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# taz.de -- Behörde hält Abstandvon eigenen Versprechen
> Zugesagte Standards unterlaufen: Der Konflikt um die
> Geflüchteten-Erstaufnahme in der Bremer Lindenstraße hält an.
> Flüchtlingsrat erhebt schwere Vorwürfe gegen Sozialressort
Bild: Schlechter Ruf, und das wohl zu Recht: „Zentrale Aufnahme-stelle für A…
Von Reimar Paul
Beinahe genau ein halbes Jahr ist es her: Am 8. Mai versuchte ein Bewohner
der Bremer Erstaufnahmestelle Lindenstraße, [1][sich das Leben zu nehmen].
Milad G. begründete seinen Schritt mit den hygienischen und beengten
Verhältnissen in der Einrichtung – und den Umgang mit Corona-Infizierten.
Vier Wochen lang hatte der aus dem Iran geflüchtete G. dort unter
Quarantäne gestanden, auf einem Flur zusammen mit „50, 60 Leuten, die
anscheinend Corona haben – und nur einer Sanitäranlage, die nur einmal am
Tag geputzt“ werde: So hieß es in einem Bericht Milad G.s, den der Bremer
Flüchtlingsrat übersetzen und verbreiten ließ. Und weiter: „Die Polizei kam
und ging, sie kamen in unser Zimmer und taten, als wären wir die Mafia oder
irgendwelche Verbrecher.“
Der Umgang der Bremer Landesregierung – und insbesondere von
Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) und ihrer Behörde – mit der
Erstaufnahmestelle Lindenstraße bewegt schon länger viele Gemüter. Immer
wieder, [2][auch in der taz], beklagten Flüchtlinge die Bedingungen:
Zeitweise waren bis zu 170 Bewohner*innen der Lindenstraße mit dem
Coronavirus infiziert. Im April 2020 betraf laut Flüchtlingsrat mehr als
ein Drittel aller dortigen Corona-Infektionen die Bewohner*innen eines
einzigen Gebäudes. Gemeinsam mit Unterstützer*innen demonstrierten
Geflüchtete mehrfach dagegen, dass das Sozialressort sie nicht so gegen
eine Infektion schütze wie alle anderen Bremer*innen.
Ende April schrieb die rot-rot-grüne Koalition in der [3][Coronaverordnung]
fest, dass es auch Geflüchteten in den Unterkünften des Landes ermöglicht
werden müsse, Abstand voneinander zu halten. Die Belegung der Erstaufnahme
Lindenstraße wurde auf höchstens 250 Personen festgelegt. Senatorin
Stahmann versprach weitere Verbesserungen.
[4][Nach Angaben des Flüchtlingsrates] werden zugesagte und festgelegte
Standards aber nicht eingehalten und teilweise sogar unterlaufen. So seien
in der Lindenstraße zurzeit mindestens 309 Personen untergebracht, auch die
Außenstelle in der Alfred-Faust-Straße sei trotz dort bereits
festgestellter Corona-Infektionen überbelegt. Weiterhin müssten Menschen in
der Erstaufnahme in „Kabinen“ wohnen, die baulich nicht voneinander
abgegrenzt seien. Bewohner*innen hätten berichtet, dass entgegen der
Darstellung der Sozialbehörde das WLAN nicht für alle und nicht überall
erreichbar sei. Fenster könnten demnach weiterhin nicht geöffnet werden, es
gebe also keine durch die Bewohner*innen selbständig regelbare
Fischluftzufuhr.
„Es ist absehbar, dass es unter den bestehenden Bedingungen erneut zu einer
großen Anzahl an Erkrankungen und zu pauschalen Quarantänen in Unterkünften
für Geflüchtete kommen wird oder bereits kommt“, sagt Gundula Oerter vom
Bremer Flüchtlingsrat. Die Sozialbehörde stelle sehenden Auges genau die
Situation wieder her, die im April zu einer Infektionsrate von 37 Prozent
geführt hatte. Massenunterkünfte seien aber auch jenseits der Pandemie eine
fortdauernde Verletzung der Würde der dort lebenden Menschen, so Oerter:
„Sie müssen geschlossen werden.“
Die Angaben des Flüchtlingsrates träfen zwar zu, müssten aber relativiert
werden, sagt der Sprecher der Sozialsenatorin, Bernd Schneider. Tatsächlich
lebten in der Lindenstraße derzeit rund 300 Menschen, also mehr als die
vereinbarten 250. Zu dieser Überschreitung komme es, „weil bei aktuell
gestiegenen Zugangszahlen die Vermittlung in eigenen Wohnraum oder eine
Übergangseinrichtung nicht im von uns angestrebten Tempo gelingt“.
Bei der Vorgabe von 250 Bewohnern handele es sich um eine politische
Vereinbarung, so Schneider weiter. Die Einrichtung sei nicht überbelegt –
und die erforderlichen Abstands- und Hygienemaßnahmen seien in der
Einrichtung, die für 750 Personen zugelassen ist, sogar bei 440
Bewohner*innen einzuhalten.
Dass in einem der drei Flügel des Gebäudes die Zimmer als nicht vollständig
getrennte Kabinen eingerichtet seien, bestätigt Schneider der taz: „Das
heißt, mit einer gemeinsamen durchgehenden Decke.“ Der Umbau dieses Flügels
sei zugesichert. Voraussetzung sei aber, dass die Belegung absehbar für
eine längere Bauphase auch deutlich unter die Zahl von 250 gesenkt werden
könne. Das aber sei „angesichts der derzeitigen Zugänge und der
Pandemielage derzeit leider nicht möglich“.
Auch die nicht zu öffnenden Fenster räumt der Behördensprecher ein. Aber:
„Die Erstaufnahmeeinrichtung ist mit einer leistungsfähigen Heizungs- und
Lüftungsanlage ausgestattet, die das Haus permanent mit temperierter
Frischluft von außen versorgt.“ Mit Fenstern, die geöffnet werden könnten,
müsste diese Anlage außer Betrieb genommen und durch eine Radiatorenheizung
ersetzt werden. „Es würde dann in den Zimmern von den Bewohnerinnen und
Bewohnern abhängen, ob es zu einem der Pandemie-Lage angemessenen
Luftaustausch kommt“, sagt Schneider. „Die Lüftungsanlage stellt das
automatisch sicher.“
9 Nov 2020
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[3] https://www.transparenz.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen2014_tp.c.14…
[4] https://www.fluechtlingsrat-bremen.de/corona-sozialbeho%CC%88rde-ha%CC%88lt…
## AUTOREN
Reimar Paul
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