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# taz.de -- tazđŸŸthema: Krise? Neustart!
> Die Covid-19-Pandemie trifft den fairen Handel hart. Die Branche reagiert
> mit SolidaritĂ€t und kreativen Ideen – auch fĂŒr die Zukunft
Von Katja-Barbara Heine
Dieses Jahr ist alles anders. Die „Avontuur“ brauchte einen Monat lĂ€nger,
um Kaffee, Kakao, Rum und andere Waren ĂŒber den Atlantik nach Hamburg zu
schippern, die nicht nur fair hergestellt, sondern auch CO2-frei
transportiert wurden – auf dem einzigen deutschen Segelfrachtschiff. „Durch
die weltweiten BeschrĂ€nkungen war die Fahrt eine ziemliche Zitterpartie“,
sagt Anna-Maria Ritgen, Sprecherin beim Fair-Handels-Importeur El Puente,
der, wie jedes Jahr, Biokaffee aus Nicaragua an Bord des Schiffes hatte.
„Die Crew konnte nicht wie geplant ausgewechselt werden, das Beladen in den
HĂ€fen verzögerte sich, und als die „Avontuur“ Ende Juli nach sieben Monat…
auf hoher See schließlich anlegte, konnte die alljĂ€hrliche Entladungsfeier
wegen der Pandemie nicht stattfinden.“
Die Coronakrise ist fĂŒr die Fair-Handels-Akteure hierzulande eine große
Herausforderung und hat den Alltag vieler umgekrempelt. Doch die
Handelspartner im Globalen SĂŒden trifft sie doppelt so hart, denn sie
können weder mit staatlicher UnterstĂŒtzung rechnen noch auf Reserven
zurĂŒckgreifen. „Die Produzenten in Afrika, Asien und Lateinamerika leiden
besonders stark unter den Auswirkungen der Pandemie“, sagt Steffen Weber,
GeschĂ€ftsfĂŒhrer des Weltladen-Dachverbands. „Viele von ihnen konnten und
können teilweise immer noch nicht wieder in ihren WerkstÀtten und auf den
Feldern arbeiten, sie erhalten kein Material, Ware wird nicht verschifft,
und der Verkauf im Inland ist zum Erliegen gekommen.“ So konnte etwa auf
zahlreichen Plantagen in Bolivien und Peru der Kaffee nicht geerntet
werden. In Kenia waren Zehntausende Blumenfarmarbeiter ohne Job, weil
weltweit die BlumenlÀden geschlossen waren. Und im besonders hart vom
Coronavirus getroffenen Indien sind viele KunsthandwerkstÀtten dicht, zudem
kann die Baumwolle nicht ausgesÀt werden.
Große Unternehmen des konventionellen Handels wĂ€lzen die Krise auf die
SchwÀchsten in der Lieferkette ab. In der Textilbranche etwa wurden in den
Fabriken in Asien zahlreiche AuftrĂ€ge storniert – sogar fĂŒr bereits
produzierte Ware. FĂŒr die Fair-Trade-Akteure kommt das nicht infrage. Sie
versuchen, ihre Partner vor Ort bestmöglich zu unterstĂŒtzen: „In einer
solchen Krisensituation zeigt sich besonders, dass im fairen Handel
SolidaritĂ€t vor Profit steht“, sagt Anna Hirt, Referentin des
Weltladen-Dachverbands. Man sehe sich als Gemeinschaft, die zusammen nach
Lösungen sucht. Bereits im MĂ€rz, als die WeltlĂ€den schließen mussten,
startete der Verband die Aktion #fairsorgung: Durch Lieferdienste, StÀnde
auf WochenmĂ€rkten und andere Maßnahmen konnte weiterhin fair eingekauft
werden.
„Jetzt heißt es, zusammenzuhalten und solidarisch sein – weltweit“, sagt
auch Ritgen. Das Unternehmen hat Vorfinanzierungen ausgeweitet und seinen
Handelspartnern einen Notfallfonds mit 50.000 Euro bereitgestellt. Um den
Geldfluss fĂŒr die Produzenten aufrechtzuerhalten, wurden zudem Gutscheine
verkauft fĂŒr Waren, die aufgrund von Transportproblemen noch in den
ProduktionslÀndern feststeckten oder wegen der Ausgangssperren noch gar
nicht produziert waren. So konnten zum Beispiel die WerkstÀtten der
Organisation Sana Hastakala in Nepal Miete und Mitarbeiter weiterhin
bezahlen. Mittlerweile wird wieder mit halber KapazitÀt produziert, die
Keramikschalen sollen in den nÀchsten Tagen in Deutschland eintreffen. Mit
der Aktion „Eine Maske kaufen – zwei Menschen schĂŒtzen“ konnten Kunden
bereits im April durch den Kauf einer fair produzierten Maske BedĂŒrftige in
Armenien unterstĂŒtzen: FĂŒr jede bestellte Maske wurde eine weitere Maske
vor Ort gespendet.
Auch die temporÀre Mehrwertsteuersenkung geben viele Akteure an die
Produzenten im Globalen SĂŒden weiter: Der Weltladen-Dachverband hat,
gemeinsam mit der bundesweiten Fair-Handels-Beratung und dem Forum Fairer
Handel, die Aktion #fairwertsteuer ins Leben gerufen. „Beim Einkauf im
Weltladen merken Kunden die reduzierte Mehrwertsteuer kaum“, heißt es aus
dem Verband. „Bei einem Einkauf von 15 Euro sind es gerade mal 30 Cent.“ Im
Laufe eines halben Jahres könne in dem dafĂŒr eingerichteten Fonds jedoch
eine Summe zusammenkommen, die fĂŒr die Produzenten eine wichtige
UnterstĂŒtzung darstelle.
Die weltweite Initiative Fairtrade International hat als Reaktion auf die
Pandemie zwei Hilfsfonds mit insgesamt 3,1 Millionen Euro – eine Million
hat Fairtrade Deutschland beigesteuert – eingerichtet: Einen Nothilfefonds
fĂŒr akute Sofortmaßnahmen – aus ihm wurden bereits in mehreren LĂ€ndern
SchutzausrĂŒstung und Masken finanziert. Und einen Resilienzfonds zur
mittel- und langfristigen UnterstĂŒtzung, der dabei helfen soll, die
Produktion wiederaufzunehmen und in neue Technologien zu investieren.
Die Akteure wollen nach der Krise neu starten, Produktion, Handel und
Konsum nachhaltiger gestalten. So soll ein Lieferkettengesetz deutsche
Unternehmen verpflichten, die Einhaltung der Menschenrechte auch bei
Zulieferern im Ausland zu garantieren.
12 Sep 2020
## AUTOREN
Katja-Barbara Heine
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