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# taz.de -- Alte und Neue Rechte in Italien
> Den Duce zitieren und Innenminister werden – in Italien scheint vieles
> möglich, auch wenn das Land gerade eine kleine Atempause von der extremen
> Rechten an der Regierung nimmt
Bild: In rechten Kreisen beliebtes Mitbringsel: Schaufenster mit faschistischen…
Von Gloria Reményi
„Ein großes Faschismus-Museum“, „das Schulklassen, Schaulustige, Fans so…
Touristen aus der ganzen Welt anziehen soll“: Das war die „Vision“ dreier
Gemeinderatsmitglieder der Stadt Rom aus den Reihen der
Fünf-Sterne-Bewegung. Kürzlich reichten sie einen Antrag für die Errichtung
eines solchen Museums in der italienischen Hauptstadt ein. Und nahmen ihn
wieder zurück, nachdem antifaschistische Organisationen mit Empörung
reagierten und schließlich auch Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi (Fünf
Sterne) sich entschieden davon distanzierte.
„Der Faschismus kann nicht musealisiert werden. Der Faschismus ist noch
nicht vorbei“, schrieb der Historiker Francesco Filippi [1][in der
italienischen Onlinezeitschrift MicroMega]. Das Museum hätte nur das
Narrativ begünstigen sollen, nach dem der Faschismus auch Gutes geleistet
hätte, so Filippi weiter. Roms antifaschistische Organisationen plädierten
in einer Erklärung für ein „Museum über die Verbrechen des Faschismus“.
Ansonsten wäre ein Museum höchst gefährlich für ein Land, „in dem man sich
nicht dafür schämt, Mussolini zu zitieren und sich sogar Parteien
formieren, die sich ausdrücklich auf den Faschismus berufen und trotzdem
nicht aufgelöst werden“.
Im heutigen Italien wird der historische Faschismus schon lange einer
anhaltenden Normalisierung unterzogen. Allein dieser August lieferte dafür
nicht wenige Beispiele. Roms Präfektur weigerte sich etwa, die
Zwangsräumung der seit 17 Jahren illegal besetzten Zentrale der
neofaschistischen Partei CasaPound endlich anzugehen. Die Familie Mussolini
forderte, dass die Familienkrypta, in der sich die Gebeine des Diktators
befinden, zum öffentlichen Mausoleum gemacht wird. Und Lega-Politiker
Antonio Calligaris, Mitglied des Regionalrats von Friaul-Julisch Venetien,
beschränkte sich weniger auf Symbolisches. Er sagte, er würde, falls nötig,
auf Migrant*innen schießen lassen.
Carla Nespolo, heutige Präsidentin der 1944 gegründeten antifaschistischen
Nationalen Vereinigung der Partisanen Italiens (ANPI) kritisierte in der
Tageszeitung La Repubblica das „ohrenbetäubende Schweigen der Regierung“ zu
den besagten Vorfällen.
Dass die Leichtigkeit, mit der man in Italien den Faschismus verherrlicht,
verharmlost und reproduziert, von einer mangelnden Geschichtsaufarbeitung
herrührt, steht für viele Historiker*innen fest. Francesco Filippi
veröffentlichte kürzlich in Italien ein viel beachtetes Buch mit dem Titel
„Aber warum sind wir noch Faschisten?“. Er schreibt von den blinden Flecken
im Geschichtsbild. Und auch über das selbstentlastende, im italienischen
Film stark propagierte Narrativ der „anständigen Italiener*innen“
(„italiani brava gente“), das mit der mangelnden Defaschistisierung im
Nachkriegsitalien eng verknüpft ist.
Von dieser Prämisse scheint auch das neue Buch des Journalisten und
Italienkenners Jens Renner auszugehen. Seine Abhandlung „Neuer Faschismus?
Der Aufstieg der Rechten in Italien“ befasst sich mit der rasanten
Rechtsentwicklung der letzten Jahre und betont dabei besonders die
historisch-politischen Kontinuitäten. Demnach hat die Normalisierung im
öffentlichen Diskurs lange vor dem Aufstieg Matteo Salvinis angesetzt und
diente vielfachen Interessen.
