# taz.de -- In der Fremde wurzeln | |
> Ilse Losa aus Buer bei Melle bei Osnabrück war eine bedeutende | |
> portugiesische Erzählerin: Im Exil hat sie auch die dortige | |
> Kinderbuch-Szene revolutioniert | |
Bild: Das Mädchen Beatriz verhandelt mit fällsüchtigen Bürokraten | |
Von Benno Schirrmeister | |
Herzzerreißend ist Ilse Losas später Rückblick auf ihr Œuvre: Als die 1913 | |
in Buer bei Melle im Landkreis Osnabrück geborene portugiesische Autorin | |
1989 dazu befragt wurde, wie es denn gekommen sei, dass sie fast alles in | |
ihrer zweiten Sprache verfasst hat, sagte sie der verdutzten Interviewerin: | |
Das sei alle schwer erklärbar, aber: „Es war jedenfalls ein großer Fehler�… | |
Mein Gott, und ein ganzes Lebenswerk hatte sie so mit einem Satz zu | |
Makulatur gemacht, ihr eigenes, allen Preisen, Orden und Auszeichnungen zum | |
Trotz, durchgestrichen und entwertet. Das tut weh. | |
Man sollte Losa als Kritikerin ihres Schreibens aber nicht allzu ernst | |
nehmen. Schon das [1][erfreulich rege Interesse] von Germanistik und | |
Lusitanistik in Österreich, Deutschland, Portugal und Spanien spricht | |
dafür, dass ihre Literatur die Beschäftigung lohnt. Davon wird sich aber | |
auch jeder überzeugen, der mit ihren Büchern in Kontakt kommt. Was 15 Jahre | |
nach ihrem Tod leider schwer fällt. Die übersetzten Romane und Erzählungen | |
sind lange vergriffen und auch antiquarisch rar. Eine Gelegenheit aber | |
bietet „Beatriz e o Plátano / Beatriz und die Platane“: Pünktlich zur | |
Buchmesse mit Portugalschwerpunkt, die ausfällt, ist das veröffentlicht | |
worden, mit Lisa Couwenbergs Illustrationen der Originalausgabe von 1976, | |
zweisprachig im engagierten Kleinstverlag Oxalá Editora aus Lünen. | |
Zu danken ist das der Initiative der Kunsthistorikerin und Exilforscherin | |
Irene Below und der Künstlerin Barbara Daiber, die in Melle im | |
Kulturzentrum „Wilde Rosen“ seit 25 Jahren ein Atelier für Ausdrucksmalen | |
leitet. „Das Buch erschien uns unglaublich aktuell“, sagt Daiber. „Als wir | |
es der Leiterin des Osnabrücker Literaturbüros gezeigt haben, musste die | |
gleich an Greta Thunberg denken.“ Eine ermutigende Geschichte sei es, die | |
Losa darin erzählt, und auch, „dass die Hauptfigur ein Mädchen ist, war uns | |
auch wichtig“. | |
Erstmals liegt damit eins der 21 Kinderbücher auf Deutsch vor, mit denen | |
Losa die Gattung in Portugal seit den 1940er-Jahren revolutioniert hat: Das | |
ist die wichtige Botschaft. Weitere sollen dann ab Mai im bibliophilen | |
B[2][übül-Verlag der Autorin Tanja Langer erscheinen], versprechen Daiber | |
und Below, und das ist erfreulich. Denn bei allen guten Absichten und trotz | |
der schönen Übersetzung von Isabel Remer: Mit der Oxalá-Ausgabe wird | |
niemand glücklich werden. Das Layout ist nicht ansprechend, die | |
Reproduktionen der feingliedrigen Zeichnungen weisen Unschärfen auf, und | |
das Lettering mit plumpen Initialen passt schlecht zu ihnen. Aber die | |
Stimme der Erzählerin, dieser selbstbestimmten Frau, die dringt durch, mit | |
der Geschichte vom Mädchen, das eine Platane rettet. Die schönste Platane | |
der Stadt, die nur verbohrte Planer für eine Beeinträchtigung des schicken, | |
neuen Postamts halten können. Eine echte Platane des Lebens, mit weißen | |
Vögeln drin und Schatten für alle. | |
## Von der Gestapo verhaftet | |
Ilse Losa, damals hieß sie noch Lieblich, war 1934 verhaftet und | |
stundenlang in der Berliner Gestapo-Zentrale befragt worden. Die junge Frau | |
war nur Monate zuvor aus Hannover in die Hauptstadt gezogen: Sofort nach | |
der Machtübernahme der Nazis hatte man sie von ihrer Volontariatsstelle im | |
Krankenhaus entfernt. Über die jüdische Arbeitsagentur hatte sie dann einen | |
Büro-Job bekommen – bis sie einen Brief an eine Freundin schrieb, eine | |
Friedensaktivistin. Der war abgefangen worden. Lieblich hatte darin Adolf | |
Hitler einen Verbrecher genannt. | |
Den Schergen, der sie verhört, verunsichert sie: Sie war Jüdin. Und sie war | |
blond und blauäugig. Wie konnte das sein? Darüber muss er nachdenken. Er | |
gibt ihr eine Frist von sechs Tagen, man werde sich wieder bei ihr melden. | |
Sie steigt in den Zug erst nach Hildesheim, wo die Mutter inzwischen wohnt. | |
Von dort gleich weiter nach Hamburg. Wohin jetzt? Bruder Ernst und ein | |
Onkel warten in Portugal auf ihre Möglichkeit, nach Südamerika | |
auszuwandern. Also ab nach Porto, egal was dort sein wird. Portugal, das | |
bedeutet zunächst „eine Sprache, von der man keinen Laut verstand“, wie | |
Losa später einmal erzählt hat. Ein unbekanntes Land. Und eine fremde | |
Kultur, die als stark patriarchal gelten muss. | |
