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# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Jan Jekal: Die The-Band, die den Schwall…
Vor ein paar Monaten spielten die Libertines in der Columbiahalle, und auf
dem Weg dorthin, inmitten der Nazi-Architektur um den Platz der
Luftbrücke, sahen wir Pete Doherty. Er war ein wandelnder Berg aus Mänteln
und Schals, in der Hand die Leine seines Huskys, die er ständig fallen
ließ. Ich sagte hallo, ich hatte ihn vor nicht allzu langer Zeit
interviewt, und schon waren wir in ein (sprunghaftes, flatteriges,
lustiges) Gespräch verwickelt. Er küsste meine Frau auf beide Wangen und
sagte ihr, wie schön ihr Name sei.
Wir streunten in Schlangenlinien Richtung Veranstaltungsort, an diesem
Punkt zu einer Menschentraube aus Selfie machenden Konzertgängern
herangewachsen, einer von denen führte Dohertys Husky an der Leine. Doherty
lud uns hinter die Bühne ein, gab dann aber vor, seinen Backstage-Pass
verloren zu haben, wir müssten also über den Zaun klettern, um dorthin zu
kommen. Er beugte sich hinab, eine Räuberleiter vorbereitend, und ich hatte
meinen Schuh schon auf seiner Hand, als er sagte: „Nein, Spaß.“ Auf sein
Zeichen hin öffneten sich die Tore und wir nahmen den Künstlereingang.
Warum erzähle ich das? Weil es a) eine gute Geschichte ist, und ich b) am
Freitag wieder in der Columbiahalle war, wieder bei einer der großen
The-Bands der frühen Nullerjahre, beziehungsweise bei der einzigen anderen
großen The-Band der frühen Nullerjahre, die etwas taugte, und nicht zuletzt
bei der The-Band, die den Schwall an The-Bands in den frühen Nullerjahren
überhaupt erst losgetreten hatte: The Strokes. Und ähnlich, wie es mir bei
den Libertines ging, und vor allem damit, Doherty als ergrauten Mann zu
sehen, der bei aller anarchischer Jungenhaftigkeit den Eindruck macht, er
befinde sich im letzten Abschnitt seines Lebens, konnte ich mich beim
Anblick der Strokes nicht gegen sentimentale Anwandlungen wehren.
Wahrscheinlich war es vor allem die Erkenntnis, zwar noch nicht alt zu sein
und auch noch nicht mittelalt, aber eben auch nicht mehr jung, und nichts
macht die Flüchtigkeit der Jugend wohl deutlicher als mittelalte Männer in
Rockstar-Uniform, die Lieder spielen, die sie vor zwanzig Jahren mit
zwanzig Jahren geschrieben haben. Weil die Lieder fantastisch sind, war es
keine traurige Veranstaltung.
Die Strokes haben ein Dutzend der besten Rocksongs geschrieben, die ich in
meinem an Rocksongs nicht armen Leben gehört habe. Natürlich war es
euphorisierend, diese Lieder live zu hören, von einer immer noch tighten
Band gespielt und einem immer noch charismatisch-schlurfigem Sänger
gesungen. Die Namen, die Persönlichkeiten: Julian Casablancas! Fabrizio
Moretti! Albert Hammond Jr.!
Und doch musste ich die ganze Zeit daran denken, dass es sich um aus der
Zeit gefallene Musik handelte, so lässig und subversiv die Haltung auch
war, mit der sie vorgetragen wurde. Das Publikum war im Schnitt wohl jünger
als die Band; nicht wenige in meinem Alter, die noch, wie ich, die Singles
von Castingshow-Gewinnern gehört haben, als „Is This It“, das Debütalbum
der Strokes, einen Monat vor 9/11 erschienen war. Es gab viel Bewegung im
Publikum, nicht immer, für mich, angenehme; viele bierselige Männer, die
ihre wuchtigen Körper gegen ihre Nebenleute hievten, als wollten sie sagen:
„Hier, kümmere du dich jetzt um diesen Zentner.“
Kein Fragezeichen steht am Ende von „Is This It“, es war also nie als Frage
gemeint. Der Band war es schon vor zwanzig Jahren klar. Ja, das ist alles.
Übrigens haben wir Doherty im Labyrinth hinter der Bühne dann verloren. Wir
standen noch kurz ratlos im Backstagebereich herum, dann folgten wir den
Anweisungen des Personals und wurden herausgeführt.
18 Feb 2020
## AUTOREN
Jan Jekal
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