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# taz.de -- Wege durch die Comic-Welten
> Mehr als nur Erzählung – und mehr als nur Stil: Das sonst für Design
> reservierte Bremer Wilhelm-Wagenfeld-Haus wagt sich aufs Terrain der
> Neunten Muse
Bild: Könnten auch als klassische Fabel durchgehen: Hanna Haifischs Tiergeschi…
Von Frank Schümann
Wie stellt man Comics aus? Pardon, Graphic Novels? Diese Frage umtrieb
Julia Bulk, die Leiterin des Wilhelm-Wagenfeld-Hauses, in den vergangenen
Monaten sehr. „Wir haben tatsächlich lange überlegt, wie wir die Werke
zeigen“, sagt sie, „oft unter der Fragestellung: nehmen wir jetzt die
schönsten Einzelseiten heraus oder doch lieber eine Erzählung innerhalb der
Erzählung, die irgendwie Sinn macht – schwierig“.
Die Lösung war ein „teils, teils“, jeweils auf das Sujet zugeschnitten. Bei
Barbara Yelins „Gift“ (mit Texten von Peer Meter), das die Geschichte der
Bremer Giftmörderin Gesche Gottfried erzählt, wurde es die Erzählung in der
Erzählung, weil auch das Wagenfeld-Haus selbst vorkommt, natürlich in
seiner historischen Funktion als Gefängnis. In anderen Fällen entschied man
sich auch mal für ein besonders schönes Einzelbild oder, wie bei Erik
Kriek, für eine komplette kürzere Geschichte.
Doch der Reihe nach. Die „Graphic Novel“-Ausstellung des
Wilhelm-Wagenfeld-Hauses, die inklusive des Wettbewerbs „Battle of Print“
eigentlich schon Ende Oktober hätte öffnen sollen, ist fertig gehängt. Sie
zu sehen wäre möglich. Nur bleibt bis auf Weiteres verboten, sie zu
besuchen. Corona. Der Anspruch der Ausstellung: zu zeigen, was gegenwärtig
in der Szene los ist – inklusive der technischen Herangehensweise und offen
auch für Menschen, die mit dem Ausdruck der „Graphic Novel“ wenig anfangen
können – gerade weil sie Comics, mögen, wie sie sind.
Die Kritik an der feuilletonistischen Bezeichnung: Das durch sie betonte
Stilwollen hemmt den Erzählfluss. Statt mit dem eigenen Rhythmus lesende
Betrachter*innen einzufangen, stößt Manierismus vor den Kopf. Ein solches
gestalterisches Übergewicht ist in dieser Ausstellung manchmal, aber bei
Weitem nicht immer zu erkennen. Zumal Julia Bulk selbstbewusst dagegen
hält: „Uns hat das Aufbrechen der klassischen Strukturen besonders
interessiert. Zu zeigen: was kann man heute machen, wie kann man etwas
anders erzählen?“ Natürlich wisse man auch, dass man im kleinen
Wagenfeld-Haus, das sonst ausschließlich dem Design gewidmet ist, das Rad
nicht neu erfinden könne. „Aber das Publikum, das wir ansprechen, hat so
etwas, glaube ich, noch nirgendwo gesehen.“
Die Ausstellung ist klug gebaut: Sie beginnt mit dem Niederländer Erik
Kriek im Flur mit konventionelleren Bildern und Erzählweisen. Hier erleben
wir, mit der Geschichte „Where the wild roses grow“ nach einer
Murder-Ballad von Nick Cave, zunächst eine recht klassische Erzählweise,
wenngleich die Geschichte mit einem neuen Ende überrascht; die wird dann im
darauffolgenden Raum sofort gebrochen. Die Auszüge aus Julia Bernhards „Wie
gut, dass wir darüber geredet haben“ stehen für eine ungewöhnliche
Perspektive: Die Bilder zeigen die Welt aus den Augen der Protagonistin –
und somit ihre männliche Verabredung ebenso wie das Essen, das auf dem
Tisch steht.
Schnell wird darüber klar: das wird wohl nix mit dem erhofften schönen
Abend. Im gleichen Raum findet sich eine noch ungewöhnlichere Perspektive:
Der Schweizer Martin Panchaud erzählt mit „Die Farbe der Dinge“ eine
Geschichte über einen 14-Jährigen. Simon, der seinem Vater Geld stiehlt,
verdient damit im Wettbüro Millionen, während sein Vater die Mutter
krankenhausreif prügelt. Das alles ist aber konsequent in Vogelperspektive
gezeichnet, von oben. Die Personen sind nur als Punkte in unterschiedlichen
Farben zu erkennen. Sie bewegen sich in Wohnungsgrundrissen. Ein spannendes
Experiment, das die Möglichkeiten der Graphic Novel neu auslotet.
Zwei Räume zeigen Arbeiten der Künstler-Gruppe SPRING; einige Bilder von
Anke Feuchtenberger, der bekanntesten Vertreterin dieser Gruppe, kommen wie
Gemälde daher. Besonders spannend: Häufig sind in der Ausstellung auch
Vorzeichnungen zu sehen, die es ermöglichen, sich in den Arbeitsprozess
hineinzudenken. Gezeigt wird in vielen Fällen der Prozess von den ersten
Skizzen (oft schon digital) bis hin zum fertigen Bild. Viele
Original-Blätter werden gezeigt: Das ist bei Comic-Ausstellungen eher die
Ausnahme als die Regel.
Im Obergeschoss des Wagenfeld-Hauses hat man sich zunächst mehreren
besonderen Handschriften gewidmet – unter anderem mit den „Happy
Place“-Comic-Strips von Max Baitinger und den Tierfiguren von Anna
Haifisch, deren Geschichten zum Teil wie klassische Fabeln funktionieren.
Mehr Raum bekommen die Panels aus Erik Krieks „Der Verbannte“, einem Drama
um Schuld und Sühne, das im Island des 10. Jahrhunderts spielt. Es
beeindruckt durch seine Landschaftsbilder, die von starken
Licht-Schatten-Effekten leben und wegen ihrer grafischen Qualität auch
großformatig auf die Stellwände gedruckt funktionieren. Wie Barbara Yelins
„Gift“ spielt auch Jens Genehrs „Valentin“ in Bremen. Es erzählt aus z…
Perspektiven vom Bau der U-Boot-Bunker-Fabrik in Bremen-Nord durch grausam
gequälte Zwangsarbeiter. Für sein Buch hat der Bremer Künstler viele
historische Dokumente und Fotos ausgewertet.
„Feldforschung“ der besonderen Art betrieb auch der in Portland lebende Joe
Sacco, dessen Werk „Der erste Weltkrieg. Die Schlacht an der Somme“ zu den
Höhepunkten der Ausstellung zählt. Es schildert einen einzigen Tag des
Krieges – in einem einzigen, über zwölf Meter langen Bild ohne Text.
Hunderte von Soldaten sind darauf zu sehen – beim Reden, beim Rauchen, beim
Befehlen, beim Befehle entgegennehmen. Beim Töten. Beim Sterben.
Bedrückend. Und eindrucksvoll.
Insgesamt sind das viele verschiedene Handschriften, die da hinter den
verschlossenen Türen der alten Steintorwache auf Besucher*innen warten.
Dafür sollte man sich im kommenden Jahr unbedingt Zeit reservieren, viel
Zeit, zumal man sich auf Bänke setzen und in den ausliegenden
Original-Comics lesen können wird. Neben den 15 Künstlerinnen und
Künstlern, die mit 17 Arbeiten vertreten sind, sind im letzten Raum noch
zahlreiche Arbeiten zu sehen, die auf den Wettbewerb „Battle of Print“
zurückgehen. Eingeschickt wurden 66 Arbeiten. Von den 40 ausgestellten
Werken werden demnächst von einer hochkarätigen Jury die zwölf besten
gekürt. Sie sollen in einem Kalender erscheinen.
Insgesamt wird die Ausstellung ihrem Anspruch gerecht: Sie informiert,
zeigt auf, unterhält und ist inhaltlich sehr vielseitig – immer auch in dem
Bewusstsein, dass sich das Wilhelm-Wagenfeld-Haus mit ihr auf ungewohntem
Terrain bewegt. Julia Bulk: „Ich hoffe, dass wir bei unserem normalen
Publikum etwas bekannt machen können, was die Besucher vorher noch gar
nicht wahrgenommen haben.“ Bisweilen schaffe man ja auch durch zu viel
Fachwissen eine Hürde. „Das ist dieses Mal sicher nicht der Fall“, so die
Direktorin.
Graphic Novel mit Battle of Print: Wilhelm-Wagenfeld-Haus, Am Wall 209,
Bremen. Nach jetzigem Stand bleiben die Museen bis einschließlich 10.
Januar 2021 geschlossen
22 Dec 2020
## AUTOREN
Frank Schümann
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