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# taz.de -- „Ich war schon immer ein Gehörmensch“
> Wer die Drei Fragezeichen nicht kennt, hat keine Kinder oder war nie
> selber eins. Heikedine Körting hat praktisch alle bekannten Hörspiele der
> letzten 50 Jahre produziert
Bild: Heikedine Körting ist auf den meisten ???-Folgen auch selbst zu hören: …
Interview Jan Freitag
taz: Frau Körting, stimmt es, dass Sie auf fast allen Ihrer knapp 3.500
Hörspiele selbst zu hören sind?
Heikeding Körting: Nicht bei fast allen, aber in jeder Folge der „Drei
Fragezeichen“, wo ich ja den Papagei krächze.
Ich dachte, das sei ein Star, ein billiger Star, wie es im „Superpapagei“
von 1979 heißt.
Ein Mynah! Seit 209 Folgen.
Klingt nach Fließbandarbeit.
Könnte man denken. Aber wir haben halt schon in den Sechzigern angefangen.
Außerdem bin ich seit jeher fleißig, stehe früh auf, mache mir Kaffee und
bin bis abends mit Hörspiel zugange. Weil ich ständig Manuskripte und
Kinderbücher lese, schaffe ich es kaum noch, privat ein gutes Buch zu
lesen. Das kommt davon, wenn man sein Hobby zum Beruf macht …
Und daran ändert sich auch im Alter nichts?
Nur, dass ich abends nicht mehr so gern lange aufbleiben mag. Und dann hat
Corona natürlich einiges geändert. Die Schauspieler sprechen jetzt alles
einzeln ein. Vorher haben wir uns dafür immer in großer Runde getroffen.
Das war fast wie eine Familienfeier.
Mit Ihnen als Fixstern im Zentrum.
Mädchen für alles, Mutter der Kompanie, wie Sie wollen. Und wenn wir
Sonntag die 4. Folge von „Fünf Freunde – endlich erwachsen“ aufnehmen,
kommen endlich wieder drei auf einmal zusammen vors Mikro. Aber wir halten
natürlich Abstand und lüften gut. Die Kinder von früher leben jetzt
übrigens in einer Kommune, teilweise vegetarisch, es wird getrunken – auch
Kinderhörspiele gehen mit der Zeit.
Das müssen sie auch. Früher wurden die Mädchen darin oft als weichlich
dargestellt, dicke Kinder gemobbt, Sinti und Roma waren latent kriminelle
„Zigeuner“.
Das stimmt, hat sich aber im selben Tempo wie die gesellschaftliche
Emanzipation insgesamt gewandelt. Wenn Sie sich neue Folgen der „Fünf
Freunde“ oder „Hanni und Nanni“ anhören, haben die Mädels darin definit…
das Sagen.
Lassen Sie sich von den Sprecherinnen und Sprechern dabei ein wenig auf die
Sprünge der Moderne helfen?
Ich weiß gar nicht, ob ich das nötig habe, aber meine jungen Sprecher sind
in der Tat Ratgeber. Außerdem halten mich sieben Patenkinder, darunter die
meines neuen Partners, auf Trab. Einer von denen hilft mir gerade, unsere
Geräusch-Tonbänder zu überarbeiten und zu digitalisieren. Die ganze Familie
arbeitet mittlerweile an den Hörspielen.
Können Sie sich eigentlich an jedes davon erinnern?
An die meisten schon, besonders natürlich die aktuellen und die ersten. Am
wenigsten blieb noch von denen hängen, die wir in der Zeit produziert
haben, als Hörspiele totgesagt wurden.
In den Neunzigern, als die CD erst Vinyl, dann Musikkassetten verdrängt
hat.
Da ging es steil bergab. Zugleich wollte der Europa-Verlag nichts an die
Konkurrenz verlieren, weshalb immer gut für mich zu tun war. Damals hatte
ich mit Andreas Beurmann, meinem späteren Ehemann, noch viel allein
gemacht. Jetzt gehören wir zu Sony, da wurde das Sortiment sogar erweitert.
Um Ableger, die Fans der ersten Stunde zutiefst verachten. „Drei
Fragezeichen Kids“ zum Beispiel oder „Drei Ausrufezeichen“.
Die produziere ich gar nicht, bei uns entstehen nach wie vor die Klassiker
von „Drei Fragezeichen“ bis „TKKG“ oder für Kleinere „Hexe Lilli“.…
Drängen meines langjährigen Autors André Minninger …
… der ja auch schon seit 30 Jahren für Sie schreibt.
… dürfen wir jetzt wieder mehr Gruseliges machen. Das waren schon immer
meine Favoriten: Macabros, Freddy Krüger, Larry Brent – wunderbar! Schade,
dass die alle nicht mehr im Handel sind.