Das Italien der Nachkriegszeit kannte keine Nürnberger Prozesse. So stimmte
der frühere Justizminister und Sekretär des Partito Comunista Italiano,
Palmiro Togliatti, 1946 einer weitgehenden Amnestie zu, mit der
faschistischen Verbrechern Straffreiheit garantiert wurde. Faschistische
Beamte wurden zum Wiederaufbau des Staates herangezogen. Im gleichen Jahr,
während die Assemblea Costituente den Faschismus als Straftat in der
Verfassung verankerte, wurde zudem der Movimento Sociale Italiano (MSI)
gegründet. Die offen neofaschistisch agierende Partei befand sich zwar
außerhalb des sogenannten „Verfassungsbogens“, wurde aber durch die
Democrazia Cristiana geschützt und somit gefördert.
Der offene Tabubruch kam 1994 mit dem ersten Wahlsieg Silvio Berlusconis,
der mit dem in Alleanza Nazionale umgetauften MSI unter Gianfranco Fini
koalierte. Das, was sich dann unter den drei Regierungen Berlusconis
vollzog, bezeichnet der Historiker Nicola Tranfaglia als „autoritären
Populismus“. Bekannt wurde diese als Strategie der neuen Rechten, als 1981
ein Papier der Geheimloge Propaganda Due um den Altfaschisten Licio Gelli
beschlagnahmt wurde. Es propagierte die Unterwanderung der staatlichen
Institutionen. Zu den Mitgliedern der Loge gehörte auch Berlusconi.
Die radikaleren Faschisten unter Giorgia Meloni befinden sich gerade im
Aufschwung. Ihre Partei Fratelli d’Italia sammelte den radikaleren Flügel
des alten MSI ein, dem Finis Kurs zu moderat war. Doch auch der sogenannte
Salvinismus sieht sich unverhohlen in direkter Kontinuität der alten
Rechten. Salvini ist offen EU-feindlich und agiert rassistisch. Als Chef
der Lega schaffte er es in die Koalition mit den Fünf Sternen und war
Italiens Innenminister 2018/2019. Salvini nimmt bewusst
rhetorisch-symbolische Anleihen bei Duce und Ventennio, die als
unverhohlene Signale an neofaschistische Gruppen und Parteien zu verstehen
sind. Über Social Media hat er sehr erfolgreich seine Propagandamaschine
aufgebaut. Ihm wird eine gewisse Nähe zur italienischen Mafia nachgesagt,
aber auch zur russischen Rechten und zu Wladimir Putin gibt es
freundschaftliche Beziehungen.
Die prominente italienische Schriftstellerin Francesca Melandri brachte es
kürzlich in einem Interview auf den Punkt. Sie kritisierte nicht nur
Salvini, sondern bemängelte vor allem die klare Abgrenzung der jetzigen
Regierung gegenüber den Positionen der Neuen Rechten: „Es braucht die
inhaltliche Auseinandersetzung, man muss den Faschismus in dieser Person
oder in ihrem Programm bekämpfen. Den Faschismus einfach den anderen
anzuhängen, ist eine wunderbare Ausflucht, um sich der Auseinandersetzung
mit der italienischen Geschichte nicht selbst zu stellen. Der Faschismus
ist eine Angelegenheit des ganzen Landes, nicht nur der Rechten.“Die
somalisch-italienische Autorin Igiaba Scego fordert, insbesondere in
Schulen und im öffentlichen Raum „eine antifaschistische Bildung“ zu
betreiben. Etwa Street Art, um der Opfer des italienischen Kolonialismus
und des antifaschistischen Widerstands zu gedenken.
In Rom wurde kürzlich immerhin auch eine Namensänderung einer sich im Bau
befindenden U-Bahn-Haltestelle durchgesetzt. Aktivist:innen erreichten,
dass sie nun nach dem somalisch-italienischen Widerstandskämpfer Giorgio
Marincola benannt wird. Marincola wurde 1945 im Fleimstal von Nazis
ermordet. Nun wird er auch öffentlich als Teil der italienischen Resistenza
erinnert.
Jens Renner: „Neuer Faschismus? Der Aufstieg der Rechten in Italien“. Bertz
+ Fischer, Berlin 2020, 160 S., 8 Euro
15 Sep 2020
## LINKS
[1] http://temi.repubblica.it/micromega-online/museo-fascismo-filippi/
## AUTOREN
Gloria Reményi
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