# taz.de -- Santa Corona, bitte für uns! | |
> Bremen ist ein historischer Corona-Hotspot: Im Bremer Dom wird die | |
> Heilige seit über eintausend Jahren verehrt | |
Bild: Im und am Dom ist Corona stets präsent | |
Von Henning Bleyl | |
Corona trägt ihre Locken hüftlang und hat jenes mild-melancholische Lächeln | |
im Gesicht, das für Heilige aller Art zur ikonographischen Grundausstattung | |
gehört. So blickt sie derzeit von den Schranken der Westempore des Bremer | |
Doms – ins Leere. Die Kirche ist, wie alle anderen öffentlichen Orte, | |
natürlich bis auf Weiteres geschlossen. | |
Gesellschaft hat die Heilige von einigen anderen Coronas im Dom, denn | |
Bremen ist, historisch gesehen, ein Zentrum der Corona-Verehrung. Dick mit | |
roter Farbe hervorgehoben ist ihr Gedenktag, der 14. Mai, im | |
Heiligenkalender des Johann Rode: als Festum fiori, als groß gefeiertes | |
Blütenfest. Rode war bis 1511 Erzbischof in Bremen, in dieser Zeit entstand | |
auch der Figurenfries an der Empore. | |
Doch der Bremer Corona-Kult ist deutlich älter: Schon 965 brachte | |
Erzbischof Adaldag Corona-Reliquien von einer Italienreise mit. Sie wurden | |
zum Anziehungspunkt für zahlreiche Pilger, mit der Zeit entwickelte sich | |
Bremen zu einem frequentierten Wallfahrtsziel der Corona-Verehrer. Davon | |
zeugen Pilgerabzeichen mit dem Abbild der Corona, die heute im Bremer | |
Landesmuseum aufbewahrt werden. | |
Was aber erhofften sich die Gläubigen von der Anrufung speziell der | |
heiligen Corona, als einer von insgesamt immerhin circa 6.650 anerkannten | |
Heiligen? Dem ökumenischen Heiligen-Lexikon zufolge ist Corona – kein Witz | |
– nicht zuletzt für die Abwehr von Seuchen zuständig. Doch bezeugt ist | |
diese Tradition nur für das niederösterreichische St. Corona am Wechsel und | |
gilt wohl nur exklusiv für die rund vierhundert Einwohner*innen des Ortes | |
samt deren Viehzeug. | |
Im Allgemeinen ist Corona eher zuständig bei Zahnschmerzen und | |
Glaubenszweifeln sowie als Patronin für Metzger und Schatzsucher. | |
Heutzutage ist sie auch anrufbar für Lottoglück und Geldanlagen. | |
Zurück in den Bremer Dom: Zeitgleich mit der Roland-Figur vor dem Rathaus, | |
Anfang des 15. Jahrhunderts, wurde im Dom eine hölzerne Corona-Statue | |
aufgestellt. Auch sie trägt lange Locken, was sie als „Jungfrau“ | |
kennzeichnen soll, und in der linken Hand eine Krone als Namenszeichen. Die | |
rechte Hand ist abgehackt. Wäre die noch dran, würde sie einen Palmwedel | |
halten: Palmen sind, neben Kronen und Schatzkästchen, das Attribut der | |
Heiligen. Schließlich ist Corona eine „Blutzeugin“ – zur Bezeugung ihres | |
Glaubens opferte sie einer wohl ägyptischen Legende nach ihr Leben: Es | |
wurde von römischen Soldaten mit Hilfe zweier Palmen beendet. Deren Wipfel | |
seien herabgebogen worden und hätten Corona beim Hochschnellen in der Luft | |
zerrissen. Zuvor habe die 16-Jährige einen anderen Märtyrer getröstet, | |
Viktor von Siena – was den frühen Schwerpunkt der Coronaverehrung in | |
Mittel- und Oberitalien erklären könnte. | |
Jenseits der Alpen verbreitete sich Corona vor allem in Bremen, gefolgt von | |
Aachen und Prag, noch später in Österreich und Ostbayern. Die Bremer | |
widmeten ihr einen Altar und platzierten sie am berühmten Cosmian und | |
Damian-Schrein, der sich heutzutage allerdings in München befindet. Am | |
Bremer Chorgestühl von 1366 ist Corona ebenfalls präsent. | |
Einen veritablen Corona-Schub gab es hierzulande seit Mitte des 17. | |
Jahrhunderts: Der 30-jährige Krieg war zu Ende und allerorten suchten die | |
Menschen nach in den Kriegswirren vergrabenen Schätzen. Das Corona-Gebet, | |
auch Kronen- oder Schatzhebegebet genannt, avancierte zum volksmagischen | |
Ritual. Coronagebete finden sich in zahlreichen Zauberbüchern des 17. und | |
18. Jahrhunderts und wurden als sichere Mittel zum Erlangen riesiger | |
Reichtümer verkauft – was entsprechende Gerichtsprozesse geprellter | |
Käufer*innen nach sich zog. | |
Nach dieser Phase der ambivalenten Corona-Prominenz geriet die Heilige | |
langsam in Vergessenheit. Nun ist ihr ein Comeback ungeahnten Ausmaßes | |
sicher – umständehalber allerdings mit rein virtueller Verehrung. | |
26 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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