# taz.de -- Unter dem Reifrock liegt das Korsett | |
> Hinter vielen Türen und als Kampf mit der Familien-Vergangenheit | |
> inszeniert Regisseurin Mateja Koležnik am Berliner Ensemble Henriks | |
> Ibsens „Gespenster“ | |
Bild: Wolfgang Michael (l.), Veit Schubert | |
Von Simone Kaempf | |
Die Räume drehen sich lautlos auf der Bühne, verschachteln sich | |
labyrinthisch. Wände und meterhohe Flügeltüren falten sich ein und tauchen | |
mit der Rückseite wieder auf in diesem ausgeklügelten Bühnenbild. Mateja | |
Koležnik hat als Regisseurin den Ruf des Faible für starke und klare | |
Bühnen-Setzungen. Und auch dieser trickreiche Raum, den ihr Raimund Orfeo | |
Voigt und Leonie Wolf gebaut haben, dominiert die Stimmung, entfacht sofort | |
Hinterzimmer-Atmosphäre mit aufklappbaren Wänden und einer angespannten | |
Stimmung, in der das Ticken einer Uhr laut hörbar ist. | |
Die Perspektive der Bühnenbildner ist für die aktuellen Umgangsweisen mit | |
den Corona-Auflagen zentral, weil über die Wege auch Distanz bestimmt wird. | |
Dieser düstere Wohnsalon auf der Bühne kann aber noch mehr mit seinen | |
vielen Türen, die sich einen Spalt weit öffnen, mit schattigen Winkeln und | |
düsteren Gängen, in die kein Tageslicht dringt, ausgeleuchtet wie ein | |
altmeisterliches Gemälde. Gemacht für einen Abend, in dem die Figuren im | |
Korsett ihrer Vergangenheit stecken und sich alles um die verborgenen | |
Geheimnisse dreht. | |
Ein ältliches Dienstmädchen lauscht hinter Türen, eine harsche Hausherrin | |
führt wortgewandt das Zepter, ein Pastor, der Moral und Ordnung predigt, | |
aber jede Lüge für bare Münze nimmt, geht hier aus und ein. Und der | |
exzentrische Osvald steht in der Tür, der verlorene Sohn, der zurückkehrt, | |
erfolgreicher Maler, der nun an geistiger Zerrüttung leidet, an | |
Lebensekel, unfähig weiter zu arbeiten. Schuld sind die Sünden des toten | |
Vaters, die hier nach und nach zu Tage treten. Ein Familiendrama spielt | |
sich ab, mit einer Moral, die gesellschaftliche Schuld und private | |
Erhellungen sucht, ausgeklügelter Handlung und psychologischen | |
Verstrickungen, die Osvalds Auftauchen hervorkehrt. | |
Die Rückkehr des Sohns könnte ein Fest sein im Hause des verstorbenen | |
Kammerherren Alving. Aber Regisseurin Koležnik hält das Licht gedämpft, die | |
Emotionen gekappt. Die Phantomschmerzen der Vergangenheit spulen in | |
nordischer Verschlossenheit ab: kein Licht, keine Befreiung, die späte | |
Wahrheit von keinem Wert, Vitalität gleicht einem Vergehen, Lust einer | |
frivole Krankheit. In dieser Anti-Spaß-Gesellschaft ist das Korsett, das | |
Osvald unter dem grauen Jackett trägt, schon große Exzentrik. Es fallen | |
zwischendurch die Reifröcke und offenbaren von Stützkorsetten getragene, | |
zugeschnürte Menschen – eine Kostüm-Symbolik, die offensiv auf ihr düsteres | |
Inneres zeigt, auf den Kampf gegen Gespenster, innere und äußere, wie das | |
Dienstmädchen Regine einmal klagt. | |
Corinna Kirchhoff, Judith Engel, Wolfgang Michael, Veit Schubert und Paul | |
Zichner spielen changierend zwischen protestantischer Härte und knorriger | |
Verschrobenheit. Corinna Kirchhoff als zuchtmeisterliche Hausherrin Alving | |
hat ganz große, streckenweise komische Momente, in denen noch die Reste von | |
Lebensfreude aufblitzen, von denen im Stück so viel die Rede ist. Überhaupt | |
ist sie eine Lichtfigur des Abends, die ihrer altmodischen Strenge ein | |
Strahlen und Funken der Freiheit abringt. | |
Der Abend verharrt dennoch zunehmend in Düsternis und monotoner | |
Vergeblichkeitsstimmung. Die Vergangenheit ist den Figuren ein Gefängnis | |
und die Enge ist ihnen anzusehen. Ihr inneres Volumen an Hoffnung, | |
Erfahrung oder Schmerz packt der Abend als reine Last statt als Chance. | |
Dabei fing es so spielerisch an mit sich bewegenden Räumen, Wänden, Türen. | |
Noch die allerhellsten Sätze streicht die Regisseurin. Osvalds Ausruf, | |
„Mutter, gib mir Sonne“ ist als großer Verzweiflungsruf in die | |
InszenierungsGeschichte eingegangen. Aber hier bleibt er katzbuckelig | |
stumm, im morphium-angeturnten Delirium erliegt er in letzten Zuckungen vor | |
der Tür. Sonnenlicht dringt auch jetzt nicht ein. Ein strenges Kammerspiel | |
hat Koležnik inszeniert und konsequent ihre Regie-Idee umgesetzt, ein | |
überzeugender oder entfesselnder Abend ist es nicht geworden. Vor den | |
lichter besetzten Zuschauerreihen dieser Tage hat die Form aber auch etwas | |
Ehrliches, und mit dem kleinen, aber fein zusammengestellten | |
Schauspieler-Ensemble wird diese „Gespenster“-Inszenierung allemal ihr | |
Publikum finden. | |
Wieder am 10 und 11. Oktober und vom 23. bis 25. Oktober, Berliner Ensemble | |
10 Oct 2020 | |
## AUTOREN | |
Simone Kaempf | |
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