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# taz.de -- Verunsicherung des Lesers
> Gespräch über Literatur im Hause Youtube. Frauke Meyer-Gosau, Jörg
> Magenau und Florian Illies reden über Romane von Julian Barnes, Ottessa
> Moshfegh und Martin Mosebach
Bild: Geschichte zu erzählen ist Florian Illies’ Mission
Von Jan Jekal
Geschichte habe ihn immer ungeheuerlich fasziniert, sagt Florian Illies,
und zugleich zornig gemacht, wenn sie ihm „zu trocken, zu papieren, zu
abstrakt, zu fern präsentiert wurde“. Den Schatz der Geschichte heben durch
Sprache, durch das Erzählen, durch das Herunternehmen der Menschen der
Vergangenheit von ihren Sockeln, das sei seine Mission.
Mit dieser ist der 49-jährige Ex-FAZ- und Ex-Zeit-Redakteur,
Ex-Rowohlt-Verleger, Kunsthändler, Kunsthistoriker, „Generation Golf“-,
„1913“- und „1913: Was ich unbedingt noch erzählen wollte“-Autor Illies
wahnsinnig erfolgreich. Vergangenes lebendig, Geschichtliches sinnlich
erfahrbar zu machen ist auch die Mission des Buchs, das Illies am
Mittwochabend als Gast beim Literarischen Trio vorstellt, einer
pandemiebedingt via Zoom abgehaltenen Veranstaltung des Literaturforums im
Brecht-Haus.
Er spricht über „Der Mann im roten Rock“, das neue Buch des [1][britischen
Autors Julian Barnes]. Ein Buch, das vollkommen für seine „absonderlichen
Leidenschaften“ gemacht sei, wie Illies sagt.
Ein panoramisches Porträt von Paris zur Belle Époque, mit dem Gynäkologen
und Bonvivant Samuel Pozzi als Türöffner, einer realen Figur, denn alles in
Barnes’ Buch ist wirklich passiert oder könnte zumindest wirklich passiert
sein, es ist ein Sachbuch, das, wie Gastgeber Jörg Magenau sagt, in
Fiktionen schwelgt, sie lustvoll erzählt und wieder zurücknimmt und stets
zu dem Refrain zurückkehrt: „Wir wissen es nicht.“ Ein Buch, sagt Illies,
das vor Wissen strotze, dieses Wissen aber auf leichtfüßige, wundervoll
ironische Weise teile.
Am Ende, Spoiler Alert, wird Samuel Pozzi erschossen. Illies liest vor:
„Ein Don Juan, erschossen von einem Mann, der ihm vorwarf, ihn nicht von
seiner Impotenz geheilt zu haben. Soll das eine Moralpredigt sein? In einem
Roman würde das allzu konstruiert wirken. Im nicht fiktionalen Bereich
müssen wir aber auch etwas geschehen lassen, weil es so geschehen ist.“
Eine so ungeheuerliche Pointe, freut sich Illies, dass sie in einem Roman
nicht hätte verwendet werden können.
Er verweist auf den politischen Subtext des Projekts, auf die Tatsache,
dass Barnes’ Buch, das von grenzenüberschreitender Vernetzung handele und
eine Beschwörung europäischer Internationalität sei, in genau dem
historischen Moment erscheint, in dem sich England vom Kontinent in seine
splendid isolation verabschiedet.
Frauke Meyer-Gosau, die zweite Gastgeberin, stellt den neuen Roman der
[2][US-amerikanischen Autorin Ottessa Moshfegh] vor, die, wie sich
mittlerweile zeige, eine „Spezialistin für Frauen in seelischen
Ausnahmezuständen“ sei. Die Protagonistin von „Der Tod in ihren Händen“…
eine alte Witwe, die mit ihrem Golden Retriever in einer Hütte am See lebt
auf einem riesigen, abgelegenen Grundstück. Die Konturen ihres
ereignislosen Lebens beginnen mit dem Auftauchen eines Zettels zu
verschwimmen, grausame Dinge passieren, und was anfangs als Beschreibung
der Realität erschien, zeigt sich zunehmend als Manifestation ihres
wahnhaften Geistes. Der Autorin gelinge, findet eine begeisterte
Meyer-Gossau, durch das Erzählen handfester, banaler Dinge eine
grundlegende Verunsicherung des Lesers. Was ist wirklich, wie entwickelt
sich Wirklichkeit seien die zentralen Fragen des Romans.
Illies pflichtet ihr bei, er habe alle Bücher Moshfegs mit Bewunderung
gelesen. „Am Ende geht man verstört, irritiert aus diesem Buch hinaus“,
sagt er. „Das Einzige, das man verstanden hat, ist, dass wir es hier mit
einer der ganz großen jungen Autorinnen Amerikas zu tun haben.“
Magenau ist nicht überzeugt, hielt schon das letzte Buch der gefeierten
Autorin für überschätzt. „Ich glaube der alten Frau ihre Verstörung nicht…
sagt er. „Ich habe mich an keiner Stelle des Buchs bedrängt gefühlt, habe
nie den Boden unter den Füßen verloren.“ Eine belanglose, langweilige
Erzählweise, behäbig, nichts passiere, moniert Magenau, außer dass „man
ständig den Gedanken einer alten Frau folgen muss, die sich irgendwas
auszudenken versucht“.
Die Gedanken einer alten Frau langweilen ihn, mit den Gedanken eines alten
Mannes kann er etwas anfangen: Er stellt „Krass“ vor, den neuen Roman von
Martin Mosebach. Eine Wiedergabe der Diskussion (Magenau und Meyer-Gosau
waren mit Vorbehalten überzeugt, Illies enthielt sich, da er das Buch noch
als Verleger bei Rowohlt betreute) muss entfallen, weil mein Stream die
meiste Zeit hakte. Man kann die Veranstaltung jedoch noch drei Monate lang
auf dem Youtube-Kanal des Literaturhauses ansehen.
22 Jan 2021
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## AUTOREN
Jan Jekal
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