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# taz.de -- Der Mensch ist der Staatsmacht gegenüber nackt
> Die Polizei in der Kunst (5): Franz Wests Passstücke zum allfälligen
> Gebrauch. Das Tragen der „Polizeikappen“ erfordert besondere
> Voraussetzungen
Bild: Franz West, Immobiles Passstück (Polizeikappen), 1974, Lack, Holz, Draht…
Von Sebastian Strenger
[1][Franz West starb am 26. Juli 2012 in Wien]. Etwas mehr als ein Jahr
zuvor hatte er auf der Biennale in Venedig den Goldenen Löwen für sein
Lebenswerk erhalten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war weithin bekannt
geworden, dass seine Kunst zu den wichtigsten Positionen der
internationalen Postmoderne zählt.
Begonnen hatte alles im Atelier des österreichischen Künstlers Rudolf
Polanszky, dem der junge West jahrelang assistierte. Hier entstanden seine
ersten Skulpturen. 1974 befestigte er etwa ein Paar rotbraune Gummischuhe
auf einer grob ausgerissenen, blassgelb lackierten Holzplatte. Der
Betrachter beziehungsweise die Betrachterin sollte, so stellte West sich
das vor, auf die Platte steigen, in die Schuhe schlüpfen und sich der
Erfahrung des Isoliert-in-Gummischuhen-auf-einer-Farbinsel-Stehens
aussetzen. Auch West pflegte einen erweiterten Skulpturbegriff, ähnlich wie
Beuys. Im Gebrauch seiner Kunst sollte es nicht nur um das physisch und
psychische Erlebnis mit dem Kunstwerk selbst gehen, sondern es sollte damit
gestaltend auf die Gesellschaft insgesamt eingewirkt werden.
Eine in dieser Zeit gefertigte Skulptur ist „Immobiles Passstück
(Polizeikappen)“. Es besteht aus einem fast 2,30 Meter langen und 47
Zentimeter hohen Holzbrett, das an der Wand fixiert wird und an dem zwei
Polizeimützen hängen. Dieses Passstück ist übrigens noch bis zum 8.
November 2020 in der Überblicksausstellung „The Beginning. Kunst in
Österreich 1945 bis 1980“ in der [2][neu eröffneten Albertina Modern im 1.
Bezirk Wiens] zu sehen.
Mit der hier abgebildeten Skulptur war vom Künstler offensichtlich ein
größeres emotionales Erlebnis intendiert. Die Betrachter*innen sollten noch
exponierter und entsprechend befangener als sonst auftreten, da von Franz
West vorgeschlagen wird, sich zu entkleiden, um dann eine oder beide
Polizeikappen vom Nagel der „amtsgrün“ lackierten Holzplatte zu nehmen, sie
aufzusetzen und sich so vor die Platte zu stellen.
Es war die Zeit, in der Franz West noch durch die Kaffeehäuser Wiens
tingelte, um seine Zeichnungen für 100 Schilling – heute 7,27 Euro – je
Exemplar zu verkaufen. In dieser Zeit war er häufig mit dem Gesetz in
Konflikt geraten, daher kann die Wandskulptur auch als Statement gewertet
werden. Mit dem Brett vor dem Kopf erscheint der Mensch hier, wie Gott ihn
schuf, also vor der Staatsmacht nackt; nur mit der Polizeikappe ist er auf
Augenhöhe der Verwaltung, dabei zugleich „beschränkt“. Seine Persönlichk…
ordnet sich mit der Polizeikappe, dem Symbol des Staatsapparats, unter,
wobei der Gebrauch dieses Objekts Scham in ihm aufsteigen lässt. West
kommentierte selbst einmal vieldeutig: „Ich behaupte, wenn man Neurosen
sehen könnte, sähen sie so aus.“
Gleichzeitig war Franz West der Auffassung, Amtsträger mögen sich nackt
machen, denn 1974 erschien den Menschen als ein korruptes Jahr. Die
Tristesse Wiens dieser Tage war vor allem geprägt von den Auswirkungen der
Ölkrise des Vorjahres. Im Norden Zyperns begann der Zypernkrieg durch den
Einmarsch und der Besetzung durch türkische Truppen, in Washington trat
aufgrund der Watergate-Affäre, Richard Nixon als US-Präsident zurück, und
in Deutschland gab es einen Regierungswechsel, nachdem Bundeskanzler Willy
Brandt durch die Spionageaffäre um seinen persönlichen Referenten Günter
Guillaume zurückgetreten war.
Franz West, der 65 Jahre alt wurde, hinterließ etwa 5.700 registrierte
Werke, darunter 1.600 Skulpturen, die wie das hier abgebildete Passstück
für den Innenraum gedacht waren. Die Arbeiten aus Pappmaché, Passstücke für
die Hosentasche, die mit Draht und Mull gefertigten Maulschellen, Watschn
und Ohrenschläger, Labstücke und kleine Lemurenköpfe besitzen ein
unnachahmliches Aussehen und entstanden vielfach mit der Idee des
Künstlers, dass sie einzusetzen seien. Leider sind seine Arbeiten heute so
teuer geworden, dass sie aus konservatorischen und versicherungstechnischen
Erwägungen zu reinen Vitrinenobjekten degradiert wurden.
Die nationale wie internationale Auseinandersetzung über Polizeigewalt und
wie diese Auseinandersetzung journalistisch zu führen ist, brachte unseren
Autor Sebastian Strenger auf die Idee, einmal nachzuschauen, wie die
Polizei Motiv der Kunst wird. Weitere Texte folgen.
3 Aug 2020
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## AUTOREN
Sebastian Strenger
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