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# taz.de -- Völkisches Grundrauschen
> Das Landesmuseum Oldenburg gewährt erstmals Einblicke in die Erforschung
> des eigenen Bestands an während des Nationalsozialismus erworbener Kunst.
> Und zeigt Wolken
Bild: Gerade als Neuerwerbung in Haus gekommen: Karl Schmidt-Rottluffs Aquarell…
Von Bettina Maria Brosowsky
Dem Freistaat Braunschweig gebührte die fragwürdige Ehre, als allererster
Gliedstaat der Weimarer Republik bereits im Oktober 1930 der NSDAP die
Regierungskoalition ermöglicht zu haben. Im Oldenburgischen Gegenstück
erhielt die Partei bei der Landtagswahl vom 29. Mai 1932 dann reichsweit
erstmals die absolute Mehrheit. Nach der Vereinigung mit dem Land Bremen im
Jahr 1933 fungierte der Oldenburgische Ministerpräsident Carl Röver bis zu
seinem Tode 1942 als Gauleiter sowie Reichsstatthalter und entfaltete
kulturpolitisches Sendungsbewusstsein im Sinne NS-konformer Künste.
Auch die Arbeit lokaler Museen änderte sich unter den neuen
Machtverhältnissen. In Oldenburg verloren schon 1932 erste jüdische
Mitbürger*innen ihren Besitz, manches davon gelangte auf unrechtmäßige
Weise in museale Sammlungen, wohl auch ins dortige Landesmuseum. 1998
verpflichtete sich die Bundesrepublik Deutschland durch die Unterzeichnung
der „Washingtoner Erklärung“ zur Provenienzforschung in ihren öffentlichen
Museen und Sammlungen, die Basis für Restitutionen an rechtmäßige
Eigentümer*innen.
## Verschwiegene Bestände
Seit Februar 2011 ist der Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Marcus
Kenzler am Oldenburger Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte mit
dieser Aufgabe befasst. Das Haus zeigte dann Ende 2017 als Zwischenbilanz
die Sonderschau: „Herkunft verpflichtet! Die Geschichte hinter den Werken“:
Rund 60 exemplarische Stücke – Gemälde, Möbel, kunstgewerbliche Objekte,
Inventarbücher und Auktionskataloge – gewährten Einblicke in die
Fragestellungen und Recherchemethoden der laufenden Erforschung des eigenen
Bestandes.
Marcus Kenzler, 1972 in Hannover geboren, hat nach Studien dort und in
Hildesheim zur „Kunst in der DDR“ promoviert. Er hat auch zum Film im
„Dritten Reich“ geforscht, scheint somit Spezialist für die Künste
diktatorischer Systeme. Nun hat er für eine Kabinettausstellung eine
Handvoll Werke und Dokumente aus dem Depot geholt, die alle zwischen 1933
und 1945 im Rahmen der offiziellen NS-Ankaufspolitik ins Landesmuseum
gelangten.
Zu allem Überfluss erhielt das Haus nach Kriegsende weitere NS-Kunst durch
die britische Besatzung übereignet, so aus einer Privatsammlung Carl Rövers
im Kontext der „Stiftung Stedingsehre“ in Bookholzberg bei Ganderkesee. Das
gehobene Material wird jetzt weitgehend erstmals gezeigt, es gehöre zu den
lieber „verschwiegenen Beständen“, so Kenzler, wie sie wohl jedes deutsche
Museum sein Eigen nennen darf.
Zum indoktrinären Programm in Bookholzberg zählte ein Freilichttheater mit
kleinem Theaterdorf, ein Oberammergau des Nordens, das nach 1935 mehrfach
ein Stück des plattdeutschen Heimatdichters August Hinrichs zum Besten gab.
Dessen Inhalt, die zwar letztlich erfolglose Auflehnung der Landbevölkerung
anno 1234 gegen Adel und Klerus, ließ sich politisch bestens als „Aufstand
der Arier“ für Massenveranstaltungen instrumentalisieren, so Kenzler.
Sechs große Gemälde der Protagonisten zählten zur Sammlung Röver, ein
monumentales Ganzporträt in hölzernem Malduktus bildet jetzt den Auftakt
der Präsentation. Es ist neben dem Bildnis eines BDM-Mädels das politisch
eindeutigste Werk, denn weder propagandistische Szenen, Parteisymbole oder
Fahnenmeere zieren die weiteren Gemälde.
