# taz.de -- Gefährliche Tröpfchen | |
> Theater-, Konzert- und Kinosäle könnten noch während der Pandemie wieder | |
> öffnen – wenn das Belüftungskonzept stimmt. Das fanden niedersächsische | |
> Forscher heraus | |
Bild: Testobjekt TU: Dummy Oleg im Großen Physik-Hörsaal in Clausthal-Zellerf… | |
Von Jens Fischer | |
Sie seien keine Infektionsstätten, sondern gehörten vielmehr zu den | |
sichersten sozialen Orten: Aussagen wie diese ließen viele Theater- und | |
Konzerthausleitungen schon zu Beginn der Pandemie verbreiten. So, wie | |
aggressiv das Coronavirus gerade drauf sei oder wie fies es mutiere: In | |
Parkett und Rang der Kulturpaläste bekomme es gar nicht erst die Chance, | |
ein neues Opfer zu entern, weil die moderne Klimatechnik, die Be- und | |
Entlüftungsanlagen Krankheitserreger sofort aus den Sälen transportierten. | |
Einen so prima Ansteckungsschutz gebe es bei niemandem daheim, auch wohl in | |
keiner Kita, keiner Schule, keinem Büro. | |
Wissenschaftlich grundiert werden solche Argumente für die baldige | |
Wiedereröffnung von Theater- und Konzerthäusern durch eine recht [1][neue | |
Studie] aus Goslar. Hatten vorherige Untersuchungen die Ausbreitung | |
potenzieller Virenemission von Sängern, Chören und diversen | |
Musikinstrumenten gemessen, ging es nun ums Publikum. Das Projekt des | |
Fraunhofer Heinrich-Hertz-Instituts in Goslar – in Kooperation mit der | |
Technischen Universität Clausthal – widmete sich beispielhaft dem | |
Zuschauerbereich des Konzerthauses Dortmund; die Ergebnisse sollen aber auf | |
andere Bühnenhäuser übertragbar sein, sofern die ebenfalls auf | |
„Quelllüftung“ setzen. Dabei wird Frischluft in Bodennähe eingebracht, | |
strömt nach oben und wird unterhalb der Decke wieder abgesaugt. | |
## Empfehlung Schachbrett-Sitzen | |
Geschieht der Luftaustausch dabei so fix wie in Dortmund, sei die Gefahr | |
einer Corona-Infektion „nahezu ausgeschlossen“, das ist der Goslarer Studie | |
zu entnehmen, die maßgeblich der Forscher Wolfgang Schade verantwortet – | |
und ein Spielbetrieb demnach sogar noch in Pandemiezeiten wieder möglich. | |
Würden dann auch noch alle Besucher eine Mund-Nasen-Maske (MNM) tragen, | |
könnten sogar sämtliche Plätze besetzt werden. Ohne dieses konsequente | |
Maskentragen besteht die größte Gefahr für hintereinander platzierte | |
Menschen, deswegen lautet die Empfehlung, jeweils den direkten Vorderplatz | |
freizuhalten. Die sich ergebende Schachbrett-Besetzung mache eine Infektion | |
„sehr unwahrscheinlich“. Bei der Auslastung noch unter diese 50 Prozent zu | |
gehen, hätte der Studie nach keinen Mehrwert für den Infektionsschutz – | |
eine gute Nachricht auch für Kinobetreiber, denen vor dem jüngsten Shutdown | |
[2][nur rund 18 Prozent der Plätze] zu verkaufen erlaubt war. | |
Zentrales Element von Schades Untersuchungen war der Dummy „Oleg“: EIn | |
halber Plastikmann, der im Parkett zwischen Zuschauerdarstellern saß und | |
durch einen Schlauch aus Mund und Nase Atemluft absonderte – inklusive der | |
dank Corona so berüchtigten Aerosole. Das deutsche Zentrum ihrer | |
Erforschung befindet sich in Göttingen: Das [3][Max-Planck-Institut für | |
Dynamik und Selbstorganisation], das [4][Institut für Aerodynamik und | |
Strömungstechnik] des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt sowie die | |
Universitätsmedizin kümmern sich um die winzigen Flüssigkeitströpfchen. | |
Was das mit Covid-19 zu tun hat? Wenn ein Virus in den Raum geniest, | |
gehustet, geschnauft, geatmet wird, kann es sich nicht eigenständig | |
fortbewegen. Coronaviren heften sich an ebenfalls ausgeatmete Aerosole, die | |
mit ihrem Durchmesser zwischen einigen Hundert Nano- bis Mikrometern lange | |
herumschweben können. Bei Sinkgeschwindigkeiten von wenigen Metern pro | |
Stunde und einer Halbwertzeit der Infektionsaktivität von knapp drei | |
Stunden bliebe die unbelüftete Raumatmosphäre also für längere Zeit | |
belastet. Atmet ein gesunder Mensch kontaminierte Tröpfchen ein und | |
überschreiten die darin enthaltenden Viruspartikel die minimale | |
Infektionsdosis, wird die Krankheit übertragen – je höher die | |
Aerosol-Konzentration, desto größer die Gefahr. | |
Da Virus-Aerosole schwer nachzuweisen sind, wird als Äquivalent das CO2 in | |
