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# taz.de -- Mehr als nur ein Kuscheltier
> Vierbeiner im Unterricht können Stress abbauen und schlechte
> Schüler*innen zum Lernen motivieren.Doch was zeichnet einen echten
> Schulhund aus? Die taz hat die Ausbildung einen Tag lang begleitet
Bild: Rund 1.000 bis 1.500 Schulhunde gibt es im deutschsprachigen Raum, schät…
Aus Frankfurt am Main Maxie Römhild
Wenn ein König den Raum betritt, wahrt er in der Regel Abstand zum Fußvolk
– in Zeiten von Corona erst recht. Aber der König, der soeben in das
Klassenzimmer in der Integrierten Gesamtschule IGS West in Frankfurt am
Main geschritten ist, ist eben nicht irgendein Monarch. Und an diesem
Donnerstag Anfang März ist die Schule auch noch ganz regulär geöffnet, von
Social Distancing keine Rede.
König Casper begrüßt jede der Fünft- und Sechstklässlerinnen im Raum mit
Enthusiasmus, bevor er neben dem Fenster verharrt: Ein braunes Hundebett
schmiegt sich dort zwischen Schreibtisch und Tafel – dies ist gar nicht
sein Reich. Und Casper ist normalerweise auch kein König. Nur heute ist er
das, für eine Märchen-Lese-Aufgabe, die sich seine Besitzerin Katharina
Niebisch hat einfallen lassen. Denn Casper ist ein angehender Schulhund.
In seiner Ausbildung soll er heute zeigen, dass er das richtige Gespür für
die Arbeit mit Kindern hat. Für die Frankfurter Schülerinnen ist das nichts
Neues, denn genau deswegen sind die Mädchen heute hier: Die Hunde-AG der
IGS West dient als Übungsraum für Schulhunde in Ausbildung, die wenigen
Plätze in der AG sind immer heiß begehrt.„Der Casper ist ein Kasper“, hat
Niebisch die Schülerinnen zu Beginn auf ihren quirligen Collie eingestimmt.
Die junge Frau ist Lehrerin an einer Schule mit Förderschwerpunkt. Ihren
Hund nimmt sie dort schon mit in den Unterricht, ein bisschen Erfahrung hat
Casper also bereits. Aber an der IGS West muss er sich vor besonderem
Publikum beweisen. Auf der anderen Seite des Klassenzimmers sitzt
Hundetrainerin Rita Reinhardt mit sieben weiteren Kursteilnehmer*innen:
Lehrer*innen aus der Umgebung von Frankfurt, die wie Katharina Niebisch
ihren Hund für die Schule ausbilden wollen.
Für mehrere von ihnen wird es heute ernst, denn außer Casper sollen noch
zwei weitere Hunde zum ersten Mal unter Aufsicht mit den Kindern arbeiten.
Wie genau die Arbeit eines Schulhundes abläuft, unterscheidet sich stark je
nach Hund und Fach. Mit Sportlehrer Max Stair etwa lernen die Mädchen
heute, wie man Hunde massiert. Und Linda Liebers, die eigentlich bereits
pensioniert ist, ihre Hündin Skye aber für die Arbeit mit Menschen
trainieren will, lässt die Schülerinnen Englisch sprechen. Dass es hier und
da mit dem Verständnis ein wenig hapert, hält die Kinder nicht auf, denn
sie haben keine Wahl: Liebers’ Australian Shepherd Skye spricht einfach
kein Deutsch. So einfach ist das.
Ein Hund motiviere Kinder zum Lernen, auch wenn sie in dem Fach schon viele
Misserfolge hatten, sagt Andrea Beetz, Schulhundexpertin und Professorin
für Heilpädagogik an der Internationalen Hochschule IUBH, im Gespräch mit
der taz. Besonders Schulen mit Förderschwerpunkt setzten daher immer öfter
auf den Hund im Klassenzimmer. So wie auf Collie Casper. „Ich arbeite viel
mit Autisten. Da hilft mir der Hund ganz stark“, erzählt Besitzerin
Katharina Niebisch im Klassenzimmer der Frankfurter Gesamtschule, „Sie
nehmen die Bedürfnisse des Hundes wahr und können bei ihm ganz anders Nähe
zulassen.“
Wie gut sich die Hunde in der Arbeit mit Kindern machen, hängt vor allem an
den Besitzer*innen. „Ich arbeite zu 99 Prozent mit Menschen“, sagt Rita
Reinhardt, die seit vier Jahren Schulhunde, aber eben vor allem ihre
Halter*innen in ihrer Hundeschule Side by Side ausbildet. 60 Stunden dauert
die Fortbildung, seit Februar trifft sich die Gruppe mehrmals die Woche –
manchmal mit, manchmal ohne Hunde.
Etwa in der Mitte der Ausbildung kam der Corona-Lockdown. Seitdem ist das
Training zwar auf Eis gelegt, aber hoffentlich nicht mehr lang. Denn vor
den Hunden und ihren Besitzer*innen liegen noch etwa drei Wochen Unterricht
– und eine Abschlussprüfung. Rita Reinhardt hofft darauf, dass die im neuen
Schuljahr abgelegt werden kann: „Jetzt in den Ferien können wir zur Planung
übergehen“.
