# taz.de -- Die Marmelade nahm er überallhin | |
> Parodie oder doch eher Rührstück? In „Herr Rudi“ lässt Anna Herzig das | |
> Leben eines Gerichtsvollziehers enden | |
Von Thomas Schaefer | |
In Österreich sagen sie „die Trudi“ und „der Fritz“, „Herr Rudi“ u… | |
Karl“ (so wie beim Qualtinger selig). Und der Tod soll angeblich ja „a | |
Weaner sein“. Wie auch immer. Herr Rudi, die Titelfigur im neuen Buch (das | |
keine Gattungsbezeichnung trägt) der 1987 als Tochter einer Kanadierin und | |
eines Ägypters in Wien geborenen Anna Herzig, hat auch eine spezifische | |
Beziehung zum Tod. | |
Vor vielen Jahren ist Olivia, vulgo „die Livi“, seine erste und einzige | |
Liebe, an Krebs gestorben, noch bevor die beiden anfangen konnten, die | |
traute Zweisamkeit einzurichten und zu genießen. Dann hat Herr Rudi 40 | |
Jahre lang in Wien als Gerichtsvollzieher gearbeitet und sich naturgemäß | |
auf die freie Zeit danach gefreut. Doch zwei Tage bevor er in den Ruhestand | |
geht, ereilt ihn die Diagnose, dass auch er an Krebs erkrankt ist. Und nun | |
sitzt er in einem Hotelzimmer in Salzburg (wo die Livi herkommt), hat einen | |
Hexenschuss, kniet auf allen vieren nackt auf dem Teppichboden, und auf dem | |
Nachttisch liegt eine Pistole. | |
O du lieber Augustin, alles ist hin, könnte man ein berühmtes Wiener Lied | |
zitieren, mit einer Ironie, die sich angesichts des traurigen Themas | |
eigentlich verbietet, durch dessen Umsetzung aber wieder legitimiert wird. | |
Denn Herzig erzählt die bittere Geschichte des Herrn Rudi in einer Weise, | |
die der klischeegemäß süßlichen Koketterie der Wiener im Umgang mit dem Tod | |
in fast schon parodistischer Manier gerecht wird. | |
Herr Rudi lässt sein Leben und seine lebenslange Livi-Liebe Revue | |
passieren, dazu gehört auch die Freundschaft mit „dem Fritz“, der pleite | |
war und dem der Herr Rudi als Gerichtsvollzieher unter die Arme griff. Nun | |
ist der Fritz der einzige verbliebene Mensch, zwar hat Herr Rudi dem Fritz | |
nichts gesagt, „weil, denkt der Herr Rudi, die Dinge, die einem passieren, | |
die Angelegenheiten von demjenigen sind, dem die Dinge passieren“. Aber | |
sinniert haben die beiden schon darüber, „was es zu bedeuten hat, das | |
Leben“, wenn auch ohne Ergebnis: „‚Ich weiß nicht‘, sagt der Fritz und | |
schaut in sein Weinglas. Dort findet man mal mehr, mal weniger | |
Bedeutsames.“ | |
So geht’s einem auch mit Anna Herzigs Text. Irgendwo war zu lesen, die | |
Figur des Herrn Rudi sei eine Karikatur, und das möchte man fast glauben | |
angesichts der paraphilosophischen Sentenzen („mit dem Leben ist es meist | |
so: Entweder passiert dir alles oder eben nichts“). Auch erfahren wir, dass | |
die Livi gern Marmelade gekocht und einen Karton davon hinterlassen hat: | |
„Den hat er überallhin mitgenommen. Zu Vorstellungsgesprächen, zum Arzt, | |
zur Führerscheinprüfung, auf die Toilette“. Man stelle sich vor! | |
Doch warum sollte die Autorin ihren krebskranken Helden so diskreditieren | |
wollen? Es ist wohl doch eher so, dass wir es hier mit einem bitter ernst, | |
das heißt furchtbar gut gemeinten Rührstück zu tun haben. | |
11 Apr 2020 | |
## AUTOREN | |
Thomas Schaefer | |
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