## „Harmlose“ Heimatkunst?
Bei den unter anderem auf drei „Großen Gauausstellungen“ zwischen 1938 und
1944 erworbenen Arbeiten handele es sich zumeist um „Heimatkunst“
regionaler Künstler*innen, sagt Kenzler. Die Werke seien, bis auf eine noch
1945 erworbene (und nicht ausgestellte) Hitlerbüste – wohl eine finanzielle
Unterstützung der Künstlerin – allesamt „harmlose“ Kunst, so Kenzler
weiter: Porträts, Akte, Familienidyllen, Landschaften.
Dass diese Sujets neben ihrem unverkennbar völkisch-nationalen
Grundrauschen in unterschiedlicher künstlerischer Qualität nicht nur
Nuancen malerischen Ausdrucks, sondern auch gesellschaftspolitischer
Interpretationen zuließen, davon erzählen zwei Frauenporträts.
Das eine von Bernhard Winter (1871–1964) zeigt in virtuos kargem Realismus
seine Ehefrau, in strengem Kleid einige Zimmerpflanzen umsorgend. Das
andere, in expressiverer Malweise, eine selbstbewusst moderne Frau, die
Zigarette in der Hand: ein Werk, das sich auch in den 1920er- oder
1950er-Jahren verorten ließe. Es stammt erstaunlicherweise von Carl Horn
(1874–1945), er sollte zwischen 1935 und 1942 als Leiter der „Nordischen
Kunsthochschule“ in Bremen eine rassenideologisch genuine NS-Kunst
etablieren. „Es ist Kunst im Nationalsozialismus, und nicht Kunst des
Nationalsozialismus“, bezeichnet Kenzler seine präsentierten Funde.
Das Landesmuseum Oldenburg unterstand seit seiner Gründung 1921 Walter
Müller-Wulckow (1886–1964), der während der 1920er-Jahre einen
Programmschwerpunkt zu Bauhaus, Architektur und Wohnkultur der Moderne
vertrat, aber sowohl 1933 als auch 1945 als politisch unbelastet im Dienst
bestätigt wurde.
Was veranlasste ihn zu derartigem Sammeln, war er vielleicht doch kein so
lupenreiner „Moderner“? Er müsse einen Weg gesucht haben, um handlungsfäh…
zu bleiben, sich nicht vereinnahmen zu lassen, vermutet Kenzler.
Müller-Wulckow war kein Parteimitglied, aber Förderer der Waffen-SS, und
bereits in den 1920er-Jahren hat er Malerei der Heimatkunstbewegung
gesammelt.
Wie alle Museumsdirektoren musste auch Müller-Wulckow 1937 als „entartet“
geltende Kunst der entschädigungslosen Konfiszierung melden. Das
Oldenburger Haus verlor immerhin 103 Werke, von denen seit 1945 lediglich
vier zurückerworben werden konnten. Zum Verlust zählen 18 Arbeiten der
Brücke-Maler Kirchner, Schmidt-Rottluff, Müller und Heckel, so aus ihrer
Sommerfrische im friesischen Dangast. Die Maler waren 1908, während einer
ersten Ausstellung in Oldenburg, noch auf „Unverständnis“ der
Besucher*innen gestoßen, erfährt man dann in der Dauerausstellung im
Anschluss an das NS-Kabinett.
## Verborgen vorm NS-Furor
Schaut man dort auf die Inventarvermerke weiterer Exponate, so findet sich
einiges, das offensichtlich dem NS-Furor verborgen bleiben konnte: Eine
frühe „Dangaster Landschaft“ von Erich Heckel etwa oder die „Ziegelei“…
gleichfalls verfemten Emma Ritter, beide in den 1920er-Jahren erworben.
Gerade kamen zudem acht Arbeiten von Heckel, Schmidt-Rottluff und Ritter
als Neuerwerbung ins Haus. In einer weiteren Kabinettschau „Wolken in der
Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“ trifft man dann auf die impulsiven
Himmelsformationen von Georg Müller vom Siel (1865–1939). Auch diese
Handvoll Blätter des psychisch erkrankt seit 1909 Hospitalisierten, gemäß
NS-Diktion ja eine gesellschaftliche „Ballastexistenz“, verblieb 1935 nach
einer solidarischen Verkaufsausstellung ganz unbehelligt im Landesmuseum.
„Kunst zwischen 1933 und 1945“: bis 30. 8.;
„Wolken in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“: bis 2. 8.; beide im
Prinzenpalais, Landesmuseum Oldenburg
29 May 2020
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
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