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# taz.de -- Gewitter von religiöser Dimension
> Das Americana-Quintett Big Thief aus Brooklyn um Mastermind, Gitarristin
> und Sängerin Adrianne Lenker spielte ein beseeltes Konzert. Und das an
> einem trüben Montagabend im Astra in Friedrichshain
Von Jan Jekal
Damit habt ihr wahrscheinlich nicht gerechnet“, sagt der Sänger der Vorband
Ithaca, und er hat techt: Mit Black Metal hatte in der Tat niemand
gerechnet. Denn bei Konzerten ist die Musik der Vorband üblicherweise der
Musik des Headliners zumindest ein bisschen ähnlich, aber von Black Metal
ist das Americana-Quartett Big Thief, das am Montagabend im Astra auftritt,
so weit entfernt wie Radiohead von Revolverheld. Denkt man jedenfalls.
Dabei gibt es eine große Gemeinsamkeit, nämlich die totale Auflösung des
Selbst in der Musik, die beide Gruppen auf der Bühne demonstrieren, das
Verschwinden im Schall, die Hingabe und Unterwerfung.
Big Thief sind eine hervorragende Band. Der Kern ihrer Kunst ist das
Zusammenspiel von Sängerin und Gitarristin Adrianne Lenker und Schlagzeuger
James Krivchenia. Die anderen beiden, Gitarrist Buck Meek – der sich
genauso kleidet wie er heißt, also wie ein adretter Cowboy, der gleich zum
Rodeo muss – und Bassist Max Oleartchik, einen roten Blaumann tragend, sind
fähige Musiker und in der Band für klangliche Verdichtung zuständig.
Das Aufregende aber, das Erhabene und Brillante kommt von Lenker und ihrem
Drummer. Krivchenia, der so aussieht wie der creepy Schwager aus „Fleabag“,
sitzt tief und gebeugt über seinem Kit, die langen Arme wie Tentakel, und
er spielt stolpernd und polternd, als fiele sein Schlagzeug fast eine
Treppe herunter und fände das Gleichgewicht gerade noch so. Sein Beat
schlurft und stockt, aber er hält ihn zusammen, er hält die Band zusammen.
Er ist ungemein aufmerksam, fokussiert auf Lenker, die klare Bandleaderin,
reagiert auf ihre Impulse, setzt manchmal selbst plötzliche Akzente, um
sich ihr dann wieder völlig unterzuordnen. Sein Spiel hat nichts mit dem
geradlinigen Getrommele zu tun, wie man es so häufig aus dem Indie-Kosmos
kennt. (Es ist erstaunlich, wie einfallslos die Mehrzahl der gegenwärtigen
Schlagzeuger ist; als wäre der Gedanke so abwegig, dass auch ein
Rhythmusinstrument Persönlichkeit ausdrücken könnte.) Krivchenias Spiel
aber fordert heraus, verrückt und destabilisiert.
Und dann Adrianne Lenker. An einem Punkt spielt sie alleine, sich nur auf
der Akustikgitarre begleitend, und die anderen verlassen nicht die Bühne,
wie es üblich wäre, sondern bleiben und schauen ihr zu, staunen, können ihr
Glück kaum glauben, mit dieser Künstlerin in einer Band spielen zu dürfen.
Sie ist eine Gitarristin ohnegleichen, zupft in offener Stimmung
melancholische Melodien, spiegelt ihre Gesangsfiguren im Gitarrenspiel,
lässt Basstöne dagegenlaufen.
Ihr Gesang, ihre Falsettstimme, ist ein Wunder; die Töne, die sie nimmt,
sind nicht die vorhersehbare Fortführung einer Melodie, sondern sie reichen
noch ein wenig höher, kommen unerwartet und treffen tief. Eine Intensität
religiöser Dimension, ein Singen in Zungen.
Das Konzert ist ein Crescendo, läuft zu auf das unglaubliche Lied „Not“,
einen drängenden Rocksong von kaum erträglicher Spannung, die sich in einem
anarchischen Gitarrensolo Lenkers entlädt. Sie dreht sich vom Publikum weg,
beschwört ein Feedback, dreht an den Wirbeln ihrer E-Gitarre, sodass sich
die Saiten lockern und tiefer werden. Sie reißt die Saiten von der Gitarre,
im verzerrten Lärm nur als Gewitter auszumachen. Ihr Solo hat nichts
Selbstherrliches, im Gegenteil, es zeugt von Unterwerfung, sie macht sich
zum Medium, wirft sich weg, gibt sich hin, betet zum Lärm.
Der Song vorbei, sie sagt höflich „Thank You“, reicht die vorerst ruinierte
Gitarre ihrem Roadie und greift sich eine akustische. Dann macht sie
weiter, als wäre nichts passiert.
11 Mar 2020
## AUTOREN
Jan Jekal
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