# taz.de -- Graphic Novel über das Asperger-Syndrom: Grelle Kollisionen | |
> Teds Leben ist gut, solange es in geregelten Bahnen verläuft. Aber das | |
> ist in Émilie Gleasons Graphic Novel „Trubel mit Ted“ nur selten der | |
> Fall. | |
Bild: Wobbeln und wabbeln: Szene aus „Trubel mit Ted“ | |
Routinen und Rituale sind alles für Ted: In die Toilettenschüssel pusten, | |
stets auf demselben Platz in der Metro sitzen, jeden Tag dasselbe | |
Hamburgermenü essen. All das sind Absicherungen gegen die Zumutungen einer | |
Welt, die ständig Überraschungen parat hat. | |
Dieser Ted also ist ziemlich speziell und die Hauptfigur in Émilie Gleasons | |
preisgekröntem Comic „Trubel mit Ted“. Sein Leben ist gut, solange es in | |
geregelten Bahnen verläuft. Leider ist das nur selten der Fall. Immerzu | |
geschehen unvorhersehbare Dinge. Pendlerzüge fallen aus. Geliebte | |
Menschen werden überfahren. Man stolpert in einen Sexshop. | |
Ted ist ein großer, schlaksiger Kerl, seine Arme und Beine wobbeln und | |
wackeln, immerzu stakst er im Ausfallschritt. Seinen Kopf trägt er zwischen | |
den Schultern, wie eine Schildkröte bei drohender Gefahr. Einen wie ihn | |
kennt man aus [1][Filmen wie „Rain Man“]. Einen wie ihn, der jeden | |
Stellplatz eines Buches der Bibliothek, in der er arbeitet, auswendig | |
kennt, und für den ein Wannenbad allenfalls der Erprobung des | |
archimedischen Prinzips dient. | |
Ein Autist, genauer: ein Mensch mit Asperger-Syndrom. Ted ist maximal | |
ehrlich. „Sie sind einfach super fett.“ Das findet seine Umwelt nicht so | |
toll. „Wie bitte? Und das von einem Mongo, der nach Pisse stinkt?“ | |
Randfiguren des Comics sind die überfürsorgliche Mutter und der zu | |
Wutanfällen neigende Vater sowie Teds Schwester Elena, die die Macken, | |
Marotten und Ticks ihres Bruders ertragen muss. Ab und zu folgt ein | |
Meltdown, der Ted und [2][seine Umwelt ins Chaos stürzt]. Gründe dafür gibt | |
es viele: die neue Couch der Eltern, oder die Tatsache, dass ein Fremder | |
seinen Sitzplatz okkupiert. | |
## Menschen, die „anders“ sind | |
Émilie Gleason erzählt im Nachwort von ihrem Bruder, dem sie mit diesem | |
Comic ein künstlerisch wie komödiantisch herausragendes Denkmal gesetzt | |
hat. Wobei Ted stellvertretend steht für Abertausende von Menschen, die wie | |
er „anders“ sind. Ihre Andersartigkeit wird zum Fanal für eine | |
Gesellschaft, die den Wunsch nach Integration beteuert, aber „besondere | |
Kinder“ mit Medikamenten vollpumpt oder mit [3][pseudotherapeutischen | |
Maßnahmen] malträtiert. | |
„Meine Mutter sagt immer, dass ich normal bin und die anderen blöd, aber | |
ich weiß schon, dass das nicht stimmt.“ Ted ist sich seiner selbst durchaus | |
bewusst. Darf man über einen wie ihn lachen? Man muss! Jedenfalls als Teil | |
einer emotionalen Katharsis: So lacht man nicht über Ted, sondern über das | |
Chaos, das bei der Kollision seiner Welt mit der Umwelt entsteht. | |
Gleason zeigt die Reaktionen dieser Umwelt in all ihrer bösen | |
Einfältigkeit. Ted, der „Mongo“, wird verprügelt, von gut meinenden Ärzt… | |
mit Hunderten Medikamenten, von Ritalin bis Citalopram, behandelt. Und wird | |
doch nicht – natürlich nicht – glücklich oder gar „normal“. | |
## Grellbunt, unübersichtlich und wuselig | |
Was „Trubel mit Ted“ auszeichnet, ist die unsentimentale Direktheit, mit | |
der die 1992 geborene Gleason ihr Thema behandelt. Als Ted sich in die | |
Jahrzehnte ältere Mariam verliebt, weil sie ihm Aufmerksamkeit | |
entgegenbringt (allerdings deshalb, weil er sie an ihren Sohn erinnert), | |
endet die Liebesgeschichte abrupt, weil sie von einem Auto über den Haufen | |
gefahren wird. | |
Geradezu genüsslich wird Mariams Unfall dargestellt. Das ist nicht nur | |
absolut köstlich; bunter war schwarzer Humor nie! Überhaupt: Ted stakst | |
durch ein Szenenbild, das grellbunt, unübersichtlich und wuselig ist, von | |
Farben und Personen nur so wimmelt. Fremde sind einfarbige und in | |
Konturlinien aufgelöste Wesen. Nur Teds Vater, Mutter und Schwester | |
erhalten ein individuelles Aussehen. Und, natürlich, Mariam. | |
Die Sache mit der Liebe und dem Sex wird ohne Mariam nicht leichter für | |
Ted. Man sieht es in einer Szene, in der er unfreiwillig einen Lap-Dance | |
einer recht behaarten Tänzerin über sich ergehen lassen muss. Kann die | |
Geschichte eines Mannes wie Ted gut ausgehen? Das muss man nachlesen, | |
nachschauen. Und sich von den überdrehten Bildern und der aberwitzig | |
temporeichen Erzählung des Comics berauschen lassen. | |
24 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Marlen Hobrack | |
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