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# taz.de -- Die Wahrheit: Ausrufezeichen und Wunder
> Die gute, alte Erika ist ausrangiert. Jahrelang lief die Kommunikation
> über die Schreibmaschine aus dem Erbe eine Schriftstellers. In
> GROSSBUCHSTABEN!
Bild: Beschnurrbarte Autorin vor Exponaten
Wie heißt „Ausrufezeichen“ auf Englisch?, frage ich meinen Mann. Wozu
willst du das wissen?, fragte er zurück. Weil ich gerade einen kleinen
englischen Text über Ausrufezeichen verfasse, sage ich. Lass es ja bleiben!
Die Engländer schätzen keine Ausrufezeichen, sagte er. Warum nicht?, frage
ich. Weil sie es als unfein empfinden, und weil so ein Zeichen wie ein
Befehl aussieht, gab er zur Antwort.
Ach was, ich finde Ausrufezeichen sehr nützlich, und außerdem können sie
doch auch Freude ausdrücken, sage ich. Ja, sagte mein Mann, aber du
gebrauchst sie immer nur, wenn du wütend bist. Das ist Unsinn, er irrt sich
gewaltig! Wenn ich wütend bin, schreibe ich in GROSSBUCHSTABEN! Aber erst,
seit ich einen Rechner habe.
Davor schrieb ich mit einer mechanischen Olympia-Reiseschreibmaschine, sie
hieß Erika. Und weil der Großbuchstabenhebel klemmte, schrieb ich alles
klein. Das veranlasste meinen früheren Typografie-Professor mich freudig
darauf hinzuweisen, dass es bereits berühmte Autoren und Künstler gab, die
sich ebenfalls der Kleinschreibung verpflichtet fühlten. Nach der Lektüre
dieses Briefes fühlte ich mich wie zum Ritter geschlagen, in einen
erlesenen Kreis aufgenommen! Und all das war nur einer Materialermüdung
geschuldet! Darüber hüllte ich mich lieber in Schweigen und schwor der
guten alten Erika ewige Treue.
Sie ist durch die halbe Welt gezogen, ihr Vorbesitzer war ein vielreisender
Schriftsteller. Er hatte die blauesten Augen, die ich je gesehen habe.
Seine Tochter schaut mit ebensolchen Augen auf die Welt und sie ist meine
Freundin geworden. Als sie noch eine gewöhnliche Nachbarin war, gab sie die
Erika als Dauerleihgabe in meine Obhut. Das geschah just an jenem Tag, da
ich einen Brief von einem älteren Mann, mit dem ich eine ausgiebige
Korrespondenz über die Westfälische Mühlenstraße führte, bekam.
„Vielen Dank für Ihren Brief“, schrieb er, “was Sie da schreiben, scheint
sehr interessant und bewegend zu sein, denn das Schriftbild wird von Seite
zur Seite leidenschaftlicher und wilder! Allein, ich kann es nicht lesen!
Ihr vegetatives Nervensystem schein gestört zu sein, liebe Freundin“, so
stand da in einer schönen, gleichförmigen Handschrift geschrieben.
Ich erschrak, fühlte mich wie nackt im Supermarkt! Und da klingelte es an
meiner Tür. Ich öffnete, die Nachbarin stand da und fragte, ob ich die alte
Schreibmaschine ihres Vaters haben möchte, er bräuchte die Erika nicht
mehr. So kamen zwei Freundinnen auf einen Schlag in mein Leben!
Ich habe gerade die Ausrufezeichen in diesem Text gezählt, es sind an die
zehn! Aber einige davon gehören meinem Mann. England wäre kein Land für
mich, wenn dort schon ein so kleines Zeichen, bestehend aus einem Strich
und einem Punkt, als Bedrohung empfunden wird. Aber wahrscheinlich hat mein
Mann sich das alles ausgedacht! Trotzdem bleibe ich hier, vorerst.
3 Mar 2020
## AUTOREN
Yvonne Kuschel
## TAGS
Schreibmaschine
Kommunikation
Ausrufezeichen
Museum
Streicheln
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