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# taz.de -- Viel mehr als Kameraderie
> Seit mehr als 20 Jahren sammeln Hugh Nini und Neal Treadwell
> Paaraufnahmen, die ineinander verliebte Männer zeigen. In der
> Buchhandlung Geistesblüten lassen sich die Abzüge bestaunen, auch lässt
> sich dort der gerade erschienene Bildband erwerben
Bild: Undatierte Fotografie aus der Sammlung von Hugh Nini und Neal Treadwell
Von Steffen Siegel
Wie schauen sich Verliebte an? Teenager stellen die Frage kichernd auf dem
Schulhof, aber eigentlich wissen sie sowieso Bescheid. Bei Hugh Nini und
Neal Treadwell hingegen stand die Frage am Anfang einer ganz anderen
Leidenschaft. Seit mehr als 20 Jahren sammeln die beiden Amerikaner
historische Fotografien, und sie haben es dabei inzwischen auf fast 3.000
Bilder gebracht. Beachtlich ist diese Zahl vor allem deshalb, da sich Nini
und Treadwell für genau ein bestimmtes Motiv interessieren: Paaraufnahmen,
die verliebte Männer zeigen.
Was mit einem Zufallsfund in einem Antiquitätenladen in Dallas begann,
haben die beiden Sammler längst schon systematisiert. Und während ihre
Sammlung weiterwächst, ist nun ein Band erschienen, der als eine Auswahl
350 Aufnahmen enthält. Sie stammen aus Nordamerika, aus Europa und Japan,
aus Argentinien und Australien – fraglos ein wirklich globales Bildmotiv.
„Loving“ haben Nini und Treadwell ihr Buch kurz und bündig genannt; und sie
verbinden hiermit einen aktivistischen Anspruch. Es soll gar nicht erst
gezweifelt werden, um welche Art von Paaraufnahmen es sich handelt.
Tatsächlich ist es ja keine Nebensache, dass diese Fotografien nur für den
ganz persönlichen Gebrauch entstanden waren.
In seinem Vorwort erinnert der Pariser Historiker Régis Schlagdenhauffen zu
Recht daran, dass nicht wenige dieser Bilder, einmal in die falschen Hände
gelangt, wohl den Anlass zu einem Strafprozess hätten geben können. Blickt
man auf die in diesen Fotos eingefangenen hundert Jahre zwischen 1850 und
1950, so ist der sentimentale Schein, den die Auftritte vor der Kamera
zeigen, auf beklemmende Weise doppelbödig.
Die beiden Sammler sprechen von einer selbst aufgegebenen
Fifty-fifty-Regel: Um ein Bild in ihre Sammlung aufzunehmen, müssen sie
wenigstens zur Hälfte davon überzeugt sein, dass es sich um mehr als
Kameraderie handelt, was hier zwischen den Goldgräbern, Matrosen oder
Studenten besteht. Filmkenner wird das an die „Bachelor Hall“ am Strand von
Santa Monica erinnern. In den 1930er Jahren haben nicht nur die Fans von
Cary Grant und Randolph Scott darüber gerätselt, in welcher Art von
Männer-WG die beiden Schauspieler leben. Ihre Camouflage für die Kameras
der Klatschpresse war – von heute aus gesehen – leicht komisch, weil eine
durchschaubare Inszenierung. Dieses Spiel erweitern Nini und Treadwell nun
auf bemerkenswerte Weise um ein Archiv aus Tausenden anonymen Paaren.
In Charlottenburg lässt sich die Frage, wie sich verliebte Männer denn nun
anschauen, übrigens nicht nur in Buchform klären. Man kann ihr derzeit auch
in einer Ausstellung nachgehen. Sollte die charmante Formel von
Buchhandlungen als geistigen Tankstellen (so haben wir Klaus Lederer noch
im Ohr) eine Bestätigung benötigen, so ließe sie sich in der Buchhandlung
Geistesblüten am Walter-Benjamin-Platz finden.
Den beiden Inhabern Christian Dunker und Marc Iven ist eine Premiere
gelungen: Als großformatige Neuabzüge zeigen sie eine persönliche Auswahl
aus Ninis und Treadwells Sammlung.
Wahrscheinlich ist es derzeit nur ein naiver Wunsch, aber vielleicht wird
es ja möglich werden, dass, wie längst angekündigt, die beiden Sammler
noch vor Ende der Ausstellung aus New York nach Berlin kommen, um ihr Buch
persönlich vorzustellen. Bei dieser Gelegenheit könnten sie übrigens den
beiden Buchhändlern zum gerade eben erhaltenen Deutschen Buchhandelspreis
gratulieren.
„Loving. Männer, die sich lieben“. Sammlung Hugh Nini & Neal Treadwell. Mit
einem Text von Régis Schlagdenhauffen. Elisabeth Sandmann Verlag, München
2020.
Buchhandlung Geistesblüten, Walter-Benjamin-Platz 2. „Loving“ ist dort bis
7. März zu sehen.
9 Jan 2021
## AUTOREN
Steffen Siegel
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