# taz.de -- Columbo als Vorbild für die gesamte Menschheit | |
> Wie man die Energie des Zorns nutzen kann, ohne sich vom Wesentlichen | |
> ablenken zu lassen. Die schottische Schriftstellerin A. L. Kennedy hielt | |
> im Rahmen der Mosse-Lectures-Reihe eine Wutrede gegen die Wut | |
Bild: Die schottische Schriftstellerin A. L. Kennedy im Gespräch mit Lothar M�… | |
Von Jan Jekal | |
Jeden Morgen wachen wir zufrieden auf, halten einen Moment inne, und dann | |
fällt uns wieder ein: Ende der Demokratie! Russische Einflussnahme! | |
Facebook! AfD! Pathologische Narzissten!“ Die schottische Schriftstellerin | |
A. L. Kennedy sitzt vor einer Bücherwand und gestikuliert, grimassiert, | |
wackelt mit dem Kopf, wackelt mit dem Finger, spricht schnell und durch die | |
Zähne, und fragt sich schließlich: „Wo ist der Zorn? Warum sind wir nicht | |
zornig? Liegt es an Feigheit, an Schwäche, haben wir Angst?“ | |
Wo ist der Zorn? Wo ist er denn nicht? Aber sie stellt gleich klar, wie sie | |
es meint. Sie rede nicht von „engineered anger“, diesem allgegenwärtigen, | |
vor allem von rechten Propagandamaschinen künstlich erzeugtem Zorn, der den | |
für ihn Empfänglichen das Denken abnimmt und sie befeuert. Sie redet vom | |
Ausbleiben eines Zorns der Demokraten, der Linksliberalen, nicht zuletzt | |
der britischen, die höflich den Kopf unten halten und sich mit | |
Unzumutbarkeiten zurechtfinden. | |
Kennedy hielt am Donnerstagabend im Rahmen der von der Humboldt-Universität | |
veranstalteten Mosse-Lectures-Reihe „Zorn: Geschichte und Gegenwart eines | |
politischen Affekts“ einen Vortrag, den man als Wutrede gegen die Wut | |
bezeichnen könnte. Ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, sich die Energie | |
des Zorns zunutze zu machen, und sie umzuleiten in kreative, konstruktive | |
Projekte. Zum Beispiel in einen energischen Vortrag, der leider nur über | |
Zoom stattfinden kann. | |
Was bei ihr besonders schade ist, denn Kennedy ist auch eine Komikerin, | |
deren Mimik man in der Webcam-Nahaufnahme zwar besonders gut sehen kann, | |
deren Strahlkraft aber natürlich gemindert wird, wenn sie nur in ein | |
übersteuertes Headset-Mikrofon schimpft, das zu allem Überfluss eine | |
unglückliche Rückkopplung produziert, weshalb ihr Schimpfen zeitversetzt | |
doppelt zu hören ist. | |
Sie hat ihrem Vortag den Titel „Just One More Thing“ gegeben, und zitiert | |
damit die Catchphrase des Fernsehdetektivs Columbo („der Liebling meiner | |
kommunistischen Oma“). Dieser sei ein Vorbild für die gesamte Menschheit, | |
weil er sich nicht dazu hinreißen lasse, wütend zu werden. Er wird | |
angegriffen, angelogen, belästigt, herablassend behandelt, denkt aber | |
einfach weiter vor sich hin und folgt den Fakten, die er findet. Wut lenke | |
nur vom Wesentlichen ab. Wer etwas bewirken möchte, dürfe der Verlockung | |
der Wut nicht erliegen. | |
Und diese Verlockung ist eine große! Wer wütend ist, fühlt sich im Recht, | |
und wer im Recht ist, muss sich von niemandem etwas sagen lassen. Wer | |
wütend ist, muss nicht denken, wer wütend ist, handelt jenseits von Logik | |
und Realität, wer das Kapitol stürmt und den Sturm livestreamt, macht sich | |
keine Gedanken darüber, dass dieser Gesetzesbruch so profane wie reale | |
Folgen haben wird. Kein Wunder natürlich, sagt Kennedy, dass die Politiker, | |
die weder Ideen noch Antworten haben, genau diejenigen sind, die ihre | |
Anhänger in die blinde Wut treiben, denn das letzte, was sie wollen, sind | |
denkende Menschen. „Wenn man ihm tatsächlich einmal zuhört“, sagt sie üb… | |
ihren Premierminister, den sie „Popo the Deathclown“ nennt, „merkt man, | |
dass er nichts zu sagen hat.“ | |
Was also tun? Wohin mit der Wut, die ja hoffentlich da ist, wenn vielleicht | |
auch unterdrückt? Kennedys Vorschlag ist rührend und romantisch, und | |
entspricht im Grunde dem Diktum „Der Stift ist mächtiger als das Schwert“. | |
Was nicht stimmt. Der Stift ist nicht mächtiger als das Schwert. Wer mit | |
einem Stift in einen Schwertkampf zieht, verliert. | |
„Je schlimmer ein Politiker ist, desto wichtiger ist es ihm, ernst genommen | |
zu werden“, argumentiert jedoch Kennedy. Sie verweist auf den alten | |
englischen Volkssport Flyting, eine Art mittelalterlicher Rap-Battle, bei | |
dem sich die Teilnehmenden mit einstudierten Beleidigungen überzogen haben, | |
Kennedy schlägt vor, die Mächtigen lächerlich zu machen, ihnen so ein Stück | |
ihrer Macht zu nehmen. | |
Sie demonstriert das anhand eines Kurzporträts der AfD-Bundestagsfraktion | |
(„Albrecht Glaser hat seinen Job im Leichenhaus verloren und will nicht | |
sagen, warum“ und so weiter), fragt dann aber nicht, ob das | |
Lächerlichmachen der Mächtigen nicht immer ein zahnloses Beißen bleibt und | |
die Herrschaft sich durch harmlose Hofnarretei vielleicht sogar | |
aufrechterhalten kann. | |
Das Zündeln des Ex-Präsidenten der USA hat schließlich neben allem anderen | |
auch eine Fußballmannschaft an Late-Night-Komikern hervorgebracht, die die | |
täglich neu gelieferten O-Töne vier Jahre lang als Material für ihre | |
Monologe genutzt haben. | |
Andererseits wurde Donald Trump natürlich auch abgewählt, und, wer weiß, | |
vielleicht lag es doch an den Witzen. | |
23 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Jan Jekal | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |