# taz.de -- berlin viral: Rambazamba im Görli und beim Glühwein | |
Nikolausabend. Wir öffnen das Fenster zum Park und singen „Lasst uns froh | |
und munter sein“ in die Dezemberluft hinaus. So locken wir den Nikolaus an. | |
Die Kinder starren minutenlang angestrengt hinaus in den Görli, um den | |
nahenden Wohltäter zu sichten. Hier fährt ein Fahrrad auffällig langsam, | |
dort schleicht jemand extra heimlichtuerisch durch die Büsche. Alle | |
hundsnormalen Görli-Movements haben heute Abend nichts Dealerhaftes, | |
sondern sind Ausweis einer aktiven Magie in Rotweiß. | |
Gestern noch war Rambazamba im Park. Richtig laute Musik bis nach | |
Mitternacht. Dancehall. Trap. Rap. Ich meine sogar Harry Belafontes „Banana | |
Boat Song“ gehört zu haben. Es war offenbar eine Party aus Langeweile und | |
Verzweiflung, die die ihrer Kundschaft (Touristen, mittlerweile komplett | |
verarmte Student*innen) beraubten Drogenhändler samt Friends and Family da | |
trotz Frost und wieder deutlich regelmäßiger aufkreuzender Polizei gefeiert | |
haben. | |
Andere im Kiez feiern anders zurzeit. Früher vor allem. In erstaunlich | |
dichten Trauben stehen sie ab frühem Nachmittag vor den Essens- und | |
Glühwein-Ausgabetischen der angesagtesten Draußen-Rumsteh-Spots. Es | |
knubbelt sich dick vor „La Maison“ am Paul-Lincke-Ufer und vor „Ammazza C… | |
Pizza“ am Maybachufer, auf den Kanalbrücken werden Freiluftkonzerte | |
gegeben, das Eiscafé „Isabel“ auf der Böckhstraße hat einen ganzen | |
Weihnachtsmarkt aufgebaut, mit heißer Schokolade und Punsch, mit Marmelade | |
und meterhoch gestapelten Panettone-Schachteln. Nirgendwo ist ein luftiges | |
Durchkommen. Mit angehaltenem Atem versucht man, die Knotenpunkte zu | |
passieren und die Flaneure samt ihrer Wegwerfbecher nicht mit Hass zu | |
übergießen. Soll man denn die arme Gastronomie nicht nach Möglichkeit | |
unterstützen? Ist denn der Pappbecher von der Ökobilanz her nicht sogar | |
besser als die Porzellantasse, gesetzt den Fall, man benutzt ihn zweimal? | |
Zu Hause wächst jetzt der Turm der gespülten Becher vom Küchenbord aus gen | |
Zimmerdecke. | |
So rückt die halbe Welt in ihren coronamüden Gruppen wieder enger zusammen. | |
Die andere Hälfte hat Angst. Zofft sich mit ehemals Geliebten. Ist zu viel | |
allein. Hält mit den in die Kriegslure blasenden Kindern die Quarantäne | |
aus. Liegt in einem Scheißzustand zu Hause im Bett oder im Krankenhaus. | |
Sucht nach Pfandflaschen oder einem halbwegs sicheren Schlafplatz. Tanzt | |
den Hunger, die Lampedusa-Erinnerungen und die Rockerbanden-Hintermänner | |
mit Harry Belafonte weg. Oder radelt platt gedrückt von den vielfältigen | |
ökonomischen, sozialen, gesundheitlichen, politischen und ökologischen | |
Sorgen dieser Tage zum wöchentlichen Therapietermin. O tempora, o mores. | |
Während der langen, langen Weihnachtsferien, die bislang noch von keinem | |
einzigen Kalendereintrag aufgelockert werden, werden wir von alldem | |
runterkommen. Werden den Kindern das Anthro-Waldschattenspiel schenken, | |
weil wir selbst das hoffnungsspendende Teelicht zwischen Holztannen und | |
Filzzwergen über das Spielfeld schieben wollen. Werden, weil die Kinder | |
dieses Spiel sicher doof finden, noch die gewünschte Carrera-Bahn | |
dazugeben, weil wir das erstens irgendwie im Sinne des Feminismus finden, | |
zweitens davon ausgehen, dass dieser Wunsch nur einem allerletzten | |
Aufbäumen des sterbenden automobilen Dispositivs entspringt, und drittens | |
hoffen, dass die Kinder nach zwei Wochen Kreisfahren Informationen wieder | |
besser einordnen können. | |
Wir werden ihnen Neujahr dann noch einmal von den getöteten Nerzen in | |
Dänemark erzählen. Beim ersten Mal nämlich hatten sie statt „Nerze“ „�… | |
verstanden. Millionen Ärzte, die in Dänemark wegen Corona ermordet wurden | |
und dann als Zombies wieder dem Erdreich entstiegen sind. Die Kinder hatten | |
sich nicht mal gewundert. Kirsten Riesselmann | |
7 Dec 2020 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Riesselmann | |
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