der Ausatmungs- und Umgebungsluft gemessen. Die Wissenschaft geht von einer | |
signifikanten Korrelation zwischen CO2- und Aerosol-Ausstoß sowie ihrer | |
Verbreitung im Raum aus. „In der Bremer Stadtluft sind von einer Million | |
Schwebeteilchen ungefähr 400 Teile CO2“, erklärt etwa der technische | |
Direktor des dortigen Theaters, Frank Sonnemann. Die Maßeinheit dafür ist | |
PPM, das steht für „parts per million“, ein Promille eins Promille. Steigt | |
der CO2-Wert auf 1.000 PPM, etwa bei ausverkauftem Saal, reguliere die | |
Klimaanlage eigenständig nach. „Wir können die Luft im Theater aber nicht | |
besser machen als sie von draußen reinkommt“, sagt Sonnemann. „Wenn ich die | |
Anlage voll hochfahre, sind 500 PPM möglich, aber dann sind die Maschinen | |
auch sehr laut und es zieht“. Standard seien 800 PPM, „wir erzielen aber | |
mit unserer Anlage auch bei normalem Betrieb bereits bessere Werte“. | |
„Wir müssen immer auf Volllast fahren“, sagt Marcus Weide, der technische | |
Direktor des Deutschen Theaters Göttingen (DT). Die dortige, etwa 35 Jahre | |
alte Lüftungsanlage wird nicht wie in Bremen von einer Extrabelüftung des | |
Bühnenraums sowie Orchestergrabens unterstützt und führt auch keine eigenen | |
CO2-Messungen durch; dazu hat Weide in der Pandemie extra ein Gerät | |
angeschafft. Werte von über 800 PPM seien „bei uns nicht mal annähernd | |
erreicht“ worden. Was daran liegt, dass erst unter Coronabedingungen | |
gemessen wurde: Man habe nach der Sommerpause 140 Besucher einlassen | |
dürfen, es seien aber immer nur höchstens 40 gekommen. | |
## Zur Not die Türen auf | |
Trotzdem sei man auf mehr Zuschauer vorbereitet: „Dann können wir in Pausen | |
die Entrauchungshauben im Dach sowie die Türen nach draußen öffnen.“ Aber, | |
so Weide weiter: „Unsere Anlage ist vermutlich bei Weitem nicht so | |
leistungsfähig wie die in Dortmund und daher das Studienergebnis auch nicht | |
auf unser Haus zu übertragen.“ Nur ein Grund, warum dem DT seit Jahren | |
dringender Sanierungsbedarf attestiert wird. Erste grobe Schätzungen der | |
Eigentümerin, der Stadt Göttingen, belaufen sich auf mindestens 55 | |
Millionen Euro. Ein konkreter Zeitplan fehlt allerdings. | |
„Fürs Theater Bremen lassen sich die Studienergebnisse aus Dortmund | |
übertragen“, behauptet hingegen Sonnemann: Bisher setze man auf einen Mix | |
aus Um- und Außenluft, Teile der bereits erwärmten Luft werden mit | |
Frischluft vermischt und durch einen Staub- und Pollen-Filter geleitet. „Je | |
kälter es draußen ist, desto höher war der Energiebedarf zum Erwärmen. | |
Bisher lag unser Fokus dabei auf dem Energiesparen, jetzt geht die | |
Gesundheit vor“, sagt Sonnemann. „Daher verzichten wir auf Umluft und | |
tauschen die verbrauchte Luft fortwährend komplett aus.“ Bei | |
Schachbrettbesetzung wäre der Theaterbesuch in Bremen daher sicher – selbst | |
ohne Masken. Und eine Erkenntnis aus Dortmund gilt überall: Sitzen viele | |
Menschen da, fördert das den Luftaustausch nach oben sogar noch durch | |
zusätzliche thermische Effekte. Nadelöhr, da sind sich Sonnemann, Weide und | |
die Goslarer Forscher einig, bleiben Foyer und Pausenbereich: Dort arbeiten | |
die Lüftungsanlagen anders, und die Menschen kommen sich näher, als es der | |
Pandemieschutz erlaubt. Deshalb, so die Empfehlung, solle dort die | |
Masken-Pflicht bestehen bleiben. | |
Der erkenntnisfördernd ausatmende Oleg war vergangene Woche, wenn nicht in | |
Göttingen oder Bremen, so doch in Itzehoe zu Besuch: Das Stadttheater ließ | |
[5][Aerosole und CO2-Konzentration messe]n. Direktorin Ulrike Schanko | |
hofft, dass die Ergebnisse das Hygienekonzept untermauern: „Mit einem | |
wissenschaftlichen Beleg möchten wir zu einer größtmöglichen Sicherheit des | |
Publikums bei der Wiederaufnahme des Spielbetriebs beitragen.“ | |
12 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tu-clausthal.de/universitaet/einrichtungen/presse-und-oeffentli… | |
[2] /Kinochef-ueber-Corona-Krise/!5680551/ | |
[3] https://www.ds.mpg.de/ | |
[4] https://www.dlr.de/as/desktopdefault.aspx/tabid-119/269_read-466/ | |
[5] https://www.itzehoe.de/communice-news/news/artikel/aerosol-messung-im-theat… | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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