Weniger schade für Online-Händler, die mit den gebrauchten Gruselschockern
Hunderte von Euro verdienen.
André fragte mich kürzlich, als ich mal wieder eins meiner Originale
verschenkt hatte, ob ich denn verrückt sei, die Folge koste im Internet
1.900 Euro. Aber es kommt ja in gute Hände.
Haben Sie eine Lieblingsfolge?
Immer die, an der ich grad’arbeite.
Das klang jetzt routiniert.
Ist aber so. Gut, Debütfolgen liegen mir schon besonders am Herzen, weil
ich daran allein mit meinem Mann Tag und Nacht gebastelt habe; das stärkt
die Beziehung zum Produkt. Mittlerweile habe ich aber gute Mitarbeiter,
alles ist professioneller geworden und passt sich damit den Hörgewohnheiten
an.
Zu denen zählt der Podcast-Boom. Hat er Ihnen nochmals Schwung verpasst?
Und wie! Auch privat. Ich bin sowieso eher Zuhörerin als Zuschauerin. Beim
Fernsehen zum Beispiel gucke ich mir am Anfang die Figuren einmal an, dann
mach ich nebenbei andere Sachen und höre nur noch zu. Ich war schon immer
ein Gehörmensch. Beruflich bedeutet dieser Boom vermutlich, dass es in
absehbarer Zeit keine CDs mehr gibt. Ich merke das schon jetzt. Wir haben
im Büro ein Regal voller Hörspiele, an dem sich Kinder bedienen können.
Zuletzt hatte ich zwei da, die meinten, „Nein, danke“, sie hätten das alles
schon auf Spotify gehört.
Wenn man sich wie Sie täglich so intensiv mit der Jugendkultur
auseinandersetzt – muss man da eigentlich ein bisschen Kind geblieben sein?
Nicht nur ein bisschen. Das ist vielleicht der einzige Vorteil, keine
Kinder zu haben; dadurch ist man weniger auf die eigenen fixiert, sondern
offener gegenüber denen anderer. Wenn wir draußen auf Gut Hasselburg Besuch
haben, komme ich mit den Lütten besser zurecht als mit gestandenen Frauen
zwischen 40 und 50. Das hat bestimmt auch damit zu tun, dass Letztere in
meinen Geschichten kaum eine Rolle spielen. Ich war aber auch immer schon
ein beweglicher Mensch. Kinder spüren das.
Wenn man mit Ihnen so durchs Studio läuft, könnte man Sie fast zappelig
nennen.
Das dürfen Sie gerne. Manchen geht es auf die Nerven, wenn ich ständig vom
Tisch aufstehe und irgendwas aus der Küche hole. Deswegen gehe ich lieber
ins Kino als fernzusehen; da ist man dazu verdonnert, zwei Stunden
stillzusitzen und sich auf den Film einzulassen. Hier ist mir das oft zu
schade um die Zeit.
Haben Sie deshalb auch die Karriere als Juristin gegen die der
Kinderhörspielregisseurin getauscht?
Habe ich ja gar nicht. Ich praktiziere immer noch als Rechtsanwältin,
zugelassen am Hamburger Oberlandesgericht.
Familienrecht vermutlich.
Früher ja, viele Scheidungssachen. Später habe ich mich um Autoren- und
Verlagsrechte gekümmert, für unseren Kommissar Reynolds, Horst Frank, zum
Beispiel, als der sein Buch veröffentlicht hatte. Aber mittlerweile mache
ich das natürlich nicht mehr so häufig. Und schon gar nicht in
Streitfällen.
Sie streiten sich nicht gerne?
Überhaupt nicht. Und wenn, dann verteidige ich grundsätzlich die
Angegriffenen, ob vor Gericht oder woanders, schon als Kind. Deswegen war
auch schon früh klar, dass ich mal Verteidigerin werden würde.
Wollten Sie zuvor nicht Journalistin werden?
Ja, weshalb ich das Staatsexamen im Grunde auch nur für meinen Vater
gemacht habe. Nach dem Abitur hatte ich Gräfin Dönhoff ...
... der 2002 verstorbenen Mitherausgeberin der Zeit...
... mit der mein Vater gut befreundet war, einen Brief geschrieben, ob ich
Journalismus studieren solle. Weil sie mir davon abgeraten hatte, habe ich
Jura gewählt – schon wegen meines Gerechtigkeitssinns, und weil man im
Studium von der Wirtschaft bis ins strukturierte Denken viel lernt, was ich
später als Regisseurin gebrauchen konnte. Dumm war nur, dass mein Vater mir
zwar teilweise die Semester, nicht aber die Ferien finanzieren konnte.
Ihre Familie war gar nicht wohlhabend?