Die Rückständigkeit des Bildungssystems hatte Diktator António Salazar als | |
machterhaltend erkannt und noch ausgebaut. Rätselhaft ist, wie Losa in | |
diesem System zum Kinderbuch kommt. Kompetenz wird ihr darin schon | |
zugestanden, lange bevor sie selbst zu publizieren beginnt. Zwei Jahre vor | |
der Geburt ihrer ersten Tochter erhält sie Mitte der 1930er-Jahre an der | |
Escola Superior de Educação de Porto eine Dozentinnenstelle – für | |
Kinderliteratur. | |
Später, als sie selbst veröffentlicht, entwickelt sie einen Stil, der als | |
von Märchenhaftem und Surrealem durchkreuzter sozialer Realismus | |
beschrieben wird. Fragen ließe sich, ob er trotz oder gerade wegen der | |
Zensur entsteht, und ob sie [3][das Schreiben für junge Menschen anfangs | |
als Rückzugsraum nutzt], dem die politische Kontrolle wenig Aufmerksamkeit | |
schenkt. | |
## Schreiben gegen Depression | |
Ilse Lieblich ist anfangs schockiert von Portugal. „Ich war ein junges | |
Mädchen und hatte mein letztes Jahr in Berlin verbracht, da konnte man | |
machen, was man wollte,“ schildert sie später, „abends ausgehen, tanzen, | |
ins Kino, ins Kaffeehaus“, die weitgehende Gleichberechtigung ist in | |
Deutschland Anfang der 1930er noch nicht getilgt. „Und da komme ich also | |
plötzlich nach Porto, und mein Bruder sagt mir, du darfst hier abends nicht | |
auf die Straße gehen, das tun nur Nutten. Du musst immer einen Hut | |
aufsetzen, sonst hält man dich für ein Dienstmädchen, du darfst nie ohne | |
Strümpfe gehen, auch wenn es noch so heiß ist.“ | |
Wichtiger als der gut Rat, den sie umgehend in den Wind schlägt, sind die | |
Kontakte des großen Bruders: Er hat sich einem Intellektuellen-Zirkel | |
angeschlossen. Dem gehört auch Arménio Losa an, der als einer der | |
Hauptvertreter der Moderne in die portugiesische Architekturgeschichte | |
eingehen wird. Damals ist er noch Student. Im Jahr 1935 legt [4][er sein | |
Diplom ab – und heiratet]: Ilse Lieblich heißt fortan Losa, ist Portugiesin | |
– und wird vom Geheimdienst bespitzelt. Denn ihr Mann gilt als einer der | |
Köpfe der Opposition. | |
Drei Romane hat sie geschrieben. Echos dieser Anfangszeit im Exil finden | |
sich in „Unter fremden Himmeln“ von 1962, den sie selbst ins Deutsche | |
übertragen hat. Der zweite, noch unübersetzt, „Rio sem ponte“ (1952), also | |
„Fluss ohne Brücke“, spielt in England und handelt doch vom Aufstieg der | |
Nazis aus Sicht des [5][Au-pair-Mädchens Jutta Berner]. Der erste aber, „O | |
mundo en que viví“, „Die Welt in der ich lebte“, erzählt, in | |
Bilderbogen-Technik, dicht am eigenen Leben, lakonisch eine jüdische | |
Kindheit zwischen den Kriegen im ländlichen Nordwestdeutschland: | |
Erinnerungen aufzuschreiben war ihr als Mittel gegen die Depression geraten | |
worden, in die sie Ende der 1940er abglitt. Überlebende kommen ins Land. | |
Durch Erzählungen geistern eine Freundin, die Auschwitz überlebt hat, aber | |
in einem Krankenhaus in der Fremde nun daran stirbt. Losas Lieblingsonkel | |
wird aus Buchenwald befreit. Als er zur Familie stößt, zeigt sich, er ist | |
dort dennoch vernichtet worden. | |
Die Geschichte des Mädchens Beatriz ist voller Optimismus: Da ist dieser | |
demokratische Aufbruch zu spüren. Die Nelkenrevolution hatte 1974 endlich | |
den Faschismus beseitigt. Und Beatriz ist keine Revoluzzerin. „Sie ist | |
eine aktive Bürgerin“, sagt Irene Below, „sie geht ja erst den ganz | |
offiziellen Weg und schreibt einen Brief an die Behörden.“ Ja, er landet da | |
im Papierkorb. Aber Losa relativiert die Feindbilder ihrer Erzählung: | |
„Vielleicht“, schreibt sie, „waren sie gute Menschen, diese Mitarbeiter in | |
den Behörden, das weiß man nie.“ Sie machen nur Fehler. Sie sind | |
verblendet. Und das Mädchen weiß, was richtig wäre und gut. Und hält daran | |
fest. Bis das auch bei den Bürokraten ankommt. Denn auch in denen wurzelt | |
ja die Idee vom Wahren und Schönen. Sie werden nicht [6][die Hand ans Leben | |
legen]. | |
Ilse Losa: „Beatriz e o plàtano / Beatriz und die Platane“, Deutsch von | |
Isabel Remer, Oxalá Editora, Lünen, 45 S., 17 Euro | |
17 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] http://othes.univie.ac.at/23919/ | |
[2] https://tanjalanger.de/buebuel/ | |
[3] https://www.researchgate.net/publication/324107213_Ilse_Losa_y_la_escritura… | |
[4] https://sigarra.up.pt/up/en/web_base.gera_pagina?p_pagina=antigos%20estudan… | |
[5] http://othes.univie.ac.at/25366/ | |
[6] https://issuu.com/bibliotecaescolarcarloscecio/docs/a_representa____o_do_ho… | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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