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# taz.de -- Dokumentarfilmer Bitomsky: "Staub ist keinem untertan"
> Der Dokumentarfilm "Staub" von Hartmut Bitomsky feiert auf dem
> Filmfestival Venedig Premiere. Ein Gespräch über den Willen, Schönheit
> und Bedeutung kleiner Partikel zu entdecken.
taz: Herr Bitomsky, das Staubkorn ist das kleinste Teil, das der Mensch mit
bloßem Auge wahrnehmen kann. Wenn man einen Film über Staub dreht, wie geht
man das Problem der Sichtbarkeit an? Wie macht man sichtbar, was beinahe
unsichtbar ist?
Hartmut Bitomsky: Das war die größte Herausforderung. Beim Drehen habe ich
mich manchmal verzweifelt gefragt: Wo ist der Staub? Der kommt im Film ja
gar nicht vor. Außerdem hatten wir das Unglück, dass es ein sehr feuchter
Sommer war, der letzte August, ein bisschen so wie in diesem Jahr. Überall,
wo wir hingingen, war der Staub gebunden, er war irgendetwas Feuchtes am
Boden. Hinterher habe ich entdeckt, dass wir den Staub in sehr vielen
verschiedenen Medien behandeln können, ihn etwa im Voice-over
heraufbeschwören. Oder wir zeigen Maschinerien, die Staub beseitigen, oder
solche, die ihn erkenntlich machen sogar jenseits der Schwelle, wo er mit
dem bloßen Auge sichtbar ist.
Sie gewinnen Ihrem Sujet sehr viele Facetten ab. Gibt es eine, die für Sie
am Anfang stand und von der aus sich das Weitere entwickelt hat?
Es war weniger eine Facette als das Gefühl, dass ich einem Gefängnis
entgehen konnte, in das sich jeder Dokumentarfilm begibt: Er hat ein Sujet,
das fest umrissen ist. Staub hingegen ist vielförmig, mal ganz nah bei uns,
wir erleben ihn jeden Tag, mal ganz weit weg, buchstäblich im Weltall.
Deshalb habe ich die Möglichkeit gesehen, einen Film zu machen, in dem ich
von Thema zu Thema springen kann. Die Idee, eine freiere Form zu wählen,
hat mir ziemlich gut gefallen.
Auch in der freieren Form gibt es strukturierende Elemente. Wie haben Sie
die gefunden?
Beim Schneiden. Es hat eine Weile gedauert, bis die Methode mir vom Film
selber nahe gelegt wurde. Es gibt Strecken, wo das eine Kapitel den Aufbau
für das nächste Kapitel stellt, und gleichzeitig gibt es Situationen, in
denen man merkt: Jetzt einen Bruch zu haben, ist wunderbar. Zum Beispiel in
der Szene, in der eine Kamera gereinigt wird. Daraus entwickelt sich ein
kleines Kapitel über die Verwandtschaft von Staub und Filmstaub. Es endet
mit dem Satz, dass Film Staub ist, der im Kino aufleuchtet. Dann schneiden
wir zu einer Putzfrau.
Gibt es eine große Diskrepanz zwischen dem, was Sie gedreht haben, und dem,
was hinterher in Ihrem Film vorkommt?
Diskrepanz würde ich es nicht nennen. Es gibt einiges, was wir zweimal, an
unterschiedlichen Orten, gedreht haben. Viel wichtiger aber ist die
Tatsache, dass ich den Film ursprünglich für Amerika recherchiert habe.
Durch verschiedene Gründe, unter anderem durch meine Rücksiedelung nach
Berlin, ließ sich das nicht verwirklichen.
Sie hatten die entsprechenden Werke und die entsprechenden Wissenschaftler
in den USA schon kontaktiert?
Genau. Ein bisschen haben wir dann versucht, alles in Deutschland oder in
Europa wiederzufinden. Und tatsächlich, viele Sachen gibt es hier auch.
Manches nicht, manches in einer anderen Dimension. Zum Beispiel zeigen wir
bei der Bundeswehr, wie ein Staubtest für einen Granatwerfer veranstaltet
wird. In den USA wäre ein ganzer Panzer im Staubkanal gewesen. Das ist
schon ein wichtiger Unterschied.
Alles ist etwas größer.
