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# taz.de -- Was wirklich wichtig ist: Leidvergleich
> Wir werfen anderen vor, sich nicht um das Wichtige zu kümmern. Aber wir
> erreichen nichts, wenn wir einander vorhalten, was wir zu fühlen haben.
Bild: Es gibt kein Leidbarometer, sagte die Mutter unserer Kolumnistin
Neulich musste ich eine Übung für meinen Therapeuten machen. Ich sollte
über mein Leben nachdenken, die wichtigsten Stationen aufschreiben und
dazwischen ebenso wichtige Ereignisse notieren, die aber nicht zwingend von
zeitgeschichtlicher Bedeutung waren.
Ich überlegte wie ich Genozid, Tod meines Vaters, Missbrauch, Liebeskummer
und erste große Liebe einordne. Gut die beiden letztgenannten sind nicht
von zeitgeschichtlicher Bedeutung, aber mir trotzdem wichtig. Ich schämte
mich für den Gedanken und danach fragte ich mich: Wieso bin ich so streng
mit mir?
Es gibt kein Leidbarometer, sagte meine Mutter immer früher und meinte
damit, dass man sich nicht mit anderen vergleichen sollte. Manche Menschen
werden durch den Tod ihres geliebten Meerschweinchens Toni genauso aus der
Bahn geworfen wie andere durch den Tod ihres Onkels. Jetzt habe ich sowohl
Meerschweinchen Toni als auch einige Onkel verloren und vergleiche meine
eigene Trauer ständig.
Manchmal bin ich erschüttert, dass mir [1][der Tod eines Promis, wie
zuletzt Kobe Bryant, manchmal näher geht als bei manch einem Verwandten].
Und manchmal bin ich genervt, dass ich von mir selbst genervt bin, weil mir
etwas nicht so nahegeht, wie es mir eigentlich gehen sollte.
## Viele Dinge können gleichzeitig stimmen
Wenn wir schon so hart mit uns selbst ins Gericht gehen – kein Wunder, dass
wir anderen Leuten ständig vorwerfen, falsche Prioritäten zu haben oder
sich nicht um das Richtige und Wichtige zu kümmern. Ich scrolle durch
Twitter und mein Gefühl wurde bestätigt. Die einen ließen sich über [2][den
Clip #besonderehelden der Bundesregierung zur Pandemie aus] und wieder
andere sagten, dass der Clip doch gar nicht schlecht sei und die Zielgruppe
erreiche (stimmt). Wieder andere kritisierten die Kriegsrhetorik im Video
und dass man sich mehr darum schert als um [3][die Armenier*innen, die in
einem echten Krieg] umgebracht und verschleppt werden (stimmt).
Einige wenige sprechen darüber, dass kaum eine*r über den Konflikt in
Tigray und das Enthaupten von 50 Menschen durch Islamisten in Mosambik
spricht (stimmt). Wieder andere regen sich darüber auf, dass wir alle nur
über diesen einen Satiriker und seine regelmäßigen unterirdischen
Provokationen sprechen (stimmt auch wieder).
Der Punkt ist: Viele Dinge können gleichzeitig stimmen und Menschen suchen
sich nun mal das aus, was ihre Aufmerksamkeit bekommt, und das müssen wir
aushalten können. Wir können uns kritisieren und wir dürfen auch wütend
sein, wenn Menschen für uns wichtige Ereignisse ignorieren. Vor allem, wenn
diese Ignoranz eine lange Historie hat. Und erst recht, wenn es um Krieg
geht. Aber wir erreichen nichts, wenn wir uns ständig vorhalten, was wir
wann wie zu spüren und fühlen haben. Ich fang mal bei mir an.
20 Nov 2020
## LINKS
[1] /Tod-von-NBA-Star-Kobe-Bryant/!5656742
[2] https://twitter.com/RegSprecher/status/1327612253080670210
[3] /Nach-Waffenstillstand-in-Bergkarabach/!5725187
## AUTOREN
Anna Dushime
## TAGS
Kolumne Bei aller Liebe
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Schwerpunkt Bergkarabach
Kolumne Bei aller Liebe
NBA
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