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# taz.de -- Kitzel der Körpersprache
> Vielfalt des Tanzes: Damit schon Kinder vertraut zu machen ist das
> Anliegen der Tanzkomplizen in Charlottenburg. Sie laden Schulklassen zu
> Probenbesuchen und Gesprächen mit Choreograf:innen ein
Bild: Zu Besuch bei den Tanzkomplizen, Zweitklässler aus der Gesundbrunnen-Gru…
Von Inga Dreyer
Die Bitte der Lehrerin, die Füße stillzuhalten, zeigt Wirkung: Sobald Musik
einsetzt und sich die Tänzerinnen und Tänzer bewegen, wird es ruhig in den
Sitzreihen der Schillertheater-Werkstatt. Ein Tänzer steht mit dem Rücken
zum Publikum, umarmt sich selbst. Die anderen drei sitzen und stehen im
Hintergrund auf Holzkisten. Eine Tänzerin zieht ihren roten Pullover über
den Kopf und guckt heraus wie aus einer Höhle. Als ein Tänzer an den
Bühnenrand tritt und wild mit den Armen rudert, kichern ein paar Jungs in
der ersten Reihe.
Die beiden Szenen aus der Probe, die die Zweitklässler von der
Gesundbrunnen-Grundschule an diesem Tag besuchen, sind aus dem Stück
„Kleine große Sprünge“, einer Produktion der Tanzkomplizen, die Tanz für
Kinder und Jugendliche zeigen. Zum Konzept gehört, das junge Publikum in
die Stückentwicklung einzubeziehen. Die Choreografin Jasmin İhraç und die
Tanzvermittlerin Amelie Mallmann waren schon mal bei der Klasse zu Besuch
und haben mit Kindern über das Thema des Stückes geredet: Hindernisse. Was
hindert einen daran, Dinge zu tun, die man möchte?
## Integrierte Tonaufnahmen
Auch im Bekanntenkreis hat Jasmin İhraç Kinder befragt und die Gespräche
aufgezeichnet. Sie überlege, diese Tonaufnahmen ins Stück zu integrieren,
erzählt sie. An diesem Vormittag probiert sie aus, wie das wirkt. Über
Lautsprecher ist eine Kinderstimme zu hören: „Wie weit ist es, bis man zum
Ende kommt – oder gibt es überhaupt ein Ende?“ Eine andere fragt: „Ob der
Mond wirklich sehr weiß oder eher gräulich ist?“
Komponist und Musiker Ketan Bhatti trommelt leise auf dem Schlagzeug. Eine
Tänzerin wird von den anderen drei hochgehoben und läuft seitlich an der
Bühnenwand entlang. Die Zweitklässler lachen und gucken einander an.
Für die meisten Kinder und Jugendlichen sei zeitgenössischer Tanz etwas
Neues, sagt Livia Patrizi, Künstlerische Leiterin der Tanzkomplizen, die
ihre Stücke seit 2019 in der Schillertheater-Werkstatt in Charlottenburg
zeigen. Denn im Gegensatz zu Literatur, Bildender Kunst oder Theater sei
Tanz eine Kunstform, die nicht im Curriculum der Schulen verankert sei.
„Meist werden nur Mädchen zum Ballett geschickt“, sagt sie. Aber zu
zeitgenössischem Tanz gebe es kaum Berührungspunkte.
Oft löse der Körperkontakt auf der Bühne anfangs Scham aus, sagt Livia
Patrizi. „Es ist für sie ungewohnt, dass Menschen körperlich
kommunizieren.“ Tanz sei eine Sprache, betont sie. Und Sprachen muss man
lernen, um sie verstehen und sprechen zu können. Beides sei wichtig: Tanz
anzugucken und selbst zu tanzen.
Die Tanzkomplizen sind Teil von TanzZeit, einer Initiative, die Tanz als
Fach in Schulen bringt. In diesem Jahr arbeite der Verein mit 70
Schulklassen zusammen, erzählt Livia Patrizi, die TanzZeit 2005 gegründet
hat.
Beim Tanzen gehe es darum, sich jenseits von Leistungsdruck körperlich
auszudrücken. Wenn Kinder und Jugendliche Tanz entdecken, sei es eine
Befreiung, sich auf diesem Wege mitteilen zu können, sagt Patrizi.
„Natürlich denken wir, dass Tanz hilft, die Welt zu verstehen.“ Aber Ziel
sei nicht, dass jede*r tanzen müsse. Es gehe darum, Tanz als künstlerische
Ausdrucksform kennenzulernen und dadurch Wahlmöglichkeiten zu schaffen.
Auf der Bühne spannen die Tänzerinnen und Tänzer ein Netz mit einem weißen
Band. Als das Licht ausgeht, leuchtet es im Schwarzlicht. „Ahhhh“, rufen
einige Kinder und lachen. Schließlich werden sie eingeladen, auf die Bühne
zu kommen und Wünsche für die Zukunft auf Zettel zu schreiben, die sie mit
Wäscheklammern an Gummibändern befestigen. „Teleportation“, steht auf ein…
Zettel, „Alle sollen so sein wie sie wollen“ oder „Kein Plastik“ auf
anderen. Der Zweitklässler Loïc hat eine ganze Reihe von Wünschen: „Weniger
Autos, mehr Bäume, mehr Musik und mehr Blumen.“
Am Ende sitzen Schüler*innen und Tänzer*innen im Kreis auf der Bühne und
besprechen die Probe. „Was habt ihr gesehen?“, will Patrizi wissen. Ein
Junge meldet sich: „Die haben so komische Bewegungen gemacht“, sagt er.
Statt mit Worten zu beschreiben, was passiert ist, stehen die Kinder auf
und machen es nach. Ein Junge schnappt sich einen Klassenkameraden und
schleudert ihn wie im Tanz im Kreis.
Die Schüler*innen überlegen, an welchen Orten das Stück spielen könnte und
welche Gefühle sie gesehen haben. Gut können sich die Zweitklässler an
einen Sturm erinnern, an einen Zeitlupen-Gang wie auf dem Mond – und an die
Szene, in der die Tänzerin an der Wand entlanggelaufen ist.
Noch ist „Kleine große Sprünge“, das im April Premiere feiert, nicht
fertig. Für Jasmin İhraç ist es das erste Stück für Kinder – deswegen ist
es besonders spannend, eine direkte Rückmeldung zu bekommen. Es sei
interessant gewesen, wie aufmerksam die Zweitklässler*innen waren, sagt
die Choreografin. Sie habe bei den Proben darauf geachtet, dass es nicht
langweilig werde. „Ich fand es überraschend, dass manche Szenen gar nicht
so lang wirkten“, erzählt sie.
Am Ende tanzen die Kinder selbst über die Bühne, einige üben Handstand.
„Ich will hierbleiben“, sagt ein Mädchen. Ihr kleiner Trost: Zur Aufführu…
kommt die Klasse wieder.
„Kleine große Sprünge“ von Jasmin İhraç, Premiere am 23. April, 10 Uhr
Schillertheater-Werkstatt, https://tanzkomplizen.de
5 Mar 2020
## AUTOREN
Inga Dreyer
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