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# taz.de -- LichtinspolizeilicheDunkelfeld
> Die taz hat Fälle untersucht, bei denen Menschen, die von Rassismus
> betroffen waren, in Polizeigewahrsam ums Leben kamen. 24 dokumentieren
> wir hier
Bild: 18. 6. 2020, Bremen-Gröpelingen: Mohamed Idrissi wird die Wohnung gek�…
Von Christian Jakob und Steffi Unsleber
Die Ermordung von George Floyd in Minneapolis durch vier Polizisten hat in
Erinnerung gerufen, dass in mehrheitlich weißen Gesellschaften Rassismus in
der Polizei ein Problem ist. Und Deutschland ist da keine Ausnahme.
Rassismus ist alltäglich und durchzieht die gesamte Gesellschaft –
natürlich betrifft er auch die Polizei. Weil diese durch das Gewaltmonopol
eine herausgehobene Machtposition hat, sollte besonders genau hingesehen
werden, wenn Menschen in ihrer Obhut sterben. Diese Fälle müssen penibel
aufgeklärt werden. Das dient letztlich auch der Polizei – und dem Vertrauen
der Bevölkerung in die Institution.
Racial Profiling ist Alltag. Selbst nichtweiße Polizeibeamte wie der
Pressesprecher der Berliner Polizei, Thilo Cablitz, erfahren am eigenen
Leib, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe als verdächtig eingestuft werden,
wenn sie in Zivil unterwegs sind. Cablitz hat vor zwei Wochen in einem
taz-Interview im Berlinteil davon erzählt. Bundesinnenminister Horst
Seehofer möchte dennoch keine Studie zu Racial Profiling in Auftrag geben,
obwohl das Gremium des Europarats gegen Rassismus und Intoleranz (Ecri)
genau das empfohlen hatte. Seehofer sieht aber keinen Bedarf. Dabei
verstößt Racial Profiling gegen den Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz.
Laut einer 2017 veröffentlichten Erhebung der europäischen
Grundrechteagentur wurde ein Drittel der Schwarzen Menschen in Deutschland
in den vergangenen fünf Jahren von der Polizei kontrolliert. 42 Prozent von
ihnen glauben, dass sie nur aufgrund ihrer Herkunft angehalten wurden. Das
ist der fünfthöchste Wert in der Europäischen Union.
In der Erhebung der Europäischen Grundrechteagentur wurde deutlich, dass
besonders häufig Menschen mit einem nordafrikanischen oder subsaharischen
Migrationshintergrund angaben, von der Polizei wegen ihrer Herkunft
kontrolliert worden zu sein. Minderheiten mit einem russischen
Migrationshintergrund glaubten in der Regel nicht, dass sie wegen ihrer
Herkunft kontrolliert wurden. Das zeigt, dass Hautfarbe eine Rolle spielt.
Seit vielen Jahren arbeiten zivilgesellschaftliche Initiativen daran,
dieses Problem in Deutschland öffentlich zu thematisieren. Zu diesen
Gruppen zählt etwa die Antirassistische Initiative (ARI) aus Berlin, die in
der vergangenen Woche die nunmehr 27. Aktualisierung ihrer Chronik
„Bundesrepublikanische Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“
vorlegte.
Geflüchtete, so schreibt die ARI, seien polizeilichen Aktionen in
besonderem Maße ausgesetzt, sei es durch sprachliche Barrieren oder an
„Orten der Isolation – Haftzellen, Flüchtlingslager oder Abschiebeflugzeuge
–, in denen Gewalt ausgeübt wird“. Tötungen oder schwere Verletzungen
würden mit „Notwehr“ gerechtfertigt, Ermittlungen gegen PolizistInnen
schnell eingestellt. Das liegt auch daran, dass es keine unabhängige Stelle
für Ermittlungen gibt – gibt es Vorwürfe gegen die Polizei, ermittelt sie
gegen sich selbst. Das ist ein strukturelles Problem.
Wir möchten dieser Debatte mit journalistischen Mitteln begegnen und sie
mit Fakten unterfüttern. Deshalb haben wir etwa 40 Fälle aus den
vergangenen fünf Jahren genauer untersucht, bei denen Menschen, die von
Rassismus betroffen waren, in Polizeigewahrsam umgekommen sind.
24 Fälle dokumentieren wir auf den folgenden Seiten ausführlicher. Sie
zeigen, wie schnell ein Mensch sterben kann. Durch die Fälle zieht sich ein
Muster aus Überforderung, Schlampigkeit und Gleichgültigkeit der Behörden.
Und leider fehlt es auch viel zu oft an Aufklärungswillen.
In die Sammlung aufgenommen haben wir Fälle, bei denen Menschen in Haft,
Sicherheitsgewahrsam oder bei einem Polizeieinsatz umgekommen sind. Nicht
gelistet sind Menschen, die selbst eine Feuerwaffe hatten, Geiseln genommen
oder außenstehende Dritte auf andere Weise willentlich in Lebensgefahr
gebracht haben. Wenn die Menschen mit einem Messer bewaffnet waren, tauchen
sie jedoch in der Dokumentation auf. Oft ist die Existenz des Messers
zumindest zweifelhaft, und außerdem kann man davon ausgehen, dass die
Polizei in der Lage ist, Menschen mit einem Messer zu entwaffnen, ohne sie
zu töten.
In die Dokumentation aufgenommen wurden alle Todesfälle von Menschen, die
von Sicherheitsbehörden als fremd wahrgenommen werden – sei es aufgrund
ihrer Hautfarbe oder aufgrund dessen, dass sie kein Deutsch können.
Darunter fallen Menschen mit Migrationshintergrund, ausländische
Staatsbürger und People of Color.
Die Gruppe „Death in Custody“ hat uns ihre Vorrecherche zum Thema zur
Verfügung gestellt, wofür wir uns herzlich bedanken. Die 2019 gebildete
Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, alle Fälle in Deutschland zu
dokumentieren, in denen Menschen, die von Rassismus betroffen sind, seit
1990 in Gewahrsam gestorben sind. Bislang hat sie 161 Fälle in ihre
Chronologie aufgenommen.
RedakteurInnen, KorrespondentInnen und AutorInnen der taz haben die Fälle
untersucht und weitere Informationen gesammelt. Wir hoffen, damit dazu
beizutragen, dass die Aufmerksamkeit, die der Tod George Floyds auf die
Probleme auch in unserem Land gerichtet hat, wach bleibt.
18 Jul 2020
## AUTOREN
Christian Jakob
Steffi Unsleber
Juri Wasenmüller
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