Die verschiedenen Schulen der Kursteilnehmer*innen haben der Ausbildung
nach einer ersten Prüfung der Stressresistenz bereits zugestimmt. Der
Einsatz von Hunden in der Pädagogik sei nicht mehr ungewöhnlich, erklärt
Schulhundexpertin Andrea Beetz: „Vor zehn Jahren war das noch total
problematisch. Da hatten die Schulleiter Angst vor Klagen, wenn etwas
passiert.“
Heutzutage seien die meisten Sorgen ausgeräumt. Hundeallergien seien
deutlich seltener als Katzenallergien und „die Wenigsten sind so
allergisch, dass sie Symptome haben, wenn der Hund nur im Raum ist“. Und
wenn doch, könne man das Tier eben nicht in dieser Klasse einsetzen. Die
meisten gemeldeten Vorfälle mit Schulhunden seien Unfälle, bei denen ein
Kind über das Tier stolpere, berichtet Beetz. Aggressivität dürfe in keiner
Situation eine Rolle spielen: „Ein Schulhund sollte nie aus heiterem Himmel
beißen, dann hätte er die Prüfung nicht bestehen dürfen.“
Schon in den Neunzigern nahmen Lehrer*innen vereinzelt ihre Hunde mit in
die Schule. Klare gesetzliche Vorgaben gibt es aber bis heute nicht. In den
letzten Jahren ist die Anzahl der Schulhunde in Deutschland stark gestiegen
– und mit ihr die Fülle an Informationen und Fortbildungsmöglichkeiten. Das
Vernetzungsportal Schulhundweb zählt derzeit etwa 480 Pädagog*innen, die
sich selbst zu einer umfangreichen Ausbildung verpflichtet haben. Und es
werden immer mehr. Andrea Beetz geht sogar davon aus, dass im
deutschsprachigen Raum zwischen 1.000 und 1.500 Schulhunde im Einsatz sind.
Und nun sollen hier in Frankfurt acht weitere dazukommen. Damit die
Kursteilnehmer*innen in der Coronazwangspause „nicht in große
schulische Löcher fallen“, verschickt Reinhardt regelmäßig Tipps zum Üben.
So soll auch Casper auf dem Stand bleiben, den er der Hunde-AG in Frankfurt
Anfang März präsentiert: Unter dem Kratzen von Stiften auf Papier beginnt
eine der Schülerinnen zu lesen. „Es war einmal ein König …“ – wann im…
König Casper im Märchen etwas tut, soll der Kurzhaar-Collie es ihm im
Klassenzimmer nachtun. Trick eins: Pfötchen geben. Trick zwei: Sitz. Und so
weiter. Was für die Kinder eine witzige Leseübung ist, erfordert von Casper
viel Konzentration.
„Das ist für den Hund sehr anstrengend“, sagt Rita Reinhardt. Darum sollte
ein Schulhund auch keiner Vollzeitbeschäftigung nachgehen. Bestenfalls
unterstützt er seine*n Besitzer*in im Unterricht zwei- bis dreimal die
Woche, halbtags. Und auch dann sollte sich das Tier spätestens nach drei
Stunden Unterricht ausruhen können. Gut also, dass die Übungen mit den
angehenden Schulhunden an diesem Tag nur jeweils 20 Minuten dauern.
Ein Stressfaktor sind die Kinder selbst. Denn die sind unberechenbar, klein
und laut und unterscheiden sich damit so stark von Erwachsenen, dass das
Tier sie als eigene Art wahrnimmt. Würde man einen Hund, der noch nie mit
Kindern zu tun hatte, in eine Schule stecken, „dann ist das, als würde er
gerade unter Marsianer geschmissen werden“, sagt Reinhardt.
Die angehenden Schulhunde wurden deshalb entsprechend sozialisiert. Und
auch die Schülerinnen der IGS West haben in der Hunde-AG schon viel über
den Umgang mit den Tieren gelernt: Nach der letzten Übung des Tages setzen
die Mädchen ganz selbstverständlich zum „Hundeapplaus“ an. Statt laut zu
klatschen, klopfen sie sachte ihre Zeigefinger gegeneinander. Lehrerin
Caroline Wallmann ist von der Rücksicht begeistert: „Wenn ich sage, dass es
mir zu laut wird, dann interessiert das die Kinder nicht so sehr, wie wenn
ich sage: Dem Dino ist es zu laut. Dann ermahnen die sich schon gegenseitig
und sagen ‚Pscht, nicht so laut, der Hund hört das siebenmal lauter.‘ “
Und die Tiere revanchieren sich bei den Kindern, mit Empathie, Geduld und
Zuneigung. Ihre Hunde mit in den Unterricht zu nehmen, beruhige, baue
Ängste ab und sorge für eine angenehme Arbeitsatmosphäre, da sind sich alle
Pädagog*innen an diesem Tag einig. Maßgeblich verantwortlich dafür ist das
Hormon Oxytocin. Wie eine Studie im Jahr 2003 herausfand, wird es
ausgeschüttet, wenn wir unsere Hände in weichem Fell vergraben. „Das fährt
an der Nebenniere die Stresshormone runter“, erklärt Rita Reinhardt.
Oxytocin ist sonst vor allem als Bindungshormon bekannt und kommt etwa bei
Geburten zum Einsatz.
Auch ohne direkten Körperkontakt beeinflusst ein Hund im Raum unsere
Stimmung, sagt Andrea Beetz. „Da sind wir so von der Evolution drauf
geprägt: Wenn sich Tiere in unserer Umgebung entspannen, dann ist das ein
Signal für uns: Hier ist es sicher, da können wir uns auch entspannen.“
Dementsprechend angenehm ist die Atmosphäre, als die Schulhund-Gruppe in
Frankfurt zum Feedback übergeht. Für Katharina Niebisch und ihren Collie
gibt es viel Lob. Besonders beeindruckt sind die anderen von dem Märchen,
das Niebischs Förderschüler*innen dem Kasper-König auf den Leib
geschrieben haben. Und davon, dass Frauchen nicht ungeduldig wurde, als der
Hund mal nicht sofort kam. „Ein Hund ist auch nur ein Mensch“, sagt Rita
Reinhardt, „der kann auch mal Fehler machen.“
29 Jul 2020
## AUTOREN
Maxie Römhild
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