Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- berlin viral: Was ihr da macht, ist Staatsversagen!
Weil es einen halben Tag geregnet hat, ist jetzt offiziell Herbst. Es gilt,
den Sommer einzumotten, egal, ob noch mal Niederschlag kommt oder nicht.
Der Bezirk bescheidet: Ende der Gießsaison, die Baumbewässerungssäcke
sollen zurückgegeben werden. Wahrscheinlich treibt dauerhafte Berieselung
mit Hunde-Urin das resilienteste Plastik in die Porösität. Also öffnen wir
die Reißverschlüsse der 40 von uns montierten Säcke und spritzen sie mit
den Feuerwehrschläuchen von der Spielstraße ab. Erstaunlich, wie gewandt
wir die stinkenden Dinger mittlerweile hinter uns herziehen und wie
streetsmart die Kinder durch die Fontänen hüpfen, die aus den
Schlauchlöchern schießen. Sie werden unauslöschliche Erinnerungen an die
Zeit des Klimawandels haben.
Die Trinker vorm Trinkerkiosk – Ex-Hausbesetzer der ersten Stunde –
schütteln die Köpfe und rufen mit blutunterlaufenen Augen: „Was ihr da
macht, ist Staatsversagen!“ Nachdem wir Hundekot, Kippen, Dönerreste und
Haschtütchen von den Säcken gespritzt und alles im Hof zum Trocknen
ausgelegt haben, finden wir auch: Im nächsten Jahr darf der Bezirk gern
wieder selber gießen. Wir geben dafür pünktlich die Steuererklärung ab.
Am Wochenende bauen wir eine Bank fürs Kinderzimmer. Damit die Kinder einen
attraktiven Ort haben, an dem sie lernen können, wenn sie demnächst wieder
in Quarantäne müssen. Wir kriegen die Bank nicht fertig, die drei
Ikea-Schübe, die untendrunter sollten, stehen unbehaust herum und werden
von den Kindern als Särge benutzt, wenn sie Vampir spielen. Sie weißeln
sich die Gesichter, wir müssen ihnen Karnevalsblut in die Mundwinkel
träufeln, dann beißen sie sich, uns und ihre Stofftiere. Wahrscheinlich
kompensieren sie so den allfälligen körperlichen Abstand zu ihren
Freund*innen. Ich erzähle ihnen von Vlad Drăculea und schlage vor, dass wir
für die Sommerferien (ja, mit Kindern und Coronakonto denkt man darüber
früh nach) eine in der Wildnis gelegene Miethütte in Siebenbürgen suchen.
Aber da wollen sie nicht hin. Lieber wollen sie nach Mallorca. Fliegen.
Zur Strafe nehme ich sie nicht mit zur Fridays-for-Future-Demo. Ich male
mir ein durchgestrichenes „SUV“ mit Edding auf die Einwegmaske und
versuche, meiner uralten Gorleben-Trillerpfeife einen Ton zu entlocken. Ich
stehe auf der Straße des 17. Juni in Regenhose auf einem mit Mehl
markierten Punkt („Dinkelmehl!“, ruft die Ordnerin stolz) und höre mir die
intersektional gestählten jungen Menschen auf der Bühne an. Am Abend sagen
die Kinder, in der Schule hätten sie „Umwelttag“ gehabt. Fasziniert
berichten sie, was der Umweltpädagoge sie gelehrt hat: Fluchttiere haben
die Augen seitlich am Kopf, wir Menschen aber – da leuchten die Kinderaugen
– gucken nach vorne. Fluchttier, du Opfer!
Jetzt naht der Tag der Clubkultur. Showcases unter Einhaltung der Hygiene-
und Sicherheitsbestimmungen, Klaus Lederer verteilt Geld dazu. Ich hätte
mir für den 3. Oktober zum Zweck der antifaschistischen Prävention noch
andere Signale gewünscht. Düsseldorf hätte ich das „D“ am Auto weggenomm…
und es Dresden gegeben. Die Postleitzahlen hätte ich neu verteilt. Ohne
eine demütigende Nullnummer vorne dran wählt kein Mensch AfD, ist denn in
30 Jahren noch niemand auf diesen Zusammenhang gekommen? Kirsten
Riesselmann
2 Oct 2020
## AUTOREN
Kirsten Riesselmann
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.