# taz.de -- Romantik in Belarus: So fern, so nah | |
> Kann eine Liebe zwischen zwei Menschen wachsen, wenn einer von beiden in | |
> Haft ist? Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge | |
> 73. | |
Bild: Protest in Minsk, Women's March 12. September 2020 | |
Ehrlich gesagt möchte ich so ein „Tagebuch aus Minsk“ schreiben, in dem es | |
um den Frühling geht, um die Liebe und um „love cats“, und nicht über | |
diesen Müll, der hier jeden Tag abläuft. | |
Wenn man morgens Nachrichten liest oder in den sozialen Medien unterwegs | |
ist, wartet man immer drauf: Gibt es vielleicht heute mal etwas Positives, | |
eine gute Nachricht, und sei es nur eine einzige! Aber stattdessen sieht | |
man, wie es sich jedes Mal ein bisschen mehr verdüstert. Und versteht: | |
morgen wird es nur noch dunkler. | |
Übrigens habe ich es dann doch noch geschafft, eine realitätsbereinigte | |
Geschichte über die Liebe zu finden. | |
Jana Orobejko und Walera Tomilin lernten sich im Juli 2020 kennen. Zum | |
Herbst hin verloren sie praktisch den Kontakt, und dann schrieb das | |
Mädchen: „Sie haben meine Freundin geholt, jetzt holen sie wahrscheinlich | |
auch mich. Ich werde ruhiger, wenn Du mir weiterhin schreibst.“ So geschah | |
es: [1][Jana wurde verhaftet]. Sie war eine der neun StudentInnen, die am | |
12. November festgenommen wurden. Anklagepunkt: Organisation von Aktionen, | |
die grob die öffentliche Ordnung gestört hätten. Das Strafmaß dafür sind 3 | |
Jahre Freiheitsentzug. | |
Seit vier Monaten schickt Walera ihr täglich einen Brief und jeden Samstag | |
bringt er für sie ein Päckchen zum Gefängnis. | |
Walera ist 25 Jahre alt, er arbeitet als Programmierer in einer Fabrik, wo | |
optisches Gerät für die Luft-und Raumfahrtindustrie hergestellt wird. Jana | |
hatte bis zu ihrer Festnahme an der Uni studiert und wollte Lehrerin für | |
visuelle Kunst werden. Sie zeichnete Karten für politische Gefangene. „Wir | |
haben uns im Juli auf einer Veranstaltung kennen gelernt“, erzählt der | |
junge Mann. „Jana ist sehr hübsch, klug und lieb, mit ihr zusammen war es | |
leicht und fröhlich, darum hat sie mir sofort gefallen. Aber ich war zu der | |
Zeit in einer Beziehung, die kurz vor der Trennung stand, deshalb haben wir | |
uns nur miteinander unterhalten. Und dann kam so viel Chaos in mein Leben: | |
Revolution, Arbeit, Studium, Einberufung in die Armee, eine | |
Covid-19-Infektion. Erst nach Janas Verhaftung habe ich verstanden, dass | |
das alles Quatsch ist. Was auch immer passiert, wichtig ist, nicht zu | |
vergessen, wer du bist, was du fühlst – und dass man alles zu seiner Zeit | |
tun soll. | |
Ich denke nicht, dass Jana sich für Politik interessiert hat. Sie ist keine | |
Anhängerin irgendeiner Partei, sie möchte nur, dass es im Land normal | |
zugeht. Dass Menschen würdig leben, dass die Menschenrechte beachtet und | |
eingehalten werden. Das Hauptproblem ist, dass die Belarussen nicht sie | |
selbst sein können. Das ganze System ist darauf aufgebaut so zu tun, als | |
sei alles in bester Ordnung. Im Fernsehen erzählen sie, wie gut in unseren | |
Fabriken gearbeitet wird. Wie gut die Menschen verdienen – aber in einem | |
normalen Land muss man niemanden von so was überzeugen.“ | |
Janas Familie lebt in Brest, sie hat vier Geschwister, von denen zwei noch | |
nicht volljährig sind. Janas Mutter nennt Walera „den Verlobten“, er selbst | |
hält sich nicht dafür. Obwohl, so sagt er, was ändert das? In einem seiner | |
Briefe schrieb er dem Mädchen: „Wenn sie Dich [2][in ein Straflager] | |
schicken, dann lass uns heiraten.“ Sie antwortete: „Keine schlechte Idee.“ | |
Mit jugendlicher Romantik haben diese Vorschläge tatsächlich jedoch wenig | |
zu tun: in erster Linie geben sie Walera die Möglichkeit, Jana zu sehen und | |
ihr Päckchen bringen zu können. | |
„Ich hab das Gefühl, niemand ist mir als Mensch so nah wie sie. Ich denke, | |
ihr geht es auch so. Selbst wenn nach ihrer Freilassung keine große Liebe | |
zwischen uns entsteht, werden wir trotzdem weiter Freunde sein. Und | |
Freundschaft besteht darin, dass Menschen sich als Menschen lieben und | |
einander helfen. Dazu kommt, dass ich das Gefühl habe, ihr helfen zu | |
müssen. Ich finde nicht, dass sie mir nach ihrer Freilassung irgendetwas | |
schuldet und wir deshalb zusammen kommen müssen – das wäre einfach | |
unehrlich.“ | |
Walera gibt monatlich etwa 150 Euro für Lebensmittel aus, die er Jana | |
schickt und für Zeitungs- und Zeitschriftenabos. „Ich würde sie gerne ins | |
Kino oder Theater einladen, aber die Möglichkeit habe ich ja nicht“, sagt | |
er. „Es bleiben nur Briefe, Lektüre und Päckchen. Ich schreibe ihr | |
Nacherzählungen von Artikeln über Kunst und Geschichte… Ich schreibe meine | |
Gedanken nieder, erzähle, was ich bei der Arbeit gemacht habe. Von Anfang | |
an war ich nicht sicher, ob die Umschläge Jana erreichen, deshalb habe ich | |
entschieden: wenn ich jeden Tag etwas schicke, durchbreche ich die Mauer | |
der Zensur. Dann habe ich erfahren: sie bekommt alles, aber mein Wunsch, | |
jeden Tag mit ihr zu „reden“, blieb bestehen. Päckchen ins Gefängnis zu | |
bringen – das ist keine fröhliche Sache, es ist einfach notwendig. Jana | |
braucht das. Und ich brauche es auch.“ | |
Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey] | |
31 Mar 2021 | |
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