stadt wohl nie. | |
| Bild: Schluss mit Werfen: Drew Brees hat seine Karriere beendet | |
| Vier Kinder auf einer Couch. „Nach 15 Jahren bei den New Orleans Saints und | |
| 20 Jahren in der NFL“, sagt der erste Junge. „Wird unser Dad“, der zweite. | |
| „Endlich zurücktreten“, der dritte. Und dann alle vier laut im Chor: „Um | |
| mehr Zeit mit uns zu verbringen. Yeah!“ | |
| Das 12-Sekunden-Video, mit dem Drew Brees seinen Rücktritt als | |
| Football-Profi bekannt gab, hätte kaum typischer sein können für den | |
| Quarterback der New Orleans Saints. Statt bei einer Pressekonferenz mit | |
| tränenerstickter Stimme den Abschied vom aktiven Sport zu erklären, ließ | |
| Brees seine Kinder die Nachricht verkünden – und unterstrich damit sein | |
| Image vom skandalfreien, vielleicht auch [1][ein bisschen langweiligen | |
| Familienvater]. | |
| Der Saubermann wird ausgerechnet in der Party-Hochburg New Orleans | |
| abgöttisch verehrt. Das liegt zum einen an seinem Image als nahbarer | |
| Jedermann, zum anderen an seinen Leistungen – und nicht zuletzt an einer | |
| Tragödie, die der Stadt ein Trauma bescherte, das die Saints und ihr | |
| Anführer Brees heilen halfen. | |
| Dass Brees einmal auf eine 20-jährige Erfolgsgeschichte als Profi | |
| zurückblicken könnte, war ihm nicht in die Wiege gelegt. Nur wenige Scouts | |
| glaubten, der junge Brees hätte das Zeug zu einem guten Spielmacher. Das | |
| Verdikt: zu klein, zu schmächtig. Mit seinen 1,83 Meter wirkt Brees | |
| tatsächlich körperlich nicht allzu beeindruckend, vor allem im Vergleich zu | |
| seinen Quarterback-Kollegen, die gern mal zwei Meter messen. Doch das, was | |
| Brees an Körpergröße und Wurfkraft fehlte, machte er mit Spielwitz und | |
| einer einmaligen Zielsicherheit wett. Heute, mit 42 Jahren, hält der ewige | |
| Underdog eine Reihe von Rekorden. | |
| ## Klein, aber groß | |
| So hat niemand bislang so viele Yards in der NFL erworfen. Trotzdem wird | |
| Brees nicht als bester Quarterback aller Zeiten in die Geschichte des | |
| Sports eingehen, ja nicht einmal als bester Ballverteiler seiner | |
| Generation, da ist der sogar noch einmal ein Jahr ältere | |
| Dauer-Super-Bowl-Gewinner Tom Brady vor. Alleinverantwortlich ist Brees | |
| aber dafür, wie kleinere Quarterbacks in der NFL gesehen werden, und hat so | |
| die Grundlage gelegt für heutige Stars wie Tyler Murray (1,78 Meter) und | |
| Russell Wilson (1,80 Meter), der prompt twitterte: „Vielen Dank, was du für | |
| mich getan hast.“ | |
| Diese Kleiner-Mann-ganz-groß-Geschichte wurde endgültig zur rührseligen | |
| Seifenoper dadurch, dass Brees nach fünf Jahren in San Diego zu den Saints | |
| wechselte. Der Klub war jahrzehntelang die Lachnummer der NFL, hatte in | |
| vier Jahrzehnten nur ein einziges Playoff-Spiel gewonnen. In der | |
| Voodoo-Stadt New Orleans war man fest davon überzeugt, dass ein Fluch auf | |
| dem Verein lag, weil die Spielstätte, der Superdome, auf einem | |
| aufgelassenen Friedhof errichtet worden war. Dann hatte im August 2005 auch | |
| noch Hurrikan „Katrina“ die Stadt verwüstet, das beschädigte Stadion war … | |
| einer Notunterkunft für 26.000 Menschen umfunktioniert worden. | |
| Wenige Monate später kam Brees – wieder mal ohne große Erwartungen – nach | |
| New Orleans, die Stadt stand immer noch zu weiten Teilen unter Wasser. | |
| Brees engagierte sich bei den Wiederaufbauarbeiten und installierte | |
| zusammen mit dem zeitgleich gekommenen Cheftrainer Sean Payton eine neue | |
| Erfolgskultur, die die Saints zum Dauergast in den Playoffs machte und zu | |
| ihrem ersten Super-Bowl-Sieg führte. | |
| Der [2][Titelgewinn im Februar 2010] war nicht nur die größte sportliche | |
| Stunde des Football-Clubs und des Quarterback, sondern wurde in New Orleans | |
| tagelang auf der Partymeile Bourbon Street gefeiert und im Rest der USA als | |
| offizielle Wiedergeburt von New Orleans gedeutet. „Es war Bestimmung“, | |
| sagte Brees damals nach dem Sieg. Dass die Stadt bis heute mit den Folgen | |
| der Naturkatastrophe zu kämpfen hat und sich die Armut und | |
| gesellschaftliche Ungleichheiten verschärft haben, hat dem Heiligenstatus | |
| von Brees ebenso wenig Abbruch getan wie die Tatsache, dass er es mit den | |
| Saints kein zweites Mal ins große Finale schaffte. | |
| Tatsächlich gab es nur einen Moment in seiner langen Karriere, in der sich | |
| Brees in einer Kontroverse wiederfand. Als Colin Kaepernick und andere | |
| Profis gegen Polizeigewalt und Rassismus während der Nationalhymne auf die | |
| Knie gingen, positionierte sich Brees zuerst als Patriot und bezeichnete | |
| die Protestaktionen als Angriff aufs Militär. Er zeigte sich aber auch | |
| lernfähig, entschuldigte ich nur wenige Tage später und solidarisierte sich | |
| mit seinen Schwarzen Mitspielern. Er war wieder das, was ihn zum | |
| Säulenheiligen von New Orleans gemacht hatte: ein braver Bürger mit einem | |
| sozialen Gewissen. | |
| 16 Mar 2021 | |
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| Thomas Winkler | |
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