# taz.de -- Wie ein alter Freund | |
> Heimlich Gedichte von Hölderlin auswendig gelernt: Im Haus der Poesie | |
> lasen Schriftsteller:innen seine Gedichte und diskutierten seine | |
> Bedeutung | |
Bild: Von links: Marion Poschmann, Uwe Kolbe, Meike Feßmann, Gerhard Falkner, … | |
Von Jan Jekal | |
Der Dichter der „Ach“s und „Oh“s, der großen Aufschwünge und tiefen | |
Abstürze und der Ausrufezeichen, der Dichter des großen Entwurfs, das sei | |
Hölderlin. So eröffnet die Kritikerin Meike Faßmann am Montagabend die vom | |
Haus für Poesie organisierte (und im Livestream übertragene) Veranstaltung | |
„So kam ich unter die Deutschen: deutschsprachige DichterInnen und | |
Hölderlin“. | |
In der Mendelssohn-Remise in Berlin-Mitte sitzen in einer socially | |
distanced U-Form [1][Marion Poschmann] und [2][Gerhard Falkner], beide in | |
den letzten Jahren auf der Buchpreis-Shortlist, sowie Kerstin Hensel und | |
Uwe Kolbe. Zuallererst demonstrieren die vier Gäste nacheinander, wie | |
schwer es ist, Hölderlin zu rezitieren, ohne sich zu verhaspeln, denn sie | |
verhaspeln sich alle. Wahrscheinlich hat sich als einziger Bruno Ganz nicht | |
verhaspelt, und wer weiß, wie viele Takes er damals für seine Aufnahmen | |
gebraucht hat! | |
Hölderlins schräge Zeilenbrüche zu lesen, ohne zu stolpern oder plötzliche | |
Pausen zu machen, seine Gedankenfetzen und Satzfragmente Gedankenfetzen und | |
Satzfragmente sein zu lassen, die Emphase seiner Elegien und Oden mit Gusto | |
vorzutragen, ohne sich lächerlich zu machen, das ist alles nicht leicht. | |
Aber dieses übersprudelnd Entrückte, diese „Sprache am Rande der | |
Kommunikationsabsicht“ (Uwe Kolbe später), die macht den dieses Jahr | |
250-Jährigen für seine Fans natürlich so reizvoll. | |
Poschmann wählt für die Vorleserunde Gedichte aus Hölderlins Spätwerk, | |
scheinbar ganz einfache, sagt sie, Landschaftsgedichte, Wintergedichte, die | |
Dinge beschreiben, die er vor Augen hatte, den Blick aus seinem Tübinger | |
Turmzimmer, in dem er, für wahnsinnig gehalten, seine zweite Lebenshälfte | |
verbrachte, und die doch, so sagt sie, etwas Unheimliches unter glatter | |
Oberfläche andeuten, die rätselhaft sind und eine melancholische Stimmung | |
heraufbeschwören, die sie beeindrucke. | |
Kolbe wählt den „Gang aufs Land“ mit dem berühmten Einstieg „Komm! ins | |
Offene, Freund!“ und spricht im Anschluss über Hölderlin wie über einen | |
alten Freund, einen Vertrauten. Und er monologisiert kenntnisreich, und | |
eine unumstürzbare Deutungshoheit beanspruchend, und die Moderatorin | |
mehrfach unterbrechend, über Hölderlins „glücklichste Zeit“, über dessen | |
Wanderungen, später über den „hohen Ton“ der Hölderlin’schen dichteris… | |
Erregtheit, über einen für seine Biografie prägenden Aufenthalt in | |
Tübingen, während dessen in einer Art Erweckungserlebnis die badische | |
Landschaft dem aus dem „Drei-Buchstaben-Land“ Kommenden das Wort | |
„Deutschland“ heraufbeschwor. | |
Die Moderatorin Faßmann bemüht sich, hat aber Schwierigkeiten, | |
Wortmeldungen jenseits von hagiographischen Verneigungen zu erhalten. | |
Poschmann und Hensel halten sich zurück, und Kolbe und Falkner scheinen von | |
einer Frage danach, welche Rolle Männerromantik in der Hölderlin-Rezeption | |
gespielt haben könnte, so angegriffen, dass sich die Stimmung des Abends | |
danach nicht mehr erholt. Falkner jedenfalls wird in der die Veranstaltung | |
beschließenden Vorleserunde eigener Gedichte nicht müde zu betonen, für wie | |
unpassend er das von der Moderatorin gewünschte Gedicht eigentlich halte; | |
aber ja, seufzt er, wenn sie es will, kann er es lesen, mit Hölderlin nur | |
habe es nichts zu tun. Er legt noch ein zweites Gedicht nach, liest das | |
dann aber nicht zu Ende, weil er den anderen ja nicht die Zeit rauben | |
wolle. Die Abwesenheit der Zuschauer verstärkt die Stille zwischen diesen | |
unangenehmen Momenten. | |
Sehr nett hingegen ist die Geschichte, wie Marion Poschmann Hölderlin für | |
sich entdeckt hat. Eine Art bildungsbürgerliches Märchen: Sie hatte mal | |
einen Ferienjob in einer Stofffabrik, musste da Stoffballen in | |
Plastikfolien einschweißen, eine so monotone und langweilige Arbeit, dass | |
sie etwas Abwechslung brauchte. Was sie also tat: Heimlich Hölderlin | |
auswendig lernen. Jeden Tag ein Gedicht auf einem Spickzettel. „Das durfte | |
man natürlich nicht“, sagt sie mit krimineller Energie. Der Dichter der | |
großen Aufschwünge und tiefen Abstürze, auch zwei Jahrhunderte später taugt | |
er noch zu Subversion und Regelbruch. | |
9 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jan Jekal | |
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