# taz.de -- taz🐾thema: Abgesang auf eine Epoche | |
> Höhepunkte des Kunstherbstes: Videos von Hito Steyerl, Andy Warhols | |
> Performances mit Velvet Underground und eine Schau über die | |
> Politaktivistin Angela Davis | |
Bild: Hito Steyerl, „This is the Future“, 2019, Videoinstallation (Single c… | |
Von Jana Janika Bach | |
Während einige im Frühjahr die Ausstellungssaison als verloren beklagten, | |
trotz oder wegen der angelaufenen Bemühungen um digitalen Ersatz, freuten | |
sich andere auf die zweite Jahreshälfte, angesichts aufploppender | |
Meldungen, gekippte Veranstaltungen würden in die Zeit der Traubenlese | |
verschoben. | |
Sogleich mäanderte dann auch die nicht ganz ernst gemeinte Forderung „No | |
pressure, but you better be good“ an den lieben Herbst durch die sozialen | |
Medien, aus der eine gewisse Hoffnung sprach. | |
Doch noch immer findet sich der Hinweis „postponed“ auf den Webseiten der | |
Institutionen. Andererseits herrscht im Messekalender nach monatelangen | |
Zwangspausen dichtes Gedränge: Allein im September finden die Positions | |
Berlin zeitgleich mit der Berlin Art Week und dem Gallery Weekend statt. | |
Dicht gefolgt von der MiART Mailand, der Art Basel und viennacontemporary. | |
Auch haben die meisten Museen wieder geöffnet. Allerdings werden einige | |
dort geplante, Blockbuster-Ausstellungen erst 2021 reüssieren, wie die | |
große Yayoi-Kusama-Schau im Berliner Gropius-Bau, die nun erst im März | |
anlaufen wird. Die japanische Künstlerin gilt als Erfolgsgarantin, die | |
Massen zieht, Warteschlangen und überquellende Museumsshops inklusive. | |
Auf Pferden, Pilzen oder Phalli platzierte die heute 91-jährige Kusama, die | |
in Tokio ein eigenes Museum betreibt, ihre charakteristischen „Polka Dots“; | |
weltberühmt sind weniger die frühen Happenings der einstigen Avantgardistin | |
des Big Apple, sondern ihre repetitiven Muster oder funkelnden | |
Spiegelzimmer, die sogenannten „Infinity-Räume“, ein Renner auf Instagram. | |
Zuletzt zeigte solch einen etwa der deutsche Galerist David Zwirner in New | |
York und brach den eigenen Besucherrekord. | |
Ganz regulär hingegen wird das Düsseldorfer K21 seine Überblicksschau zum | |
Werk der 2019 als Künstlerin der Stunde gefeierten und mit dem | |
Käthe-Kollwitz-Preis geehrten Hito Steyerl zeigen. „Steyerl is a big | |
thing“, heißt es nicht erst seitdem; schon 2017 wurde die | |
deutsch-japanische Videokünstlerin vom britischen Kunstmagazin ArtReview | |
zur einflussreichsten Persönlichkeit im Kunstbetrieb gekürt. | |
Wer den Hype um die Arbeiten Steyerls, die auch als Theoretikern agiert und | |
als Professorin in Berlin lehrt, verstehen will, muss sich ebendiesen | |
zuwenden. Aktuelle Technologien, wie künstliche Intelligenz oder | |
Überwachungshightech, schließt sie kurz mit Fragen postkolonialer Kritik; | |
politische Machtstrukturen, die Kunst selbst, zunehmend Gegenstand von | |
Investment und Spekulation, unterzieht sie dezidierter Analysen. | |
Mit Untersuchungen eher freudscher Natur wartet das Museum Ludwig in Köln | |
auf. Das Haus wirft einen neuen Blick auf einen Altbekannten, über den man | |
eigentlich alles zu wissen glaubte. So soll die Andy-Warhol-Retrospektive | |
mit über 100 Werken keine reine Nabelschau der Best-ofs des Pop-Art-Stars | |
sein, der Marilyn-Monroe-Gesichter oder Campbell-Suppendosen.Vielmehr | |
leuchtet sie das hinter der Kunstfigur in den Schatten geratene, | |
umfangreiche Œuvre bis in die hinterste Ecke aus. Dazu gehört auch Warhols | |
Arbeit mit der Band The Velvet Underground – Performances, die unter dem | |
Namen „Exploding Plastic Inevitable“ Musik mit Film- und Lichtprojektionen | |
arrangierten. „Andy Warhol.Now“ lenkt zudem die Aufmerksamkeit auf die | |
Homosexualität der amerikanischen Ikone und auf eine Figur – allgemein | |
Quell allen Lebens oder Übels, nebst wuchernder Neurosen –, nämlich seine | |
Mutter. | |