Ja. Aber hier wie da sieht man die militärische Dimension.
Neben der naturwissenschaftlichen hat "Staub" eine ausgeprägte
philosophische Seite. Wie verhält sich die eine zur anderen?
Unsere Handlungen sind immer darauf ausgerichtet, Dinge in einen Sinn-, in
einen Funktionszusammenhang zu setzen, was aber nicht restlos möglich ist.
Es bleiben immer Sachen unberücksichtigt, Sachen, die nicht integriert
werden können. Und das hat mich zu dem Gedanken von Raymond Queneau
geführt: Es bleibt immer etwas übrig, womit wir nichts anfangen können, was
uns nicht untertan ist.
Sie zeigen dazu ein Kehrblech, einen Kehrbesen und Staub am Boden. Nach
jedem Aufkehren bleibt ein Streifen Staub zurück.
Aber das ist kein Grund zu sagen: "Ach, wir armen Menschen!" Wenn etwas uns
nicht untertan wird, ist das auch wie eine Befreiung. Wir können nicht
alles instrumentalisieren.
Kann Staub schön sein?
Das muss man erst mal entdecken! Einer der Wissenschaftler zeigt auf seinem
Bildschirm explodierende, sterbende Planeten und macht dabei sehr deutlich,
dass diese Momente eine Schönheit haben. Direkter noch sieht man es, wenn
Künstler aus Hausstaub Kunstwerke machen.
Aber auch in dem Kalkwerk, das mit den Ablagerungen weißen Staubs aussieht
wie der Palast der Schneekönigin. Zugleich wird in dieser Szene die
Giftigkeit des Staubs betont.
Man neigt dazu, immer nur eine Seite zu sehen. Sobald sich ein Widerspruch
auftut, soll die andere Seite verschwinden. Hier lernt man: Man muss
akzeptieren, dass es beide Seiten gibt. Eigentlich bedeutet das auch
Freiheit für einen selber. Man kann seine Haltung gegenüber einer Sache
ändern. Nur weil man einmal gesagt hat, etwas sei schlecht, muss man nicht
sein Leben lang so darüber denken.
Die naturwissenschaftlichen Erläuterungen haben den Nebeneffekt, dass
jemand, der wenig Vorbildung mitbringt, nicht immer folgen kann. Nehmen Sie
das Nichtverstehen bewusst in Kauf?
Bewusst daran ist, dass ich denke: Man muss solche Momente aushalten
können. Nicht alles, was man zum ersten Mal sieht, hört, schmeckt und
riecht, kann man sofort verstehen. Mir geht es ja selber nicht anders, ich
bin ja auch kein Physiker, kein Chemiker. Okay, ich habe mich ein bisschen
damit beschäftigt im Vorfeld und weiß ein paar Dinge. Aber wenn ich ein
Interview führe, passiert es schon, dass ich die falschen Fragen stelle.
Dann werde ich von den Wissenschaftlern dabei erwischt, dass ich nicht ganz
auf ihrer Höhe bin - kann ja auch nicht anders sein. Die wissen das und
tolerieren mich.
Sie verknüpfen Ihre Ausführungen zum Staub immer wieder mit Geschichte und
Niedergang der Industriearbeit. Warum ist es so interessant, sich damit zu
befassen?
Weil deutlich wird, dass ein Zeitalter zu Ende geht. Und wir haben nicht
die richtigen Werkzeuge, um anzupacken, was da im Dunkel vor uns liegt.
Irgendetwas geschieht, ich stehe auf einem anderen Boden, und jetzt brauche
ich andere Gerätschaften, um mich zu orientieren. Das gilt auch für das
Filmemachen. Das Kino ist in den vergangenen 100 Jahren der getreue
Korrepetitor des industriellen Zeitalters gewesen. Und jetzt müssen wir uns
darauf gefasst machen, dass eine bestimmte Art von Filmemachen, eine
bestimmte Art, den Blick auf die Welt aufzuzeichnen, zu Ende gehen.
In Ihrem Film sieht es manchmal aus, als produziere die alte Form der
Arbeit ganz viel Staub, die neue Form gar keinen.
Ja. Aber das ist eine Täuschung.
INTERVIEW: CRISTINA NORD
3 Sep 2007
## AUTOREN
Cristina Nord
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