Im Gegenteil. Sie hatte im Krieg alles verloren und mein Vater saß in
Kriegsgefangenschaft, als ich geboren wurde. Meine Mutter ist kurz zuvor
mit meinen zwei älteren Brüdern erst von Berlin nach Jena geflohen und nach
meiner Geburt von dort im Bollerwagen übers Haff nach Lübeck, wo wir alles
anders als freundlich aufgenommen wurden. Eine wirklich schwere Zeit.
Schärfen solche Erfahrungen das Bewusstsein für die Flüchtlinge von heute?
Unbedingt, wer das erlebt hat, sieht die Situation jetzt mit völlig anderen
Augen – auch, wenn ich das als Kleinkind nicht so mitbekommen hatte. Zum
Glück war meine Mutter fürsorglich, sie hatte sogar stundenlang beim Arzt
angestanden, um Hustensaft zu kriegen, damit wir mal was Süßes aufs Brot
bekamen. Aber auch, als mein Vater zurückgekehrt war, dauerte es noch eine
Weile, bis wir aus dem Gröbsten raus waren und er mit seiner Baufirma
Erfolg hatte.
Welche Einstellung zum Geld bringt diese Entwicklung von ganz arm bis
ziemlich wohlhabend mit sich?
Eine pragmatische. Als ich in Genf studierte, bekamen alle Kommilitoninnen
genug Geld von zu Hause; ich musste jobben, Plakate kleben, Zeitungen
ausfahren, sogar im Fernsehen als Claqueur habe ich gearbeitet. Wenn man
weiß, wie scheiße es ist, kein Geld zu haben, wird die Unabhängigkeit davon
umso wichtiger.
Wann haben Sie diese Unabhängigkeit denn erstmals verspürt?
Im Referendariat, da gab es plötzlich 1.200 Mark im Monat, viermal so viel,
wie mir mein Vater geben konnte. Danach habe ich am Jugendgericht
gearbeitet, bei der Baubehörde, im Notariat und gut verdient. Geld war also
nicht mehr so das Problem. Aber da ich in den Semesterferien begonnen
hatte, Hörspielskripte für Andreas Beurmann zu schreiben …
… der 1965 das Musiklabel Europa gegründet hatte.
… war der Weg dorthin geebnet. Wenn wir nicht geheiratet hätten, wäre ich
wahrscheinlich Vollzeitjuristin geworden und säße nicht mit Ihnen hier.
In einer prachtvollen Villa an der Rothenbaumchaussee, wo nahezu alle
Hörspiele entstanden sind, die Kinder der Achtzigerjahre so im
Kassettenrecorder hatten.
Zumindest die der vergangenen gut 30 Jahre. Vorher war unser Studio auf der
anderen Alsterseite in der Agnesstraße. Als wir das Haus hier gekauft
haben, waren die Banken noch etwas kooperativer, um so was finanzieren zu
können.
Aber gelebt haben Sie damals schon im herrschaftlichen Gut Hasselburg aus
dem 18. Jahrhundert nahe der Neustädter Bucht.
Wobei wir das in den Siebzigern nur gepachtet hatten und seither im Sinn
des Denkmalschutzes pflegen, um es der Allgemeinheit zugänglich zu machen
und der Nachwelt zu erhalten.
Später wurde dort die ZDF-Serie „Das Erbe der Guldenburgs“ gedreht.
Ein Teil davon, auch mal ein „Tatort“ mit Manfred Krug. Ohne uns wäre
vorher schon mindestens die große Scheune abgerissen worden. Wir sind
übrigens immer noch nur Pächter.
Und mittlerweile eher Stadt- oder Landmenschen?
Halbe-halbe, ich bin immer ein paar Tage hier, ein paar Tage dort. Wenn ich
in der Hasselburg bin, freue ich mich wieder auf Hamburg. Nächste Woche zum
Beispiel kommt Axel Milberg zu uns für die „Drei Fragezeichen“. Er ist seit
Folge 187 unser Erzähler.
Fragt sich, wer wen schmückt – Milberg das Hörspiel oder das Hörspiel
Milberg?
Das beruht wohl auf Gegenseitigkeit. Wobei Herr Milberg, ohne ihm nahtreten
zu wollen, in große Fußstapfen tritt. An Peter Pasetti reicht nicht mal er
ganz ran. Aus jener großen Theatergeneration haben einige im Europa-Studio
gearbeitet. Und mit fast allen davon war man irgendwie auch befreundet. Das
hat keiner von denen nur als Job angesehen.
Das wirkte jetzt nostalgischer, als Sie sonst klingen.
Warum auch nicht?! Wenn ich mich an eine Gruselfolge erinnere, als hier
Gisela Trowe, Katharina Brauren, Karl-Ulrich Meves im Studio saßen – da
kann sogar eine wie ich schon mal wehmütig werden.
18 Jan 2021
## AUTOREN
Jan Freitag
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