In Großbritannien interpretierten Kritiker Warhols „15 Minuten Ruhm“ neu, | |
kehrten das über-paraphrasierte Zitat ins Gegenteil, als die Londoner Tate, | |
wo die Werkschau des „Factory“-Gründers – der das Neue so liebte wie kei… | |
sonst – zuerst eröffnete, nach kürzester Laufzeit im März wieder schließen | |
musste. | |
Ein anderer Grand der Pop-Art, der sein Werk einer stetigen Zellkur | |
verschrieben hat, ist der 1930 geborene Jasper Johns. Seit 1954 bildet er | |
bereits triviale Images, die heute so ikonischen Flaggen oder Landkarten | |
der USA, außerdem Zielscheiben, Zahlen oder Buchstaben so unmittelbar ab, | |
dass für einen kurzen Moment Bild und Gegenstand nicht | |
auseinanderzudividieren sind. Dabei interessiert sich Johns, der ein guter | |
Freund von Robert Rauschenberg war, kaum für das Sujet an sich, | |
patriotische Aussagen sind ihm fremd, ebenso wie die Konsumkritik eines | |
Warhols. | |
Hintersinnig befragt er vielmehr die Funktion der Malerei, den Wert eines | |
Originals und dessen Übersetzung in die Kunst. Wann genau die Retrospektive | |
mit Gemälden, Zeichnungen, Skulpturen und Drucken des womöglich | |
einflussreichsten lebenden US-Künstlers präsentiert wird, hat das New | |
Yorker Whitney noch nicht bekannt gegeben. | |
Ob eine Reise über den Großen Teich angetreten werden kann, ist ohnehin | |
fraglich, eine geistige Beschäftigung mit den dort schwelenden Brandherden | |
ist aber auch hierzulande notwendig. | |
Einer „Heldin des anderen Amerikas“ widmet sich ein Ausstellungsprojekt der | |
Dresdener Kunsthalle, das eine staatlich unterstützte Aktion („1 Million | |
Rosen für Angela Davis“) als Ausgangspunkt nimmt und nicht brisanter sein | |
könnte. | |
Mit Black Lives Matter ist der Kampf der afroamerikanischen Philosophin und | |
Politaktivistin Angela Davis um Gerechtigkeit, den sie schon in den 1970ern | |
führte, wieder ins Bewusstsein gerückt. Damals war sie in den USA als | |
mutmaßliche Terroristin inhaftiert worden. In der DDR jedoch, wohin sie | |
nach ihrer Entlassung reiste, erhielt sie eine Ehrendoktorwürde und war | |
äußerst populär – am Flughafen empfingen sie 50.000 Menschen, in der | |
Leipziger Innenstadt sollen es sogar 200.000 gewesen sein. Inwieweit sich | |
die zentralen Themen von Davis in zeitgenössischen Positionen | |
fortschreiben, untersucht die Schau des Albertinums. | |
Das Kunstmuseum Wolfsburg hat währenddessen seine seit März laufende Show | |
bis November verlängert: „Works“ taucht ein in die abstrakte Fotografie der | |
US-Amerikanerin Barbara Kasten. Poppig-Lustiges, vom Grund her ernst, wie | |
„Barking Dog“ oder „Radiant Baby“, von Keith Haring offeriert hingegen … | |
Museum Folkwang in Essen. | |
2020 ist einiges in Bewegung, das gilt auch für die Kunst und ihr Programm. | |
An Auswahl mangelt es im Herbst nicht. Wen es ins nahe Ausland zieht, der | |
kann zum Beispiel die einzigartige Cindy Sherman in der Pariser Fondation | |
Louis Vuitton bestaunen. Über 500 Selfies hat das „Chamäleon unserer Zeit“ | |
in den letzten vierzig Jahren von sich, diesen Stereotypen des Alltags und | |
der Popkultur, gemacht, an denen sich mittlerweile Influencerinnen weltweit | |
abarbeiten. | |
Oder die Hommage des Centre Pompidou an das Künstlerpaar Christo und | |
Jeanne-Claude und ihre Aktionen, die im öffentlichen Raum wuchtige Kraft | |
entfalteten. Man denke nur an die safrangelben Tore im New Yorker Central | |
Park, die schwimmenden, mit knatschgelbem Nylon überzogene Stege des | |
Iseosees in der Lombardei. | |
Fest steht, eine Rückkehr zur Normalität vor Covid-19 ist weder moralisch | |
noch wirtschaftlich vertretbar. Der Abgesang auf eine Epoche, als | |
„postglobal“ apostrophiert, in der Kulturtouristen von Event zu Even | |
jetteten, einen miesen ökologischen Fußabdruck hinterließen, ist längst | |
angestimmt. | |
29 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Jana Janika Bach | |
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