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# taz.de -- Schönheiten des Sprechens
> Werkshallen und Büros in der ästhetischen Wirklichkeit des Films
> überwinden: Im Zeughauskino startet heute eine Retrospektive der Werke
> von Hartmut Bitomsky
Bild: Hartmut Bitomsky in „System ohne Schatten“ (1983)
Von Peter Nau
In den ersten [1][Filmen des Regisseurs Hartmut Bitomsky] liegt eine
starke, von Jugendträumen des Künstlers beflügelte Richtungskraft. Die
Eindrücke werden so miteinander verwoben, dass sinnvolle Muster für ein
gelingendes Leben der Menschen aufleuchten. Vorfreude stellt sich ein beim
Gedanken an die drei dffb-Studentenfilme (1966–68), in denen das Westberlin
von einst und die vertrauten Gestalten einer längst vergangenen Zeit
wiederauftauchen werden.
Aber auch die Filme als Filme, in ihrer verspielt-wagemutigen,
fragmentarischen Erzählweise, werden ihren Reiz nie verlieren. Sie zeugen
von demselben „Lebensplan“, der für Hofmannsthals „Lord Chandos“ vorsa…
nicht am Äußeren kleben zu bleiben, sondern das Stoffliche zu durchdringen,
es aufzuheben und so Dichtung und Wahrheit zugleich zu schaffen. Dazu
gehört auch, dass die Darsteller in ihrer Sprechweise anzeigen, was die
Wahrheit ist: Sie zitieren. „Ihr bringt mich nicht um, ihr braucht mich
lebend, aber ich sage nichts“, ist so ein Satz, der klingt, als sei er aus
einem einschlägigen Film oder Roman entnommen.
Die Schönheiten dieses Sprechens gingen mir zuerst bei einem Lehrfilm von
Bitomsky/Farocki auf, der die Entstehung, Struktur und Entwicklung der
kapitalistischen Produktionsweise zum Gegenstand hatte. Es kommt vom
Theater Brechts her, zeitigt in Filmen jedoch noch stärkere Wirkung, da es
hier in exzentrischer Weise einen artistischen Kontrapunkt bildet zum
technisch bedingten Abbildrealismus des Mediums. „Einmal wirst auch du mich
lieben“ heißt ein Film über Heftromane, den Bitomsky/Farocki 1973 drehten,
mit sich selbst als rauchenden Zugfahrgästen unter den Schauspielern. Von
den Romanheftchen springt die Zeughauskino-Werkschau zu Heinrich von
Kleists Anekdote „Beitrag zur Naturgeschichte des Menschen“, der
literarischen Vorlage zu Hartmut Bitomskys „Call Girls“ (1974).
Der Gedanke des Regisseurs, dass Kleist die beiden Figuren, „Die
Unverbrennliche“ und „Die Wassertrinkerin“, deshalb nicht zusammenkommen
lässt, weil dann der Text eine Handlung hätte, ist so einfach wie tief;
steht doch manches Schöne isoliert in der Welt, und der Geist ist es, der
Verknüpfungen zu entdecken und dadurch Kunstwerke hervorzubringen hat
(Goethe). In „Auf Biegen oder Brechen“ (1975), dem abendfüllenden
Spielfilm, kann ein Mann seiner Vergangenheit nicht entkommen. Die Frau
sagt zu ihm: „Wir führen ein Leben, das uns erpressbar macht. Alles, was
wir tun, haben wir irgendwo ausgeborgt. Aber irgendwann läuft die Leihfrist
ab.“ Was nicht ausgesprochen wird, aber mitgedacht werden kann: Die
angeblich kürzeren Wege (der junge Mann nimmt die Identität eines Toten
wegen dessen Diploms an, um beruflich weiterzukommen) haben nicht nur
Einzelne, sondern auch die Menschheit immer in große Gefahr gebracht.
In seinen Filmen zur Film- und Kulturgeschichte lässt uns Hartmut Bitomsky
an der Erfahrung teilhaben, wie die Magie des Stummfilms, die bezaubernde
Tiefenwirkung seiner Bilder, einem rentableren Filmmaterial zum Opfer fiel.
Wir trauern dem Bruchstück nach, das zu Zeiten filmischer Entdeckerfreude
noch stolz für sich selbst stand, um bald darauf zum dienenden Element von
Sinnzusammenhängen degradiert zu werden. „Deutschlandbilder“ (1983) und
„Reichsautobahn“ (1986), die von Nazikulturfilmen handeln, widersetzen sich
diesem Trend. Die Aufmerksamkeit für das, was in den Werkshallen und Büros
von „Der VW-Komplex“ (1989) vor sich geht, schließt dessen Überwindung in
der ästhetischen Wirklichkeit dieses Films ein, der mir Kafkas Streben nach
einer Lebensansicht in Erinnerung ruft, in der das Leben zwar sein
natürliches schweres Fallen und Steigen bewahre, aber gleichzeitig als ein
Nichts, ein Traum, ein Schweben erkannt werde (Tagebücher, 15. 2. 1920).
Eröffnung der Retrospektive (bis 12. 9.) heute 18 Uhr, Zeughauskino mit
Buchpräsentation von Frederik Lang: „Hartmut Bitomsky. Die Arbeit eines
Kritikers mit Worten und Bildern“. Synema-Publikationen, Wien 2020, 302 S.,
28 Euro
14 Aug 2020
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## AUTOREN
Peter Nau
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